Hamminkeln "Omi Schrader" macht die 100 Lenze voll

Hamminkeln · Hedwig Schraders Rezept zum Altwerden lautet: "Viel Arbeit, Zufriedenheit und ein fröhliches Herz".

Hedwig Schrader aus Mehrhoog ist die letzte Überlebende vom Frauen-Kegelklub mit dem herrlich selbstironischen Namen "Spätlese". Der ließ immer auf der Bahn beim "Reisenden Mann" in Mehr die Kugel rollen. Alle Jahrgang 1914 und etwas jünger. Vor wenigen Wochen erst ist ihre letzte Kegelschwester zu Grabe getragen worden. Sie hat's nicht mehr ganz geschafft bis zum 100. Geburtstag. "Omi Schrader", wie alle die muntere alte Dame nennen, macht Montag im Kreis ihrer Familie und Nachbarn am Imhoffweg das Jahrhundert voll.

Sie ist allerbester Dinge. "Mir geht's gut. Ich lache doch." Wie kann man nur fragen. Das Leuchten ihrer Augen duldet keinen Zweifel. Trotzdem. Tochter Rita Prumbs, inzwischen auch schon 71, bekräftigt das. Sie bescheinigt ihrer Mutter "ein sehr positives Denken", selbst wenn sie wirklich mal Grund zum Klagen habe. Diese Grundhaltung, aus allem das Beste zu machen, sei ihr Geheimnis, das nächste Jahrhundert zu erreichen, sagt die Jubilarin: "Viel Arbeit, Zufriedenheit und ein fröhliches Herz" seien Zutaten, im besten Sinne alt zu werden.

Dabei hatte das "Heterchen", wie sie als Kind in Ostpreußen gerufen wurde, so gar kein einfaches Leben. Sie hat zwei Weltkriege überlebt und ihre Heimat verloren. Sie ist als ältestes von sieben Kindern - alle Geschwister sind längst tot - im Ermland, einer katholischen Enklave Ostpreußens, aufgewachsen. Ihr Vater war Schmied. "Ich war erst sein Lehrling und dann sein Geselle", erzählt sie. Als Beleg zeigt sie ihre knochigen Finger. Sie seien so krumm, weil sie immer den großen Blasebalg mit Händen habe ziehen müssen, damit das Feuer in der Schmiede nicht ausging.

Als junge Frau ging sie nach Königsberg, war neun Jahre im Haus eines Metzgers "Mädchen für alles". "Wenn wir im Schlachthof Fleisch geholt haben, das war harte Arbeit." Das hat sie nicht vergessen. Als ihre Tochter Rita geboren wurde, ging sie zurück nach Freudenberg.

Über Krieg und Vertreibung möchte sie nicht viel erzählen. "Ist alles erledigt." Sie kam mit Eltern und Tochter über Pommern und Thüringen nach Düsseldorf - "eine Art Familienzusammenführung". Eine Schwester lebte in Krefeld. Später folgte ihr Hedwig Schrader in die Seidenstadt nach. Hier arbeitete sie als Zuschneiderin in einer Textilfabrik, die Handschuhe und Schutzkleidung herstellte. Und sie heiratete hier ihren Mann Josef, der vor fast 40 Jahren gestorben ist.

Zwei Jahre zuvor hat Rita Prumps Mutter und Stiefvater zu sich nach Mehrhoog geholt, wo sie mit Mann Hans-Joachim wohnt. Die Prumps kümmern sich liebvoll um "Omi Schrader", die die obere Etage bewohnt und komplett ohne Pflegedienst auskommt. Ihr Fahrrad hat sie mit 91 "von einem auf den anderen Tag" aus freien Stücken für immer abgestellt. Nun stützt sie sich in der Wohnung und ab und an auch draußen auf ihren Rollator. In Mehrhoog ist sie bestens bekannt. Vor allem in der Kirchengemeinde Heilig Kreuz. Sie hat hier Küsterdienste geleistet, war in der Frauengemeinschaft aktiv und bei der KAB. Noch heute besucht sie, wenn's eben passt, montags den Spielenachmittag und ab und an den Senioren-Gottesdienst im Edith-Stein-Heim. Die Sonntagsmesse in der Kirche schafft sie nicht mehr. "Ich kann nicht mehr so lange sitzen", sagt sie. Mit dem Hören geht's besser. "Ich höre alles und verstehe nix", sagt sie, lächelt und deutet auf ihre Ohren. "Ich hab' Gerät." Da ist sie wieder, die positive Denke, die so ansteckend wirkt. Im Krankenhaus, erzählt ihre Tochter, seien die Krankenschwestern ihrer "Vorzeigepatientin" richtig dankbar gewesen, weil "Omi" die anderen, auch wenn sie deutlich jünger waren, durch ihre freundliche Sicht auf die Dinge aufgemuntert hat.

Damit sie auf der Höhe der Zeit bleibt, liest die 100-Jährige täglich Zeitung. Und sie sieht fern. Am liebsten Fußball. Sie hat gejubelt, als Deutschland vor wenigen Wochen in Brasilien zum vierten Mal Weltmeister geworden ist. Kein Spiel hat sie verpasst. Bei der Premiere 1954, als die Herberger-Elf den ersten Stern holte, war sie schon 40. Unglaublich. Einen Lieblingsverein hat sie nicht. Aber sie hat ein Herz für Fußball-Pensionäre: "Ich find' den Klose so nett."

Montag steht allein sie im Mittelpunkt: Ab 10 Uhr ist Tag der offenen Tür. Ihre zwei Enkel und die Urenkelin haben sich angesagt. Die ist auch schon 20. "Wer kommt, der kommt. Wer nicht will, kommt nicht." Böse ist die 100-Jährige deswegen niemandem.

(RP)
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