Heinsberg/Wassenberg Zwei Angeklagte bekunden Reue

Heinsberg/Wassenberg · Plädoyers im Prozess um fremdenfeindliche Übergriffe auf Asylbewerber in Wassenberg: Jugendstrafen für die fünf jungen Männer beantragt die Staatsanwaltschaft. Verteidiger fordern Bewährungsstrafen und zwei Freisprüche.

 Vor dem Amtsgericht in Heinsberg wird am Freitag das Urteil gesprochen im Prozess um fremdenfeindliche Übergriffe von fünf jungen Erwachsenen aus Wassenberg und Hückelhoven auf Asylbewerber in Wassenberg.

Vor dem Amtsgericht in Heinsberg wird am Freitag das Urteil gesprochen im Prozess um fremdenfeindliche Übergriffe von fünf jungen Erwachsenen aus Wassenberg und Hückelhoven auf Asylbewerber in Wassenberg.

Foto: Hahn

Jugendstrafen zwischen anderthalb und über drei Jahren beantragte Staatsanwältin Ulrike Politzer gestern im Amtsgericht Heinsberg für die fünf jungen Männer, die fremdenfeindlicher Übergriffe auf Asylbewerber mit teilweise schwerer Körperverletzung, Bedrohung und Verwendung verfassungsfeindlicher Kennzeichen beschuldigt werden.

Als äußerst komplex bezeichnete die Staatsanwältin die Sachlage: fünf Beschuldigte mit differenzierter Tatbeteiligung an drei verschiedenen Übergriffen, teilweise widersprüchliche und uneindeutige Aussagen von Zeugen. Zum Vorfall am 17. Dezember 2014 am Wassenberger Netto-Markt verwies Politzer auf den vom W. zugegebenen körperlichen Übergriff mit Quarzhandschuhen auf einen Asylbewerber. Von seinem Begleiter Ch. seien schon im Markt Provokationen ausgegangen, dass er angeblich nur anwesend war oder gar schlichten wollte, hielt die Staatsanwältin für unglaubwürdig. Die Bedrohungsszenerie am 18. Dezember 2014, bei der ebenfalls Ch. und W. eine Rolle spielten, sei durch widersprüchliche Aussagen nicht zweifelsfrei klärbar. Bei der Hauptattacke auf einen Asylbewerber, der am 27. Januar 2015 am Busbahnhof schwer verletzt wurde, hätten die Angeklagten W., B. und A. fremdenfeindliche Provokationen zugegeben. W. habe den Hauptgeschädigten mit Quarzhandschuhen geboxt, B. ihn mit einem Schlagstock in die Kniekehle gehauen. A. hatte einen Schlag gegen die Brust des Asylbewerbers und den Versuch zu treten zugeben.

Unübersichtlich sei der Tatbeitrag des Angeklagten T. dabei gewesen - T. schwieg im Prozess. Doch Mitangeklagte und Zeugen hatten bestätigt, dass er den schon am Boden liegenden Verletzten mit Wucht gegen den Kopf getreten und sich per Handy damit noch gebrüstet hatte. Ch.'s Familie hätte dagegen glaubhaft nachgewiesen, dass der Angeklagte kurz vor dieser Tat zum Essen nach Hause gefahren sei. Dem Vater von A., der seinen Sohn am 27. Januar zum Busbahnhof gefahren hatte, könne eine Beihilfe zur Tat nicht nachgewiesen werden. Er war der Einzige, für den die Staatsanwältin Freispruch beantragte.

Trotz der Teilgeständnisse hatte sie keine glaubwürdige Reue der Beschuldigten W., B. und A. im Prozess feststellen können. Alle seien "besonders roh vorgegangen, haben Spaß gehabt, dies auch offen zur Schau zu stellen". Dass der zusammengeschlagene Asylbewerber, dem Ärzte Gehirnerschütterung, einen Kreuzband- und Innenmeniskusriss attestiert hatten, nicht lebensgefährlich verletzt wurde, bezeichnete Politzer als reinen Zufall. In Ch.'s Rolle, der noch vor Gericht durch respektlos-unflätiges Verhalten aufgefallen war, sah sie den Tatbestand der "psychischen Beihilfe" gegeben. Während kurz darauf Ch.'s Pflichtverteidiger Freispruch mangels Tatbeweisen forderte, beantragte Politzer für ihn anderthalb Jahre Jugendstrafe, gegebenenfalls auf Bewährung. Für alle anderen sah sie Jugendstrafen von mehr als zwei Jahren ohne Bewährung für "unerlässlich" an.

Die Pflichtverteidiger der heute 19- und 20-jährigen jungen Erwachsenen wollten in ihren Plädoyers so weit nicht gehen. Für die Angeklagten W., B. und T. forderten sie Bewährungsstrafen mit Auflagen wie Anti-Aggressionstraining, Verpflichtung zum Aussteigerprogramm gegen Rechtsextremismus oder Sozialstunden. Und schlossen sich damit den Empfehlungen der beiden Vertreter der Jugendgerichtshilfe an, die eingangs auch Maßnahmen wie den sogenannten "Warnschuss-Arrest" angeregt hatten. Von ideologisch gefestigter "rechter Gesinnung" könne in allen Fällen keine Rede sein, eher von Mitläufertum und Gruppenfaszination, begünstigt durch Unreife, latente Minderwertigkeitsgefühle und schwache Persönlichkeitsstrukturen, sagten Jugendgerichtshelfer und Anwälte. Tenor: Problematische Familienverhältnisse, lückenhafte Schulbildung, soziale Desorientierung sollten nicht durch Arrest kuriert werden, sondern durch strenge Sozialauflagen.

Die Verteidiger von W. und B. widersprachen zudem der Einschätzung der Staatsanwaltschaft in Sachen Reue vehement: W. und B. hätten schon am ersten Prozesstag keine Abstriche an ihrem Schuldeingeständnis gemacht, B. habe sich zudem ausdrücklich entschuldigt. W. und A. wurde auch die freiwillige Teilnahme am Aussteigerprogramm (freilich im Falle von A. mit Rückschlägen) zugute gehalten.

A.'s Anwalt wertete die Zeugenaussagen zur Tatbeteiligung seines Mandanten als "nicht eindeutig". A.'s Eingreifen bei der Prügelattacke sei von diesem als Hilfsaktion für die Kameraden gesehen worden, als "Demonstration von Gemeinschaftsgefühl". Dass der Anwalt deshalb Freispruch forderte, blieb wenig plausibel.

Von der Richterin zur Stellungnahme eingeladen, wollten von den Angeklagten nur W. und B. sich äußern. Beide sagten, sie bereuten ihre Tat. B.: "Ich würde mich auch entschuldigen." Am Freitag um 12 Uhr wird das Urteil gesprochen.

(RP)
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