Analyse Gotteslästerung - bestrafen oder nicht?

Düsseldorf · Die Grünen plädieren erneut für die Abschaffung des Blasphemie-Paragrafen 166 des Strafgesetzbuches. Er kommt kaum zur Anwendung, weil das 1969 eingefügte Tatbestandsmerkmal "Störung des öffentlichen Friedens" selten erfüllt wird.

Christen bilden die meist verfolgte Glaubensgemeinschaft weltweit. Die entsprechende Zahl wird auf Hundert Millionen Menschen geschätzt. Politiker wie CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder prangern das den Christen vornehmlich in islamisch dominierten Ländern zugefügte Leid an. Hochrangige Grünen-Vertreter wie Volker Beck und Cem Özdemir treibt anderes um: wie sich endlich der Gotteslästerungs- oder Blasphemie-Paragraf 166 aus dem Strafgesetzbuch (StGB) tilgen lässt.

Der Ursprung der Vorschrift liegt im 19. Jahrhundert nach der Reichsgründung. 1969 wurde Paragraf 166 StGB entschärft. Der Paragraf schützt seither nicht in erster Linie das, was einem einzelnen Gläubigen, egal ob er Christ, Muslim oder Jude ist, heilig ist, vielmehr den öffentlichen Frieden. Die Religionsbeschimpfung oder -verächtlichmachung muss also nicht nur geeignet sein, religiöse Gefühle schwer zu verletzen, indem sie Inhalte des Glaubens in den Schmutz zieht; hinzukommen muss als weiteres Tatbestandsmerkmal die Störung des öffentlichen Friedens. In der Vergangenheit sind Verurteilungen (§ 166 StGB sieht Sanktionen von bis zu drei Jahren Haft oder Geldstrafe vor) in aller Regel daran gescheitert, dass erstens Religionsbeschimpfungen als zulässige Formen grundgesetzlich geschützter Meinungs- und Kunstfreiheit gewertet wurden; und dass zweitens eine "Störung des öffentlichen Friedens" nicht vorlag.

So wurden vor wenigen Tagen Ermittlungen gegen den Satiriker Dieter Nuhr eingestellt, der von einem aufgebrachten Muslim angezeigt worden war, weil Nuhr extreme Strafen in muslimischen Ländern verspottet hatte. Die Staatsanwaltschaft befand, dass weder der Straftatbestand der Blasphemie (§ 166) noch der Volksverhetzung (§ 130 StGB) erfüllt sei. Es handele sich erkennbar um Satire, nicht etwa um fremdenfeindliche Hetze oder Religionsbeschimpfung mit Friedensstörungs-Potenzial. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland hielt die Strafanzeige seines erzürnten Glaubensbruders ebenso für überzogen.

Grünen-Chef Cem Özdemir nahm, wie das zuvor schon zum wiederholten Mal sein Bundestags-Parteifreund Volker Beck getan hatte, den Fall Nuhr zum Anlass, für eine Abschaffung der Gotteslästerungs-Vorschrift zu plädieren. Diese könne von christlichen und anderen Fundamentalisten dazu benutzt werden, um den öffentlichen Frieden nachhaltig zu stören. Es sei diesen Fundamentalisten zuzutrauen, durch gezielte Reaktionen auf religionskritische Äußerungen den öffentlichen Frieden tatsächlich zu stören. Für Özdemir gehört Religionskritik zur Demokratie und Aufklärung.

Özdemir will es allein beim seiner Ansicht nach "völlig ausreichenden" Volksverhetzungs-Paragrafen 130 StGB belassen. Die Vorschrift schützt ebenso wie § 166 zuallererst den öffentlichen Frieden; sie dient jedoch darüber hinaus nicht dem Schutz religiöser Gefühle, vielmehr de facto dem Schutz vor Hassaufrufen, Hetze und Willkürmaßnahmen gegen "Teile der Bevölkerung", sprich Minderheiten. Wer also sagt: "Streicht den 166 und belasst es allein beim 130" signalisiert, dass ihn die schwerwiegende Verletzung religiöser Gefühle, die mehr sein muss als Geschmacklosigkeit im Mantel der Kunstfreiheit, wenn sie strafbar sein soll, nicht tangiert. Der Autor und Büchner-Preisträger Martin Mosebach sagte hierzu, die Gotteslästerung sei zur lässigen Attitüde oder kalkulierten Spielerei verkommen. Blasphemie sei, wenn sie sich nicht gegen den Propheten Mohammed richte, vollständig risikolos.

(RP)
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