Analyse So will Mario Draghi die europäische Wirtschaft retten

Frankfurt · Die konventionellen Instrumente der Europäischen Zentralbank (EZB) haben bislang nicht gefruchtet, die Deflationsgefahren des Euro-Raums zu bannen. 2015 setzt EZB-Präsident Draghi auf einen brachialen Befreiungsschlag.

Das ist Mario Draghi
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Foto: dpa, bjw

In der sonst so nüchternen Geldpolitik haben martialische Ausdrücke Einzug gehalten. Von der Bazooka, der panzerbrechenden Waffe, oder gar der dicken Berta, der Wunderkanone aus dem Ersten Weltkrieg, ist die Rede, wenn es darum geht, den Euro zu retten und eine drohende Deflation in Europa zu vermeiden. Ein enger Kreis um den italienischen Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, hat sich fast verschworen, um die europäische Wirtschaft aus ihrer gegenwärtigen Krise zu ziehen und die Abwärtsspirale zu stoppen. Das Jahr 2015 hat die EZB-Führung zum Jahr der Entscheidung ausgerufen. Entweder die Wende gelingt, oder der Euro-Raum versinkt im wirtschaftlichen Chaos, heißt es im Umkreis Draghis. Um eine Billion Euro will die EZB nun ihre Bilanz ausdehnen. Das ist mehr als ein Drittel der jährlichen Wirtschaftsleistung Deutschlands (Bruttoinlandsprodukt).

EZB müsste gar nicht handeln

Es ist Wirtschaft paradox. Denn die Aufgabe des Systems der europäischen Notenbanken besteht gar nicht darin, die Wirtschaft anzukurbeln oder einzelnen Euro-Ländern zu helfen, die in eine finanzielle Schieflage geraten sind. "Das vorrangige Ziel ist es, die Preisstabilität zu gewährleisten", heißt es im Artikel 127 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Erst wenn dieses Ziel erreicht ist, darf die EZB auch in der allgemeinen Wirtschaftspolitik unterstützend eingreifen.

Draghi und seine Verschworenen haben dieses Ziel umgekehrt. Weil der EZB-Rat die Preisstabilität bei "unter, aber nahe zwei Prozent" festgelegt hat, bedeutet die aktuelle Inflationsrate des Euro-Raums von 0,3 Prozent im November, dass die Geldentwertung viel zu gering ausfällt. Das versetzt die EZB in die skurrile Lage, die Inflation anzuheizen, statt sie zu bekämpfen, wie es eigentlich ihre Aufgabe ist. Draghi argumentiert dabei, dass sie das auch muss. Denn wenn die Preise nur noch ganz schwach steigen oder sogar fallen, die Wirtschaft also in die Deflation fällt, halten sich Konsumenten und Investoren zurück. Der Wachstumsmotor kommt ins Stottern oder legt gar den Rückwärtsgang ein - pures Gift für die hochverschuldeten Länder. Die haben dann keine Chance, wieder Fuß zu fassen. Sie versinken stattdessen in Armut, Arbeitslosigkeit und Apathie.

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Foto: dpa/Julian Stratenschulte

Blick nach Amerika ruft Kritik hervor

Großes Vorbild für die EZB-Führung sind die Vereinigten Staaten. Über den gewaltigen Zukauf von Staatsanleihen hat die Federal Reserve Bank seit 2007 die Aktivposten in ihrer Bilanz verfünffacht. Das sind 25 Prozent der US-Wirtschaftsleistung. In Japan, dem anderen Vorbild der EZB, beträgt die Bilanzsumme der Notenbank bereits mehr als die Hälfte des dortigen Bruttoinlandsprodukts. "Der Unterschied zur monetären Staatsfinanzierung durch die Notenbank ist zumindest erklärungsbedürftig", meint dazu Joachim Nagel, der als Vorstand der Deutschen Bundesbank für die Geldmarktoperationen verantwortlich ist.

EZB wird wohl Schrottpapiere kaufen

Genau diese Form der Staatsfinanzierung ist im Euro-System verboten. Doch wie so vieles in der derzeitigen Euro-Krise scheint auch dieses Verbot für Draghi und die Seinen nicht mehr zeitgemäß zu sein. Denn die Billion, die die EZB an Wertpapieren kaufen will, ist nur über den Markt an Staatstiteln zu schaffen. Schon nach der ersten Sitzung der Euro-Notenbank Mitte Januar dürfte das gewaltige Kaufprogramm beginnen. Die EZB kauft dann alle Risikoklassen auf, derer sie habhaft werden kann - von den unbedenklichen mit dem Rating BBB- bis zu völligen Schrottpapieren, die mit D wie "Default" oder "sicherer Ausfall" bewertet werden.

"Es ist schwer nachvollziehbar, dass bei der regulatorischen Risikobewertung von Staatspapieren Banken nach wie vor kein Eigenkapital vorzuhalten zu haben. Dabei hat die Finanzkrise gezeigt, dass Staatspapiere mit Risiken behaftet sind. Auch das Eurosystem kann solche Risiken nicht einfach ignorieren", bemängelt Bundesbank-Vorstand Nagel, der wie sein Chef, Bundesbankpräsident Jens Weidmann, den Ankauf der Staatstitel skeptisch sieht. In einem Papier, das er jüngst vor dem "Monetären Workshop", einem Diskussionsforum namhafter Banker, Wissenschaftler, Wirtschaftspolitiker und Unternehmer, präsentierte, fasste er noch einmal die wichtigsten Bedenken seiner Institution zusammen. Danach sei es beim Vergleich zwischen Eurosystem und Dollar-Raum- wichtig zu betonen, dass die Staatsschulden nur von einer einzigen Regierung garantiert würden. Das Eurosystem sehe sich jedoch der fiskalpolitischen Hoheit der Euro-Staaten gegenüber. "Europa ist weit weg von einer Fiskalunion", mahnte er. Und solange hätten geldpolitische Maßnahmen in den USA und im Euro-Raum einen unterschiedlichen Risikocharakter.

Vielleicht scheitert der EZB-Plan auch einfach am Markt

Nicht nur Nagel als Vertreter der Bundesbank hält die EZB-Strategie "für sehr riskant". Auch an anderer Stelle mehren sich die kritischen Stimmen. "Die Europäische Zentralbank steht nicht an der Seite der Sparer", moniert Sparkassenpräsident Georg Fahrenschon. Die Kritiker sehen auch keine Notwendigkeit, die Deflation zu bekämpfen, sofern die Preise noch leicht steigen. Für Deutschland beträgt die Inflationsprognose im kommenden Jahr 0,7 Prozent, 2016 sogar 1,3 Prozent. Und darin ist der Ölpreisverfall voll enthalten. Außerdem ist längst nicht sicher, ob die Banken an der großen Kaufaktion der EZB überhaupt teilnehmen. Denn sie haben oft keine Verwendung für das neue Geld und legen es wieder bei der Notenbank an.

Gut möglich, dass es der EZB gar nicht gelingt, ihre Bilanz auszuweiten. Sie könnte gar gezwungen sein, den derzeitig negativen Zinssatz für Einlagen von minus 0,2 Prozent weiter abzusenken. Schlechte Aussichten für Draghis Billionen-Spiel.

(RP)
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