Analyse Spionage wird zur Heimarbeit

Düsseldorf · US-Präsident Barack Obama weist 35 russische Diplomaten aus - als Antwort auf angebliche Cyberangriffe im Wahlkampf. Wladimir Putin reagiert gelassen. Die Cyber-Affäre wirft ein grelles Licht darauf, wie Agenten heute arbeiten.

Die Welt verliert viel von ihrem Zauber. Schleier werden gelüftet, Geheimnisse schonungslos und von den Betroffenen in der Regel ungewollt ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt. Persönliche Daten werden dazu gesammelt, und wirtschaftlich und politisch Brisantes wird gehortet. Dann wird es "genutzt", um eigene Interessen zu verfolgen und Vorteile auszunutzen. Früher nannte man das altmodisch Spionage, wenn Menschen andere Menschen ausleuchteten, wenn Spione Daten und Vorgänge sammelten, um dem Auftraggeber einen unrechtmäßigen Vorteil zu verschaffen. "Wissen ist Macht", sagte schon der englische Philosoph Francis Bacon im 16. Jahrhundert. Doch der ging noch davon aus, dass man in mühevoller Kleinarbeit und mit viel Selbstdisziplin sein eigenes Wissen um die Welt gemehrt hatte. Heute nennt man das Handwerk Cyber-Kriminalität. Früher ging der Spion ein persönliches Risiko ein, enttarnt und gestellt zu werden. Heute lässt sich das unsaubere Geschäft nicht selten als Heimarbeit betreiben. Die USA und Russland sind ein Beispiel dafür.

Wladimir Putin gab sich gestern großmütig. Er will auf den Rausschmiss von 35 russischen Diplomaten aus den USA nicht mit einer sonst üblichen Retourkutsche reagieren und reihenweise US-Bürger als unerwünschte Personen vor die Tür setzen. "Wir werden niemanden ausweisen und keine Probleme für US-Diplomaten in Russland schaffen", sagte er gestern in Moskau. "Ich lade alle Kinder der in Russland akkreditierten Diplomaten zu einem Neujahrs- und Weihnachtsfest in den Kreml ein", ließ Putin sanftmütig die Welt wissen. Doch damit dürfte die Angelegenheit nicht bereinigt sein. Putin bezeichnete Obamas Schritte als Provokation. Russland behalte sich das Recht auf Gegenmaßnahmen vor. Die weiteren Schritte hingen von der neuen US-Regierung unter Donald Trump ab. Zugleich gratulierte Putin Obama und Trump zum Neujahrs- und Weihnachtsfest.

US-Präsident Barack Obama hatte drei Wochen vor seinem Auszug aus dem Weißen Haus die Diplomaten mit der Begründung des Landes verwiesen, Russland habe während des US-Wahlkampfes mit Hackerangriffen auf die Demokraten Einfluss auf das Wahlergebnis genommen. Mit Cyber-Attacken und dem Diebstahl elektronischer Daten der Demokratischen Partei habe der Kreml dem späteren Wahlsieger Donald Trump geholfen. Der Kreml hatte dies immer entrüstet zurückgewiesen. Ob die USA nun ihrerseits mit Cyber-Gegenangriffen reagieren werden, ist offen. Täten sie es, wäre das wohl ein Rückfall in die Zeiten des Kalten Krieges.

Donald Trump erklärte, er wolle in der kommenden Woche mit den Geheimdiensten sprechen, um mehr über die Affäre in Erfahrung zu bringen. Er hatte stets daran gezweifelt, dass die Ausspähmaßnahmen von Moskau initiiert worden seien. Trump gerät nun unter Druck, denn die Entscheidung Obamas bindet auch ihn. Zwar kann er die Sanktionen nach Amtsantritt widerrufen, doch in seiner eigenen Partei trifft er auf massiven Widerstand. Der Vorsitzende des Repräsentantenhauses, der Republikaner Paul Ryan, sprang Obama bei und sagte, ein Vorgehen gegen Russland sei längst überfällig gewesen. Auch die Parteigenossen John McCain und Lindsey Graham gaben sich kämpferisch. Sie meinten, der neue Kongress könne noch strengere Sanktionen gegen Moskau veranlassen.

Doch die Cyber-Affäre zwischen Washington und Moskau wirft ein grelles Licht auf die neue Qualität weltweiter Spionage. Zeiten, in denen Spione mit hochgeschlagenem Mantelkragen in abgelegenen Parks Mittelsmänner oder auch -frauen trafen, sind vorbei. Das konspirative nostalgische Verhalten mag es vereinzelt noch geben. Heute brauchen Spione dank der Digitalisierung und der Verbundenheit von Behörden, Instituten und Unternehmen gar nicht mehr vor die Tür zu gehen. Modernste Elektronik und qualifizierte Hacker machen Spionage global möglich. Auch Kanzlerin Angela Merkel wurde ausgespäht, über ihr Handy und vom Freund Amerika.

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa erklärte vor wenigen Tagen, sie wisse seit Anfang November, dass sich Cyberkriminelle Zugang zu ihren Systemen verschafft hätten. Westliche Geheimdienste orteten die Gruppe APT28 als Täter. Es ist die gleiche Gruppierung, die auch die Demokraten im US-Wahlkampf ausgespäht haben soll. Die EU und die Nato haben sich jüngst darauf verständigt, Cyber-Attacken gemeinsam zu bekämpfen. Um die Cybersicherheit zu stärken, sollen im kommenden Jahr Trainingskurse und gemeinsame Cyber-Übungen abgehalten werden. Außerdem soll ein Zentrum gegen "hybride Bedrohungen" eingerichtet werden.

Die IT-Sicherheitsfirma Crowdstrike mit Sitz in Kalifornien erklärte, es handle sich bei APT28 um ein Kollektiv, das im Auftrag des russischen Geheimdienstes FSB agiere. APT29 werde vom russischen Militärnachrichtendienst GRU genutzt.

Und Deutschland? Leben wir auf einer Insel der Seligen, die von all dem kaum berührt wird? Wohl kaum. Es gab Hackerangriffe auf den deutschen Bundestag wie auch auf Ministerien. Deutsche Sicherheitsbehörden hatten auch russische Hacker in Verdacht. Telekom-Anlagen fielen aus, und in Deutschland steht eine Reihe von Wahlen an. Im Herbst dann die Bundestagswahl. Wirkungsvoller Schutz gegen solche Cyber-Attacken ist schwierig und vor allem kostspielig. Experten müssen geschult, und die Hardware muss ständig modernisiert werden. Viele Unternehmen, Behörden und Forschungsinstitute scheuen die Kosten. Wer aber nicht will, dass man ihm in die Wohnung schaut, der muss sich zur Not auch teure Vorhänge leisten.

(RP)
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