Isselburg Hendricks profiliert sich in der Heimat

Isselburg · Die Bundesumweltministerin muss sich in ihrem neuen Amt beweisen – und hat dabei wenig zu verlieren. Ein Tag mit der SPD-Politikerin.

Die Bundesumweltministerin muss sich in ihrem neuen Amt beweisen — und hat dabei wenig zu verlieren. Ein Tag mit der SPD-Politikerin.

Je weiter Barbara Hendricks die steile Wendeltreppe emporsteigt, desto mehr schlägt ihr der Gestank fauler Luft entgegen. 15 Meter ist der Gärturm der Kläranlage in Isselburg hoch, sie verzieht keine Miene. Oben angekommen kann sich die SPD-Bundesumweltministerin einen Überblick verschaffen, wofür die knapp 1,4 Millionen Euro Fördermittel ihres Hauses ausgegeben wurden: Nach einem umfangreichen Umbau der Becken, Rohrleitungen und Filtersysteme haben Ingenieure den Stromverbrauch der Kläranlage halbieren können. Für eine 11 000-Einwohner-Kleinstadt wie Isselburg ist das wichtig, schließlich sind Kläranlagen die größten Stromverbraucher deutscher Kommunen.

Und für Hendricks ist das ebenso wichtig, schließlich ist die 62-Jährige Kleverin im vergangenen Herbst wie Kai aus der Kiste zur Ministerin gemacht worden. Da hatte sie längst schon eine grundsolide Karriere als Staatssekretärin im Finanzministerium und als SPD-Schatzmeisterin hinter sich, keiner hatte sie mehr für das eher undankbare Ressort auf dem Zettel. Nun muss Hendricks sich mit Umweltthemen profilieren und zeigen, dass sie mit der Krötenwanderung ebenso gut klarkommt wie mit dem Krötenzählen für die Genossen.

Kenner ihrer Arbeitsweise schätzen die gebürtige Kleverin als sachorientierte, wissbegierige Chefin. Sie könne zuhören, hake aber ungemütlich genau nach, wenn sie etwas nicht verstehe, sagt ein früherer Wegbegleiter. Ist sie dann nicht überzeugt, bleibt sie bei ihrer Meinung. Punkt, aus. Hendricks ist direkt, spricht druckreif, mit niederrheinischer Sprachfärbung und ruhiger, dunkler Stimme. Emotionen sind nicht so ihr Ding, lustig kann sie eher auf trockene Art sein. Und Hendricks gehört nicht zur Gattung von Politikern, die bei Außenterminen an Kläranlagen, fernab des Berliner Regierungsgeschäfts, mangelnde Sachkenntnis durch Glamour und markige Reden wettmachen wollen. Sie hat sich seit der Bundestagswahl gut in den Stoff eingearbeitet, das fällt immer wieder auf bei dieser Sommerreise durch ihren Wahlkreis an der deutsch-niederländischen Grenze.

So steigt die Ministerin, unprätentiös mit Jeans, Schuhen mit Gummisohle, gestreiftem Hemd und Blazer bekleidet, direkt in ein Fachgespräch mit dem leitenden Ingenieur der Kläranlage von Isselburg ein. 600 000 Tonnen CO2-Emissionen könnten bundesweit eingespart werden, sagt Hendricks, wenn nur künftig alle Kläranlagen in Deutschland so funktionieren würden, wie die in Isselburg. CO2-Tonnen, das ist die Währung, in der sie denken muss. Hendricks ist unter Druck. 85 Millionen Tonnen der Emissionen muss sie pro Jahr noch einsparen, um die vereinbarte Zielmarke zu reißen: Bis 2020 will die Bundesregierung eine Reduzierung des Klimagas-Ausstoßes um 40 Prozent erreichen. 33 Prozent sind bisher geschafft. Die Einsparpotentiale von Kläranlagen gehören eher zum mittleren Kleinvieh auf dem Weg dorthin.

Dieses Denken in Zahlen liegt ihr, wobei Hendricks sich das über die Jahre antrainiert hat. Sie wächst in Kleve auf, am CDU-dominierten Niederrhein. Nach dem Abitur zieht es sie aus der beschaulichen Kleinstadt nach Bonn, wo sie Geschichte und Sozialwissenschaften studiert. Umgeben von der Atmosphäre der damaligen Hauptstadt der Bundesrepublik sucht Hendricks dort erstmals Kontakt zur Politik, tritt 1972 als Verfechterin eines gerechten Sozialstaats und der Brandt'schen Ostpolitik in die SPD ein - da hat sie gerade vier Semester studiert. Sechs Jahre später legt sie das Staatsexamen zur Gymnasiallehrerin ab und promoviert weitere vier Jahre später zur "Entwicklung der Margarine-Industrie am unteren Niederrhein". Kleve verdankt dieser Industrie viel, Hendricks bleibt der Stadt immer verbunden und versucht auch jetzt noch, jedes Wochenende in ihrem dortigen Wohnhaus zu verbringen.

Das Politikgeschäft aber lernte sie in den Siebzigern zunächst als Pressereferentin in der Bonner SPD-Parteizentrale. Sie erlebte dort die Altvorderen der heute mächtigen Genossen: Willy Brandt, Herbert Wehner und Helmut Schmidt. Am meisten beigebracht, so sagt sie, habe ihr danach der nordrhein-westfälische Finanzminister Diether Posser (SPD). Als dessen Sprecherin geht sie 1981 nach Düsseldorf und erfährt am eigenen Leib, wie in Machtzirkeln Politik gemacht wird. Das hilft ihr auf dem Weg zur Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium, wo ihr nacheinander die Minister Oskar Lafontaine, Hans Eichel und Peer Steinbrück das Vertrauen aussprachen. Und das hilft ihr heute an der Kläranlage von Isselburg, wo sich der Ingenieur von ihr verstanden fühlt.

Ob Hendricks am Ende der Legislaturperiode einen guten Job gemacht haben wird, ist noch nicht ausgemacht. Sie ist nicht vom Fach und sie ist auf den Erfolg von Sigmar Gabriel (SPD) angewiesen, der als Wirtschaftsminister die Energiewende managen muss. Scheitert diese, scheitert Hendricks' Klimawandelpolitik. Zu erwarten ist aber, dass Hendricks bis 2017 auch zunehmend bissig werden wird. Mit 62 Jahren hat sie schließlich nicht mehr viel zu verlieren, sie ist ohnehin auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Gabriel hingegen dürfte ja noch Kanzler werden wollen - also darf auch Hendricks nicht scheitern.

(jd)
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