Hazaribagh Die Armut treibt Inder in illegale Minen

Hazaribagh · Im indischen Bundesstaat Jharkhand schuften Tagelöhner in unsicheren Stollen.

Im Stollen ist es dunkel, und es riecht nach Gas. Tiefer aus dem Berg ist ein dumpfes Klopfen zu hören. Dort weitet sich der Gang zu einer niedrigen Höhle, eine Lampe verströmt spärliches Licht. Mogal steht vor einer Wand aus Kohle, holt aus, rammt die Spitzhacke in den Felsen, hebelt, bis ein paar Brocken zu Boden fallen. Er trägt nur eine Unterhose, sein Körper glänzt vor Schweiß.

Wieder holt er aus, bohrt die Hacke mit bloßer Muskelkraft in die schwarze Wand, während seine Gefährten die Stücke am Boden in eine Schüssel schichten. Zwei Männer hieven sie einem Dritten auf den Kopf. Langsam richtet der sich auf, das Spiel der Muskeln in seinem sehnigen Bauch verrät, welche Kraft das kostet. Dann schleppt er die Kohle auf dem Kopf ans Tageslicht.

Es gibt in Indien die unverhohlene Ausbeutung von Körpern, Schinderei ohne Schonung, ohne Grenze der Zumutbarkeit. Wer keinen Besitz hat, ganz unten steht im Kastensystem, darf keine Ansprüche stellen, keine Sicherheit verlangen. Der gräbt in den Hügeln des Karanpura-Tals in Jharkhand, einem der ärmsten Bundesstaaten des Landes, in illegalen Kohlestollen wie Bergleute zu Beginn der Industrialisierung, als auch Europa noch keine Scheu vor dem Raubbau an Körpern kannte.

Es ist beklemmend, Zeuge solcher Ausbeutung zu werden, und wir schämen uns unserer Angst, als wir den schwitzenden Männern in die dunklen Gänge folgen, in denen sie Tag um Tag ihr Leben riskieren. Aber Mogal und seine Gefährten zeigen keinen Groll. Eher Neugier, normalerweise wagt sich niemand bis zu ihnen in die Stollen. Die Männer schuften dort an sechs Tagen der Woche. Und wenn ihnen abends die Knochen wehtun, fahren sie manchmal in die nächste Stadt, essen feuriges Hühnchen und trinken Reisbier. Dann entkommen sie für ein paar Stunden den Zwängen ihres Daseins. Der Lohn für den Tag ist dann dahin.

Wir stoßen in Indien immer wieder auf solche Vergeblichkeiten, auf die Mühsal des Sisyphos, die ohne Ausweg ist. Überall ringen Menschen um das pure Überleben: Rikschafahrer strampeln durch den Verkehr und schlafen abends auf dem Trittbrett ihrer Räder. Tee-Verkäufer schleppen schwere Kannen durch den Zug, murmeln "Chai, Chai, Chai" und auf dem Rückweg wieder "Chai, Chai, Chai" — und das den ganzen Tag. Da bleibt kaum Kraft, von einem anderen Leben zu träumen. Wahrscheinlich nicht mal, um diesen Traum zu vermissen.

In Indien ist Armut physisch. In den Dörfern rackern Männer hinter dem Ochsenkarren, stehen Frauen Stunden vornübergebeugt im Schlamm der Reisfelder und zupfen Setzlinge. In den Städten schlafen die Armen auf der Straße. Vater, Mutter, Kind unter einem Tuch — traute Familie in völliger Schutzlosigkeit vereint. Ihre Habseligkeiten hängen in einer Tüte an der Hauswand. Und am Morgen waschen sich die Menschen von der Straße an öffentlichen Pumpen, seifen ihre Körper ein, machen sich frisch für einen weiteren Tag, der auf dem nackten Boden endet.

Es ist schwer, die Duldsamkeit der Armen zu verstehen. Sind wir doch gewöhnt, nach Auswegen zu suchen, soziale Hilfe zu fordern. Doch in einem Land mit 1,2 Milliarden Bürgern vertraut niemand auf den Staat. Und das Kastensystem hat in Indien ein starres soziales Gefüge geschaffen, in dem die Positionen fest vergeben sind — Wille und Ehrgeiz des Einzelnen spielen keine Rolle. Für die ganz unten gibt es keinen Tellerwäschertraum, keine Aufstiegsdynamik, nur das eherne Gesetz, sich einzufinden in das, was ist.

Doch sollte man das nicht Fatalismus nennen, denn das wiese die Schuld an den Verhältnissen den Armen zu. Ihnen bleibt aber nichts als Duldsamkeit, die sie immerhin vor dem Hadern, vor der totalen Bitterkeit bewahrt. Im Erdulden behaupten sie ihre Würde. Trotzdem bleibt ihre Armut empörend. "Wir arbeiten hier aus purer Not", sagt Taleshwer, einer der Arbeiter unter Tage. Dann lässt er sich die nächste Schüssel auf den Kopf wuchten, weil er der Ernährer seiner Familie ist.

Und da gibt es noch die Männer mit den Kohlerädern im Tal von Karanpura. Die packen früh morgens die Brocken aus dem Berg in alte Zementsäcke, 15 Kilo das Stück, und schnüren bis zu 30 dieser Säcke auf ein altes Fahrrad. Das lässt sich dann kaum noch schieben. Doch die Kuriere haben keine andere Möglichkeit, ihre unglaubliche Fracht 60 Kilometer und mehr in die nächste Stadt zu bringen. Wir sehen zahllose von ihnen am Rande der Straßen nach Ranchi, Schweißtücher um die Stirn, wie sie sich bergauf gegen die Lenker stemmen, auf der Bergkuppe Rast machen, im Kreis sitzen, aus alten Plastikflaschen trinken. Ehe es weitergeht.

Die Regierung duldet den Kohleabbau im kleinen Stil. Sie hat Größeres vor. Das Karanpura-Tal liegt auf einem der bedeutendsten Kohlevorkommen Indiens. Es soll 27 Prozent der Landesreserve ausmachen, Nachschub für das energiehungrige Industrieland. Der Staat hat die Region schon in Parzellen eingeteilt, will die Kohle im Tagebau gewinnen, auch private Unternehmen internationaler Konzerne sollen beteiligt sein. Noch wehren sich die Menschen im Tal, sabotieren die Maschinen der staatlichen Firmen, demonstrieren. Ein paar sind dafür ins Gefängnis gegangen. Es gibt christliche Gruppen, die sie unterstützen, die im Evangelium die Aufforderung lesen, den Unterdrückten zu ihrem Recht zu verhelfen.

Es soll im Karanpura-Tal nicht ausgehen wie in anderen Teilen der Region, in der seit Jahrzehnten Kohle gewonnen wird. Dort pusten Kokereien schwarzen Qualm in die Luft, die Flüsse sind verschmutzt, Menschen wurden vertrieben. Nur für wenige gab es Entschädigung, und die war schnell verbraucht. So zogen die Menschen in die Städte. Und in Hazaribagh, in Mumbai oder Kolkata wachsen die Slums, treffen immer neue Leute ein, die von der Hand in den Mund leben. Wie in ihren Dörfern, nur erbärmlicher.

In Indien ist Ausbeutung kein abstrakter Begriff. Man erlebt dort, wie die Mechanismen des globalen Kapitalismus Landschaften umwälzen und Armut produzieren. Eine Armut, die Männer in desolate Stollen treibt und ihren Kindern die Bildung für ein besseres Leben versagt. Aber abends sitzen wir auch in Mogals Dorf unter dem großen Baum, und die Männer in ihren abgewetzten Hosen und dünnen T-Shirts reichen einen Becher mit Wasser herum, und die Frauen zeigen stolz ihre Babys mit den schwarzen Kringeln gegen das Böse auf der Stirn. Und dann gibt es Reis mit Linsen in einer Hütte, und alle drängen sich dazu — das Leben spielt ganz in der Gegenwart. Die Menschen wirken dann heiter, fast unbeschwert

Und natürlich ist so ein Abend auch eine Wahrheit. Das macht es so schön und so schwer in Indien.

(RP)
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