Wermelskirchen Erwachsene lernen Lesen und Schreiben

Wermelskirchen · Trotz Schulpflicht gibt es auch in Wermelskirchen noch Analphabeten. Für Betroffene bietet die VHS einen Alphabetisierungskursus seit Jahren an. Im Schnitt nehmen zehn Erwachsene daran teil.

Wermelskirchen: Erwachsene lernen Lesen und Schreiben
Foto: Moll Jürgen

Eine Nachricht lesen, eine Bewerbung schreiben oder einfach das Essen mithilfe einer Speisekarte bestellen - alles Tätigkeiten des alltäglichen Lebens, die die meisten als selbstverständlich betrachten. Doch selbst in einem Industrieland wie Deutschland, gibt es noch viele Menschen, die diese einfachen Aufgaben nicht bewältigen können, weil sie das Lesen und Schreiben nicht beherrschen.

 Verzweiflung pur: Wie bilde ich aus diesen vielen Buchstaben nur ein Wort? So muss es Analphabeten täglich ergehen.

Verzweiflung pur: Wie bilde ich aus diesen vielen Buchstaben nur ein Wort? So muss es Analphabeten täglich ergehen.

Foto: Moll/Dpa

"Viele denken, dass Analphabetismus nur ein Phänomen der Entwicklungsländer sei. Schließlich haben wir in Deutschland Schulpflicht. Die Realität sieht aber anders aus", sagt die stellvertretende Volkshochschulleiterin Dr. Ulrike Baumgartner.

Seit 2003 bietet die VHS Alphabetisierungskurse für deutsche Erwachsene an, die über geringe Lese- und Schreibkenntnisse verfügen. "Die Nachfrage ist seit Jahren konstant geblieben", erklärt Dr. Baumgartner. Rund zehn Erwachsene nehmen jedes Jahr an dem Kursus teil. Doch die Dozentin schätzt, dass die Dunkelziffer der Analphabeten viel höher sei. Vor allem die Anzahl der funktionalen und sekundären Analphabeten sei in Deutschland sehr hoch. "Die Hemmschwelle ist zu groß. Es ist unheimlich schwierig für einen Erwachsenen zuzugeben, dass er nicht lesen kann", sagt Angela König, ehemalige Leiterin des Alphabetisierungskurses.

Aus Scham und aus Angst vor Vorurteilen, versuchen die Betroffenen ihre Defizite zu verstecken. Mit Tricks und Ausreden gelingt es ihnen sogar, sich unbemerkt durchs Leben zu schmuggeln. "Die Probleme treten auf, wenn bestimmte Veränderungen, wie Jobverlust oder Einschulung der Kinder, auftreten", erklärt Dr. Baumgartner. Oft sind es diese Ereignisse, die den Betroffenen dazu bewegen, sich bei dem Alphabetisierungskursus anzumelden.

Bei dem Kursus bekommen die Teilnehmer die Möglichkeit, sich ungezwungen mit ihrem Problem auseinanderzusetzen. "Wir nehmen ihnen den Leistungsdruck weg. Jeder lernt individuell und nach seinen Bedürfnissen", sagt Angela König, die den Kursus fünf Jahre leitete.

Aus Erfahrung weiß sie, dass die Basis des Problems oft auf mangelndem Selbstwertgefühl zurückzuführen sei. "Die meisten Teilnehmer berichten über schlechte Erfahrungen in der Schule. Seitdem haben viele eine Angst vor dem Lesen entwickelt", erklärt die ehemalige Kursleiterin. Deshalb wird bei dem Kursus nicht nur an der Sprache gearbeitet, sondern auch an dem Selbstwertgefühl der Betroffenen. "Wir versuchen, ihre Persönlichkeit zu stärken. Für den Lernprozess ist es der wichtigste Punkt," betont König.

Bis die Teilnehmer die Lese- und Schreibfähigkeit vollständig erworben haben, dauert es im Schnitt drei Jahre: Ein langer Weg, der sich aber lohnt, findet Dr. Ulrike Baumgartner. "Ich weiß, dass es für den Betroffenen schwierig ist, sich zu überwinden. Eine Anmeldung bei dem Alphabetisierungskursus ist aber der erste Schritt zu einem freieren, selbstbewussteren Leben." Die Dozentin appelliert auch an Verwandte von Betroffenen. "Wer jemanden kennt, der unter mangelnden Lese- und Schreibkompetenz leidet, sollte ihn anspornen, etwas dagegen zu tun".

Kontakt Dr. Ulrike Baumgartner, Telefonnummer 02196 947 0412. Anmeldungen werden vertraulich behandelt.

(doho)
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