Guantánamo Guantánamo - wie für die Ewigkeit gebaut

Guantánamo · Ein Besuch im umstrittensten Gefängnis der Welt ist möglich, aber nur zu den Bedingungen des US-Militärs. Vorgeführt wird Routine.

Bay Ein alter Mann mit grauem Bart, auf dem Kopf eine gehäkelte Mütze, sitzt an einem blank polierten Tisch aus Metall. Ein anderer, dem Anschein nach deutlich jünger, ein wallendes braunes Hemd über der hellen Hose, läuft pausenlos auf und ab, so als wollte er sich fit halten. Der Ältere hat sich drahtlose Kopfhörer über die Ohren gestülpt, auf dem Tisch stehen Wasserflaschen und Styroporbehälter mit Essen. Durch den Sehschlitz, durch den einen Wachsoldaten in den Gemeinschaftsraum schauen lassen, ist das schwache Flimmern eines Fernsehers zu erkennen. Als der Jüngere stehenbleibt, sich mit verschränkten Armen hinter den Älteren stellt und in Richtung Schlitz guckt, drängen die Militärs zum Aufbruch, anfangs höflich, dann sehr resolut. Vielleicht 40 Sekunden hat er gedauert, der Einblick ins Innenleben des Camps 6, des modernsten der drei Gefängnisse des Lagers Guantánamo, 2006 gebaut nach dem Modell einer Haftanstalt in Michigan.

Draußen schlagen karibische Wellen gegen die Steilküste. Ein schmales Asphaltband schlängelt sich hinab zum Windmill Beach, einem grauen Strand unter Königspalmen, von wo der Blick über kakteenbewachsene Hügel auf Windräder geht. In der Nähe kreisen Gänsegeier, am Straßenrand sonnt sich das Prachtexemplar eines Leguans.

Es ist eine seltsame Welt, eine Welt voller Widersprüche. Ein Naturparadies, in dem sich Tierfreunde in Uniform rührend um jede Schildkröte kümmern und wo Tauchkurse an den Korallenriffen der Bucht mit ihrem türkisgrünen Wasser hoch im Kurs stehen. Eine Kleinstadt, die eher an Kansas denken lässt als an Kuba: Es gibt einen McDonald's, eine irische Kneipe namens O'Kelly's, eine Filiale von KFC. Und zwischendrin Stacheldraht in Doppelrollen, Wachtürme, Flutlichtstrahler und am Gefängniszaun dicke Betonpoller, auf denen, ein Buchstabe pro Poller, das Wort "Honor" steht. Ehre.

Es ist 13 Jahre her, dass die ersten Gefangenen nach Guantánamo gebracht wurden. Heute sitzen noch 122 hinter Gittern, während es auf dem Höhepunkt 779 waren. 55 könnten entlassen werden, würden sich Länder finden, die sie aufnehmen. Für eine Anklage fehlen Beweise, zudem stufen Weißes Haus, CIA und Pentagon sie nicht mehr als Sicherheitsrisiko ein. Doch so oft Barack Obama wiederholt, dass er das Lager zu schließen gedenkt, weil es Amerikas Werte verletze, vor Ort ist nichts davon zu spüren.

Die Provisorien der Anfangszeit sind Geschichte, die neuen Gefängnisse, Camp 5 und Camp 6, stehen da wie für die Ewigkeit gebaut. Die Lagerbibliothek ist auf 21 000 Bücher angewachsen, zumeist Spenden des Roten Kreuzes. Im Flur hängen Aquarelle, Kostproben dessen, was talentierte Künstler unter den Eingesperrten gemalt haben. Jemenitische Hochhäuser aus Lehm. Der Felsendom in Jerusalem. Ein romantischer Sonnenuntergang. Hat einer sein Werk signiert, ist der Name unter einem schwarzen Balken verschwunden. Und fragt man nach Camp 7, dem geheimen Knast, in dem Khalid Scheich Mohammed und vier weitere mutmaßliche Terrorplaner des 11. September 2001 einsitzen, gibt ein Captain lächelnd die immergleiche Antwort. "Weder bestätigen wir seine Existenz, noch dementieren wir sie."

Kyle Cozad sitzt in einem fensterlosen Konferenzraum vor einem Sternenbanner und sagt, dass er keine Kristallkugel besitze und folglich nicht wissen könne, wann der Präsident den Abzug anordne. Bis dahin halte er sich an den Befehl, die Internierten "auf sichere, humane, transparente und rechtmäßige Weise" zu bewachen. Der schlaksige Konteradmiral fügt hinzu, dass jeder der 122 Häftlinge gefährlich sei. Es klingt, als hätte George W. Bushs "Krieg gegen den Terror" gerade begonnen, obwohl Obama den Begriff aus dem Sprachschatz seiner Regierung verbannte.

Warum dürfen Reporter nicht mit den Gefangenen reden, Sir? Cozad zitiert die Genfer Konvention, die es verbiete, die Lage eines Festgehaltenen auszunutzen, indem man ihn zwinge, mit Journalisten zu reden. Warum sollte ein Journalist eine solche Lage ausnutzen? "Wenn ich jedem von draußen, der nicht wirklich Bescheid wissen muss, solche Gespräche gestatte, dann liefe es genau darauf hinaus. Wir sind kein Zirkus, wir sind eine Haftanstalt."

Wie es dann um die Transparenz bestellt sei? Um ausgewogene Berichterstattung? "Ich sitze ja hier, um dieses ausgewogene Bild zu vermitteln", antwortet Cozad und verzieht keine Miene. Im Juli hat der Mann aus Las Vegas seine zwölf Monate an der Spitze der Joint Task Force, der Wachtruppe Guantánamos, hinter sich. Er ist der elfte Kommandant des Lagers. Wie viele ihm noch folgen, darüber will er nicht spekulieren.

Ein Aufseher malt in unappetitlichen Einzelheiten aus, was er den Cocktail nennt. Ein Gemisch aus Urin, Fäkalien, Wasser und Sperma. Aufsässige Insassen, konzentriert im Camp 5, schleuderten es ihren Wärtern entgegen, sobald sich eine Tür öffne. An der hellen Schaumstoffdecke im Gang kleben braune Flecken. Der Colonel David Heath, direkt für das Gefängnis zuständig, erzählt, dass seine Leute Plastikanzüge tragen, um sich vor den Cocktails zu schützen. Die Gegenseite kommt nicht zu Wort.

In der Klinikbaracke stehen Sessel, die an Zahnarztstühle erinnern. Davor sind Fußfesseln fest im Beton verankert. Wer auf einem solchen Sessel landet, wird zwangsernährt, über einen Gummischlauch, weil er sich im Hungerstreik befindet. Seit sich vor zwei Jahren mehr als 100 Gefangene dem Protest anschlossen, hat das Militär entschieden, die Zahl der Hungerstreikenden unter Verschluss zu halten. Gäbe man sie frei, würde man nur Nachahmer anstiften, sagt Smo.

"Smo" steht für Senior Medical Officer, leitende Sanitätsoffizierin. Dass Smo brünett ist und relativ klein, darf man schreiben. Wie sie heißt, hingegen nicht. Welche Schmerzen die Schläuche verursachen können, hat der Jemenite Samir Naji al-Hassan Moqbel, seit 2002 hinter Gittern, einmal in einem Brief an die "New York Times" geschildert. "Als sie den Schlauch hineinstießen, fühlte ich mich, als müsste ich mich übergeben, aber ich konnte es nicht." Bei Smo verschwindet die Realität hinter Wolken aus Sprechblasen. Hungerstreik? Stattdessen spricht die Ärztin von "nichtreligiösem Fasten", wobei sie hinzufügt, dass man das Fasten im Ramadan selbstverständlich respektiere. Zwangsernährung? "Ernährung per Magensonde", korrigiert Smo. Wird sie auf Moqbel angesprochen, erzählt sie von ihren Patienten zu Hause: Der eine vertrage Magensonden gut, der andere weniger gut. Genauso sei es in Guantánamo.

John Imhof kommt statt im Jeep auf dem Fahrrad zum Interview. Der Mann mit dem schütteren Haar, ein Richter aus dem Bundesstaat New York, organisiert die Militärverfahren gegen die mutmaßlichen Drahtzieher der Anschläge des 11. September 2001. Die Anhörungen ziehen sich hin, der eigentliche Prozess hat noch immer nicht begonnen. Ständig platzen Termine. Zuletzt ging es um die Frage, warum die Armee Frauen einsetzen muss, um die Gefangenen aus ihren Zellen zum Gericht zu transportieren. Einige der Verdächtigen lehnen es ab, aus religiösen Gründen. Das Militär besteht aber darauf, man will keine Präzedenzfälle. Wie lange es noch dauert bis zu einem Urteilsspruch? Jahre? Jahrzehnte? "Es geht in angemessenem Tempo voran", zieht sich Imhof aus der Affäre.

(RP)
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