Einjähriges Experiment Leben mit einem Priester

Münster · Valerie hat mit Kirche nichts am Hut, Franziskus ist Priester. Für ein Jahr wagen die beiden ein Experiment: einander kennenzulernen.

 Ein Jahr nimmt sich Valerie Schönian (25) Zeit, um vor Ort zu ergründen, warum Franziskus von Boeselager (38) Priester geworden ist.

Ein Jahr nimmt sich Valerie Schönian (25) Zeit, um vor Ort zu ergründen, warum Franziskus von Boeselager (38) Priester geworden ist.

Foto: Zentrum für Berufungspastoral

Sie leben in zwei Welten, die mehr und mehr auseinanderdriften: Valerie, die Journalistin aus Berlin, 25, in Ostdeutschland aufgewachsen, ohne religiöse Bindung, und Franziskus, der Priester aus dem Münsterland, 38, Mitglied der spirituellen katholischen Gemeinschaft Emmanuel, Kaplan. Vor drei Monaten haben sie ein Experiment begonnen im Auftrag der Kirche. Ein Jahr wollen sie einander kennenlernen, Alltag teilen, miteinander sprechen, streiten. Valerie Schönian schreibt darüber in einem Blog, sie ist frei in ihrer Themenwahl, wird nicht zensiert, bekommt aber ein monatliches Gehalt von der Kirche.

"Ich habe anfangs schon gebangt, ob ich so frei sein kann, wie mir zugesagt wurde", sagt sie, "aber ich darf tatsächlich schreiben, was ich will, es geht ja gerade um den Blick einer Außenstehenden." Umgekehrt vertraue die Kirche ihr, dass sie aus ehrlichem Interesse an dem Projekt teilnimmt, und nicht, um Menschen zu verunglimpfen, deren Haltung sie nicht teilt. "Kritisch sein bedeutet ja nicht beleidigen", sagt Schönian.

Sie ist zu Franziskus von Boeselager ins Münsterland gezogen, wohnt etwa zwei Wochen im Monat gleich neben dem Pfarrhaus in der Kleinstadt Roxel bei Münster. In der restlichen Zeit lebt die Journalistin auch ihr Berliner Leben weiter, als Kreative in einer Großstadt, die auf Festivals geht, ihre Nachmittage in Cafés und ihre Abende mit Freunden in Bars und Clubs verbringt.

Und Kaplan Franziskus hat auch weiterhin unbeobachtete Zeit, in der er seine Aufgaben in der Gemeinde erfüllt - Jugendarbeit, Ehevorbereitung, Kondolenzbesuche und was so anliegt. Dazu kann er sich auch weiter zurückziehen in die Gemeinschaft mit den beiden Priestern aus seiner WG - und ins Gebet. "Ohne diese Rückzugsmöglichkeit kann ich mir so ein Projekt nicht vorstellen", sagt Franziskus, "das ist mir in den ersten Monaten klar geworden." Er ist ein stiller, nachdenklicher Typ, der innehält, bevor er spricht und nicht liest, was Schönian bloggt, um wahrhaftig zu bleiben. In seiner Gemeinde und auch darüber hinaus hat ihn das Projekt bekannt gemacht. Das liegt ihm eigentlich gar nicht, er findet, dass das ablenkt vom Eigentlichen - seinen Aufgaben als Seelsorger. "Aber vielleicht erreichen wir über den Blog Menschen, die sich sonst gar nicht mehr für Kirche interessieren würden, das ist meine Hoffnung", sagt Franziskus.

Valerie beschreibt ihn als "offen, nicht eitel, menschenlieb", als einen, der auf andere Menschen achtet, oft mit den Ansprüchen an seine Rolle als Priester und Kaplan ringt. Franziskus umgekehrt glaubt, dass er Valerie noch gar nicht richtig kennengelernt hat, dass er wenig über ihr Berliner Leben und ihre Haltung zu ihren eigenen Lebensentscheidungen weiß. "Das möchte ich noch ändern, denn natürlich stellt es Fragen an meinen Glauben, wenn Menschen auch gänzlich ohne Bezug zu Gott leben und sich nicht danach sehnen", sagt Franziskus. Die Gemeinschaft Emmanuel, zu der der Kaplan gehört, ist eine charismatische Gruppierung, die auch missioniert. "Wir klingeln auch mal bei Fremden, sprechen Menschen im Café an, mir ist das nicht fremd", sagt Franziskus, "aber die katholische Kirche in Deutschland hat noch nicht verstanden, dass sie keine Volkskirche mehr ist, dass sie neue Formen finden muss, um Menschen wie Valerie zu erreichen. Darüber denke ich neu nach."

So sind Valerie und der Priester einander zum Erkundungsobjekt geworden - mit großer Achtsamkeit, das ist im Gespräch zu spüren. Zwar bringt es Valerie auf die Palme, wenn Franziskus Sätze sagt wie, Frauen könnten nun mal nicht Priester werden, weil Jesus halt ein Mann war. Aber sie ertappt sich dabei, dass sie Sätze wie "Die Kirche ist nichts Gutes", die sie früher eher geteilt hätte, inzwischen für zu pauschal hält.

Sie ist in der katholischen Welt zu vielen Menschen begegnet, die aufrecht versuchen, ein gutes Leben zu führen, die sich um andere kümmern, sich ernsthafte Gedanken darüber machen, wie sie ihr Leben führen wollen. Das findet Schönian "schon beeindruckend", auch wenn sie das Herumgedruckse einiger Katholiken etwa bei Themen wie Frauenpriestertum oder Homosexualität schwer erträglich findet.

Neulich hat sie Franziskus zum Weltjugendtag nach Krakau begleitet, hat dabei Jugendliche kennengelernt, deren Familien ebenfalls zur Emmanuel-Gemeinschaft gehören. "Das war schon seltsam, wenn Jugendliche mir vor dem Abendessen ganz selbstverständlich sagten, ich geh nochmal kurz beten", erzählt sie, "aber ich habe mit ihnen viel Gemeinschaftssinn erlebt, Aufmerksamkeit füreinander, und sie hatten einfach viel Spaß bei diesem internationalen Jugendtreffen." Aber als Schönian einmal von den Festivals erzählt, auf denen sie gerade war, hatten die Jugendlichen nicht mal die Namen gehört. "In solchen Momenten wird mir dann immer klar, wie verschieden die Welten sind, zwischen denen ich gerade pendel."

Irgendwann will Kaplan Franziskus die Journalistin Valerie auch mal in Berlin besuchen. In ihrer Welt. "Gläubige und Nichtgläubige tauschen oft nur rational ihre Argumente aus", sagt Franziskus, "Valerie und ich versuchen, nicht nur zu diskutieren, sondern uns als Menschen zu begegnen und wirklich Verständnis füreinander zu entwickeln." Damit haben sie gerade erst begonnen. Noch ist das Staunen groß.

(dok)
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