Kommentar zum Tag der Deutschen Einheit Warum Einheit mehr ist als ein nationaler Wert

Düsseldorf · Am Donnerstag wird erneut die Deutsche Einheit gefeiert. Jedoch: Einheit ist nur dann kein hohles Wort, wenn nationale Einheit auch beglaubigt wird – durch gelebte Solidarität.

 Dorothee Krings: "Einheit" ist alles andere als ein hohles Wort.

Dorothee Krings: "Einheit" ist alles andere als ein hohles Wort.

Foto: Phil Ninh

Am Donnerstag wird erneut die Deutsche Einheit gefeiert. Jedoch: Einheit ist nur dann kein hohles Wort, wenn nationale Einheit auch beglaubigt wird — durch gelebte Solidarität.

Manche Begriffe sind vollgesogen mit positiven Empfindungen wie früher die Briefmarkenschwämmchen am Postschalter. "Einheit" zum Beispiel weckt Vorstellungen von Versöhnung, Frieden, Verlässlichkeit. Allerdings ruht tief im Innern des Begriffs auch ein Auftrag: Denn um Einheit muss gerungen werden, sie ist nie selbstverständlich.

Wenn wir also am Donnerstag die Deutsche Einheit feiern, dann zeugte es von falscher Gemütlichkeit, ein Gläschen auf die Nation zu trinken und sich der erhebenden Momente zu erinnern, als die Mauer fiel. Denn die staatsrechtliche Einheit muss durch eine menschliche beglaubigt sein, durch eine Solidargemeinschaft, in der Einigkeit darüber herrscht, dass keine Region abgeschrieben, keine Bevölkerungsgruppe die sein sollte, die eben Pech gehabt hat.

Im Kleinen kann dieser Solidaritätsgedanke Menschen bewegen. Nachbarschaftsinitiativen, die vielen Ehrenamtler , die Förderstunden geben, benachteiligten Kindern vorlesen, Essenstafeln organisieren, belegen das. An einer Gesellschaft mitzuarbeiten, in der es möglichst wenig Verlierer gibt, möglichst wenig Grund für Sozialneid, ist ein begeisterndes Ziel. Denn in Wahrheit ist der Mensch ja ein anteilnehmendes Wesen, das sich in der Evolution überhaupt nur durchsetzen konnte, weil es sich zu sozialen Gefügen zusammenfinden und nach dem Wohl für möglichst viele streben kann.

Schwierig wird es mit der Solidargemeinschaft, wenn die Verhältnisse unübersichtlich werden, wenn Länder in Ausgleichstöpfe zahlen müssen, die Empfänger anonym bleiben, Ost gegen West ausgespielt wird, obwohl manche Kommune im Bergischen längst ärmer ist als in Thüringen. Natürlich lässt sich sozialer Ausgleich auf rein privater Ebene nicht organisieren, doch ist auch Skepsis verständlich, wenn die Lasten der Solidarität einseitig verteilt erscheinen.

Eine Gesellschaft muss also öffentlich diskutieren, wie sie an ihrer sozialen Einheit arbeiten will — und Steuern sind da nur eine Methode. Das fällt leichter, wenn Einverständnis darüber herrscht, dass die nationale Einheit noch kein Wert an sich ist, dass sie gelebt werden muss — und dass das Freude macht. Das wäre ein Grund zu feiern.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unsere Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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