War es doch Mord?

DNA-Spuren an der Kleidung des CDU-Politikers deuten darauf hin, dass sich in der Todesnacht noch eine weitere Person in Zimmer 317 des Genfer Hotels "Beau Rivage" aufgehalten haben könnte.

Düsseldorf/Kiel Was geschah wirklich in Hotelzimmer 317? Noch immer geben die Umstände, die 1987 zum Tod des CDU-Politikers Uwe Barschel führten, Rätsel auf. War es Selbstmord – oder doch Mord?

Die Spekulationen um das jähe Ende des früheren schleswig-holsteinsichen Ministerpräsidenten im Genfer Nobelhotel "Beau Rivage" sind am Wochenende neu entfacht worden. Der Grund sind DNA-Spuren, die das Landeskriminalamt (LKA) Kiel jetzt an Barschels Wäsche gefunden hat. Laut "Welt am Sonntag" handelt es sich um "Mischspuren", die von zwei Personen stammen. Eine von ihnen sei Barschel gewesen – doch wem ist die andere Spur zuzuordnen? Führen sie zu dem Unbekannten, der am Tod von Barschel schuld sein soll?

Nach Angaben des ehemaligen Kieler Landtagsabgeordneten Werner Kalinka (CDU), der die Untersuchung angeregt hat, haben die LKA-Spezialisten "genetische Fingerabdrücke" auf Socken, Strickjacke und Krawatte Barschels aufspüren können, die dieser trug, als er in der Badewanne gefunden wurde. Für Kalinka erhärtet sich damit der Verdacht, dass noch jemand im Hotelzimmer gewesen sei – und Barschel umgebracht wurde.

Schon kurz nach dem Auffinden der Leiche waren Vermutungen laut geworden, Barschel, der gute Kontakte zur DDR-Staatssicherheit gehabt haben soll, sei aus dem Weg geräumt worden, weil er zu viel über Waffengeschäfte gewusst haben könnte. Ein ehemaliger Agent des israelischen Geheimdienstes Mossad behauptete später, Barschel sei vom Mossad getötet worden, weil er Details über einen geheimen Waffenhandel zwischen Israel und dem Iran im Transit über Schleswig-Holstein habe öffentlich anprangern wollen.

Doch auch Selbstmord kommt infrage. Barschel war damals politisch schwer angeschlagen und hatte sein Amt als Regierungschef niederlegen müssen.

Kurz vor der Landtagswahl hatte der "Spiegel" über eine Bespitzelungskampagne gegen den SPD-Politiker Björn Engholm berichtet, hinter der angeblich Barschel steckte. Kurz nach der Wahl, bei der die SPD mit ihrem Spitzenkandidaten Engholm stärkste Partei geworden war, gab Barschel "der gesamten deutschen Öffentlichkeit mein Ehrenwort – ich wiederhole: Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort –, dass die gegen mich erhobenen Vorwürfe haltlos sind". Immer stärker unter Druck geraten, gab der CDU-Ministerpräsident jedoch am 2. Oktober sein Amt auf. (Paradox: Engholm, der bald darauf sein Nachfolger wurde, musste Jahre später wegen einer Falschaussage sein Amt ebenfalls niederlegen.)

Barschel zog sich auf die Ferieninsel Gran Canaria zurück und ließ am 8. Oktober von dort einen Flug in die Schweiz buchen, weil er mit jemandem verabredet sei. Nach der späteren Aussage seiner Witwe Freya wollte sich ihr Mann mit einem gewissen "Roloff" treffen, der ihm entlastendes Material in Aussicht gestellt habe.

Am 10. Oktober traf Barschel in Genf ein. Der Kieler Landtag hatte inzwischen wegen der Spitzel-Affäre einen Untersuchungsausschuss eingesetzt, vor dem der Ex-Regierungschef am 12. Oktober hätte aussagen sollen. Doch dazu kam es nicht mehr. Ein Reporter und ein Fotograf des Magazins "Stern" fanden den Politiker tot in der Badewanne seines Hotelzimmers. Angeblich hatte Barschel, der offenbar schon seit Jahren Beruhigungsmittel einnahm, diverse Medikamente geschluckt und sich dann in die Wanne gelegt. An dieser offiziellen Version wurden aber heftige – auch medizinisch-toxikologisch begründete – Zweifel laut. Ungeklärt blieb zudem, wo die Flasche Rotwein geblieben ist, die sich Barschel nachweislich aufs Zimmer hatte kommen lassen.

Die neuen DNA-Spuren machen den Fall Barschel noch mysteriöser. Kalinka hat die Staatsanwaltschaft Lübeck aufgefordert, die 1998 bis auf Weiteres eingestellten Ermittlungen wieder aufzunehmen.

(RP)
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