Analyse Kuba-Kurs wird für Obama zur Gratwanderung

Miami · Die Annäherung an Havanna könnte die Demokraten in Florida entscheidende Stimmen kosten. Hier leben zwei Millionen Exil-Kubaner, die als Castro-feindliche Hardliner gelten. Der Staat der Wechselwähler ist von größter Bedeutung bei US-Präsidentschaftswahlen.

Die Calle Ocho ist mehr als eine Straße. Dem Stadtplan nach ist sie die 8th Street, die achte Straße im Südwesten Miamis, nur dass sie keiner so nennt. Calle Ocho, der spanische Name steht für eine geballte politische Macht. Dort, wo das Restaurant "Versailles" mit wandgroßen Spiegeln französische Schlossatmosphäre vermitteln will und Rentner halbe Tage beim Dominospiel in einem Park verbringen, schlägt das Herz des kubanischen Exils.

Was man an der Calle Ocho über die Annäherung an Havanna denkt, lässt sich kurz auf die Formel bringen: keine Kompromisse mit den Castros. Früher nicht mit dem früheren Staatschef Fidel, heute nicht mit seinem Bruder Raul.

Die Macht der symbolischen Magistrale erklärt sich aus den Eigenheiten amerikanischer Wahlgeografie: Wer ins Weiße Haus einziehen will, muss in Florida gewinnen, wo sich Demokraten und Republikaner alle vier Jahre ein dramatisches Kopf-an-Kopf-Rennen liefern. Und wer bei den "Cuban-Americans" nicht zu punkten versteht, den zwei Millionen Exilkubanern und ihren Nachkommen, die zu drei Vierteln im Süden des "Sunshine State" leben, der hat von vornherein schlechte Karten.

Lange konnte die Calle Ocho mit dem Pfund wuchern, jahrzehntelang war die amerikanische KubaPolitik eine Gefangene innenpolitischer Zwänge. Republikanische Präsidenten übernahmen oft eins zu eins, was der harte Emigrantenkern dachte, während es demokratische nur selten wagten, die Calle Ocho herauszufordern. Auch dann nicht, wenn sie erkannt hatten, wie stark dieses "Alles oder Nichts" ihren Spielraum einschränkte.

Es war Bill Clinton, der das Dilemma am anschaulichsten skizzierte. Als er 1996 den Helms-Burton-Act unterschrieb, ein Gesetz, das es dem amerikanischen Staatschef immens erschwerte, das Handelsembargo gegen die Insel ohne grünes Licht des Parlaments ad acta zu legen, tat er es, nachdem die Kubaner zwei Flugzeuge einer Anti-Castro-Gruppe abgeschossen hatten. Die Calle Ocho war daraufhin auf die Barrikaden gegangen. Die Novelle zu unterstützen, so schrieb der frühere Präsident in seinen Memoiren, "war zwar ein guter Schachzug in einem Wahljahr, andererseits nahm es mir jede Möglichkeit, positive Veränderungen in Kuba mit einer Aufhebung des Embargos zu honorieren".

Allein schon die Vorgeschichte illustriert das innenpolitische Risiko, das der jetzige Präsident Barack Obama mit seinem Normalisierungskurs eingeht. "Hat er Florida gerade an die Grand Old Party verloren?", spitzt das Magazin "New York" die Frage zu. Konservative Hardliner sagen exakt das, was man von ihnen erwartet hatte. Schlechter als Obama habe, solange er zurückdenken könne, noch nie einer im Oval Office verhandelt, zürnt Marco Rubio, ein aufstrebender Senator, dessen Eltern einst aus Kuba nach Miami flohen, allerdings drei Jahre vor Fidel Castros Machtübernahme.

Obama habe dem Regime alles gegeben, was es verlangte, und fast nichts dafür bekommen: "Es wird keine freien Wahlen geben, keine demokratischen Parteien, keine Pressefreiheit, nichts dergleichen wird passieren, nur weil die Leute nun Coca-Cola kaufen können", empört sich Rubio. Gewichtiger als die Rhetorik ist die Andeutung der Daumenschrauben, die eine ab Januar republikanisch beherrschte Legislative der Exekutive anlegen könnte. Blockiert der Kongress die benötigten Gelder, kann die angepeilte US-Botschaft in der kubanischen Hauptstadt Havanna fürs Erste nicht öffnen. Verweigert er dem Kandidaten von Barack Obama für den Botschafterposten die Zustimmung, kann der Kongress das politische Tauziehen um die Haltung zu Kuba noch zusätzlich in die Länge ziehen.

Dennoch, interessant sind die Nuancen. So wie es in den Reihen der Demokraten Stimmen gibt, die in dem Kurswechsel einen Ausverkauf sehen, gibt es Republikaner, die öffentlich mit den Hardlinern im eigenen Lager brechen. "Mein Bauchgefühl sagt mir, dass die meisten meiner Kollegen denken, der Schritt war überfällig", meint Jeff Flake, ein konservativer Senator aus Arizona, einer der drei Politiker, die nach Havanna flogen, um den freigelassenen IT-Spezialisten Alan Gross abzuholen.

Dann sind da noch die neuesten Umfragen, die ein Umdenken in der Calle Ocho signalisieren - offenbar die Folge eines Generationenwechsels. Laut Pew-Institut lehnen es 68 Prozent der "Cuban-Americans" inzwischen nicht mehr rundheraus ab, diplomatische Beziehungen zu Havanna aufzunehmen.

(RP)
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