Analyse Der neue Hass auf Wissenschaftler

Düsseldorf · Denker und Intellektuelle verlieren im sogenannten postfaktischen Zeitalter an Vertrauen. Heute wollen sie vor dieser Entwicklung warnen - mit dem "March for Science" in mehr als 500 Städten der Welt.

Die weltweiten Demonstrationen am heutigen Samstag hören sich irgendwie auch putzig an: "March for Science" klingt nach frohem Fest, und Folklore, nach kunterbunter Parade der Geistesgrößen. Und wer den Merchandising-Shop zum Protest in mehr als 500 Städten studiert, wird in dieser leichtfertigen Annahme eher bestätigt. Neben allerlei Tassen und Stickern (im Fünferpack) gibt es Shirts mit und ohne Ärmel und Aufdrucken wie "There is no alternative to facts". Auf anderen ist das Periodensystem abgebildet und erinnert so unfreiwillig auch an die Kultserie "Breaking Bad".

Alles Holzwege. Der geplante Marsch für die Wissenschaft ist der Hilfeschrei eines Gewerbes, dem es vor allem im Zuge populistischer Regierungsführung und Wahrheitsfindung mehr und mehr an den Kragen zu gehen scheint. Eine Institution droht den Rückhalt ausgerechnet in jenen Gesellschaften zu verlieren, die sich über Forschung und Erkenntnis definieren. Die sogenannte Wissensgesellschaft ist Motor und Markenzeichen von Fortschritt und Wohlstand. Dieses Vertrauen speist sich aus vielen Quellen; eine der älteren ist die mit Immanuel Kant (1724-1804) begründete Aufklärung. Es sind große, bahnbrechende Gedanken des kauzigen Philosophen aus Königsberg, die in zwei berühmte Sätze münden: "Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen." Nach dieser erstmals 1784 veröffentlichten Schrift war die Welt eine andere. Menschen legitimierten und definierten sich und ihr Handeln seither durchs eigene Denken. Das hatte nicht nur Einfluss auf die Wissenschaft. Die Aufklärer hinterfragten auch Macht. Die Französische Revolution mit dem Sturz der Fürsten ist eine der Folgen.

Allein das macht Denker, Forscher und Intellektuelle suspekt in den Köpfen jener, die gerne ohne kluges Begründen Macht ausüben und Wahrheiten setzen wollen. Wissenschaft differenziert die Welt und hinterfragt jedes Wissen. Populisten beschwören das Homogene und berufen sich dabei auch auf ewige Wahrheiten.

Trauriges Beispiel Türkei: Nach dem Putschversuch im Juli 2016 nutzte das Erdogan-Regime die Gunst der Stunde und säuberte die Universitäten des Landes von unliebsamen Wissenschaftlern. Mit der Begründung, gegen vermeintliche Anhänger der Gülen-Bewegung vorzugehen, wurden nach bisherigen Schätzungen etwa 5000 Wissenschaftler entlassen.

Trauriges Beispiel USA: Donald Trump strich in einer der ersten Amtshandlungen Fördergelder für die Wissenschaft. Der US-Präsident, der schon im Wahlkampf damit zu punkten hoffte, den von Menschen gemachten Klimawandel kurzerhand zu leugnen, versucht mit der Besetzung von Regierungsposten das Rad der Erkenntnis eifrig zurückzudrehen. In Trumps Sinne wurde die Umweltschutzbehörde neu besetzt; das Bildungsministerium fiel an Betsy DeVos. Die Milliardärin pflegt die Ansicht, dass die Schöpfungsgeschichte exakt so stattgefunden hat, wie sie in der Bibel zu lesen ist. Und dies soll auch an den Schulen unterrichtet werden. Eine Bewegung von sogenannten Kreationisten, die sich mit ihrer kruden Theorie gerne wissenschaftlich geben und darum ihrer "Lehre" den schicken und unverfänglichen Namen "Intelligent Design" geben. Belächeln aber sollte man das nicht. Mehr als die Hälfte der Amerikaner glaubt an die biblische Schöpfungsgeschichte im Maßstab eins zu eins. Die Evolutionstheorie rangiert zunehmend unter den Fake News.

Und jüngstes Beispiel: In Budapest hat das Parlament vor ein paar Tagen beschlossen, neue Bedingungen für ausländische Hochschulen in Ungarn aufzustellen. Davon ist unter anderem die Central European University betroffen und ihr Betrieb gefährdet. In einem Aufruf deutscher Hochschulen heißt es zu diesem Vorgang, dass das Motiv populistischer Regierungen der Anspruch sei, das sogenannte "wahre Volk als eine gedachte Gemeinschaft mit gleicher Herkunft und Gesinnung zu repräsentieren". Daher versuchten sie "alles zu verdrängen, was diese Einheitlichkeit stört - Ausländer, Andersgläubige und kritische Intellektuelle".

Das postfaktische Zeitalter scheint ernst zu machen. Antiaufklärung beflügelt Menschen, denen das Unübersichtliche der Welt Angst und Sorgen bereitet. Souveräne Mündigkeit verlangt eben auch Wissen. Die Flucht ins Irrationale ist dann der Ausweg zur Schaffung "einer Welt, wie sie mir gefällt". Die massenhafte Abkehr von den Wegen der Vernunft bestärkt die Irrenden - nach dem simplen Prinzip: Wer nicht allein ist mit seiner Ansicht, kann so falsch auch nicht liegen.

Das Ansehen der Wissenschaftler jedenfalls sinkt, und der Hass auf ihre aufklärerische Haltung wächst. Nicht die Folgen des Klimawandels sind dann die Bedrohung, sondern die Kassandra-Rufe der "Studierten". Das postfaktische Zeitalter droht die Menschen um 200 Jahre zurückzuwerfen. An die Stelle des Fürsten tritt aber jetzt der starke Mann, der Populist, der sich um die Wirklichkeit nicht scheren muss, weil er es ist, der entscheidet, was wahr ist und was als Fake zu gelten hat.

Beim heutigen "March for Science" steht also viel auf dem Spiel. Eine Epoche der Menschheit wird infrage gestellt. Eine Zeit des Fortschritts, von dem wir in vielen Bereichen profitieren. Eine Zeit, die den Menschen Mündigkeit zugesprochen hat.

Es gibt eine berühmte Grafik des spanischen Künstlers Francisco de Goya (1746-1828). Darauf ist ein Mann im Tiefschlaf zu sehen; vor ihm liegen auf einem Tisch Zeichengeräte und Papierbögen, während hinter ihm eulenähnliche Wesen aufsteigen und sich der Welt bemächtigen. Der weise Titel dieses so alten Blattes: "Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer".

(los)
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