Kolumne: Gott Und Die Welt Seid ohne Furcht!

Jetzt, da die Tage kürzer und die Nächte länger werden, trösten uns die bunter werdenden Blätter der Bäume über den Verlust des Lichtes hinweg. An Erntedank tragen wir die goldgelben, hellroten und dunkelgrünen Früchte des Feldes und der menschlichen Arbeit in die Kirchen. Zum Erntedankfest gehören mancherorts Festumzüge mit geflochtenen Erntekronen und Strohpuppen. Obst, Korn und Gemüse vom Feld schmücken die Altäre. Es wird das irdische Leben gefeiert, das in der Sonne reift. Christen danken Gott, dem Schöpfer aller Gaben, für die Ernte. Es wird bewusst: Wir sind selbst ein Teil der göttlichen Schöpfung, und als Abbild Gottes stehen wir in einer besonderen Verantwortung für die gute und gerechte Verteilung der Gaben.

An Allerheiligen geht der Blick hinüber zu unseren Verstorbenen, die uns auf dem Weg in die Ewigkeit bei Gott vorausgegangen sind. Es ist ein Tag stillen Gedenkens, an dem sogar laute Partymusik untersagt ist. Christinnen und Christen stellen Lichter auf die Gräber ihrer Verstorbenen und beten für sie. In Mexiko treffen sich die Menschen an diesem "Dia de los Muertos" ("Tag der Toten") nicht nur zum Gebet, sondern sogar zum Essen an den Gräbern, um beim Mahl der Verstorbenen zu gedenken und sie in ihrem Leben bei Gott zu grüßen. In der Nacht von Allerheiligen steht der Himmel einen Spalt offen, sagt man dort. Selbst Halloween, heute so in Mode, leitet sich als altirisches Fest von Allerheiligen - All Hallows' Eve - ab.

Zwei Feste - das eine so diesseitig, das andere so jenseitig - und doch eine Botschaft: Wo auch immer wir sind, Gott ist da! Auf allen Sonnen- und Schattenseiten des irdischen Lebens und in himmlischer Ewigkeit auch darüber hinaus.

Gerade diesen Herbst ist die Frage in unserem Land so virulent, wie es denn weitergeht, wenn so viele Menschen mit anderem religiösen Hintergrund bei uns eine neue Heimat suchen. Dazu kann ich nur sagen: Seid ohne Furcht, die eigenen kulturellen und religiösen Wurzeln zum Ausdruck zu bringen und im Vertrauen auf Gott, der uns allen das Leben geschenkt hat, aufeinander zuzugehen - ohne die vielfach geschürte Angst um kulturelle Bodenverluste. Verluste haben die Menschen erfahren, die sich oft mit letzter Kraft zu uns geflüchtet haben. Gott weiß darum - und um deren verstorbene Angehörige; vielleicht denken wir in diesem Jahr an Allerheiligen auch an diese Menschen.

Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki schreibt hier an jedem dritten Samstag im Monat. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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