Wurst für Veganer Der Siegeszug der Veggie-Wurst

Düsseldorf · Weil immer mehr Menschen auf Fleisch verzichten, müssen die Hersteller umdenken. Das Familienunternehmen Rügenwalder Mühle hat aus der Not eine Tugend gemacht - und erobert gerade mit fleischlosen Alternativen den Markt.

Wurst für Veganer: Der Siegeszug der Veggie-Wurst
Foto: Rügenwalder Mühle

Wenn das Logo eines Unternehmens eine Windmühle mit Flügeln in Wurstform zeigt, gibt es wenig Zweifel, was die Kunden erwartet. Seit 180 Jahren stellt das Familienunternehmen Rügenwalder Mühle Fleischwaren in allen Variationen her, inzwischen in der sechsten Generation: Teewurst, Leberwurst, Fleischwurst, Mett und Frikadellen — es gibt fast nichts, was es nicht mit dem Wurst-Mühlen-Logo gibt. Doch irgendwann beschlich Firmenchef Christian Rauffus wohl das Gefühl, dass dies nicht ausreichen könnte, um das Unternehmen auch für die nächsten sechs Generationen zu sichern.

"Die Wurst ist die Zigarette der Zukunft", sagte Rauffus dem "Spiegel". Angeblich haben sich seine Jagdkollegen anschließend über ihn lustig gemacht. "Christian, gehen wir mal vor die Tür, eine Wurst essen?", sollen sie gesagt haben. Doch vielleicht wird bald keiner mehr lachen, dann nämlich, wenn Rauffus recht behält.

Und danach sieht es momentan aus. Diverse Lebensmittelskandale und permanente Berichte über Massentierhaltung mit Antibiotika-gemästeten Tieren haben die Deutschen sensibel werden lassen. Überall im Land sprießen vegane Restaurants aus dem Boden, auf Veggie-Messen tauschen sich Fleischverzichter aus, unlängst hat in Berlin sogar der erste vegane Biergarten eröffnet. Kurzum: Das Geschäft mit der Ernährung ohne Fleisch boomt.

Der Vegetarier Bund (VEBU) geht davon aus, das zehn Prozent der Deutschen vegetarisch leben. Stimmen die Zahlen, würden damit 7,8 Millionen Menschen auf Fleisch verzichten. Etwa 900.000 leben demnach sogar komplett vegan. Die Zahlen steigen seit Jahren, während gleichzeitig die Nachfrage nach Wurst sinkt. Laut der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) ist sie seit 2008 um acht Prozent gesunken, die Nachfrage nach Fleisch ging sogar um fast neun Prozent zurück.

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Die Unternehmen müssen sich diesem Wandel anpassen, um ihre Kunden nicht an andere zu verlieren. Drogerien wie dm, aber auch Discounter wie Lidl oder Aldi bieten inzwischen vegetarische Produkte an. Und auch bei den Fleischproduzenten hat ein Umdenken stattgefunden. "Es wächst eine Generation heran, die kein Fleisch mehr isst", sagte Rügenwalder-Marketingchef Godo Röben unlängst. Dies habe er auch bei seiner eigenen Tochter feststellen können. Was tun? Röben überlegte und kam zu dem Schluss, dass die Kernkompetenz des Familienunternehmens — Wurst — auch für Vegetarier funktioniert — nur eben ohne Fleisch, schließlich gibt es ja auch alkoholfreies Bier.

Statt Schwein und Geflügel steckt eine Mischung aus Soja, Eiklar und Rapsöl in den Produkten. Doch optisch und geschmacklich ist die Mortadella mit Schnittlauch kaum von der fleischlosen Variante zu unterscheiden. Längst hat Rügenwalder auch vegetarische Mühlen-Frikadellen mit Paprika und das fleischlose Schnitzel "Cordon Bleu" im Programm.

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Drei Jahre dauerte die Entwicklung, inzwischen machen die fleischlosen Produkte fast 15 Prozent des Rügenwalder-Umsatzes aus. Die Veggie-Wurst ist ein riesiger Erfolg — auch wenn die Mitarbeiter anfangs skeptisch auf Röbens Idee reagierten. "Intern gab es zunächst einigen Widerstand. Verständlich: Wir haben allein über 50 gelernte Metzger im Unternehmen — und die muss man erst einmal überzeugen", sagt Godo Röben. Die anfängliche Scheu sei mittlerweile aber überwunden. Schließlich verkauft Rügenwalder 2,5 Millionen Schinken-Spicker-Packungen im Monat — und zwar vegetarische.

Für Felicitas Kitali, Fachreferentin für Ernährung bei der Tierschutzorganisation PETA, ist es kein Wunder, dass auch Fleischhersteller mittlerweile Produkte ohne Fleisch produzieren. "Natürlich spielt der Umsatz, der sich mit Fleischalternativen machen lässt, eine entscheidende Rolle für die Hersteller." Die Nachfrage nach fleischfreien Produkten sei groß. Dies zeigen auch die GfK-Zahlen. Im ersten Quartal 2015 stiegen die Umsätze von pflanzlichen Brotaufstrichen und Fleischalternativen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 27 Prozent. Den Großteil davon machen Fleischersatzprodukte aus.

PETA freut die Entwicklung, die bei den ehemals reinen Fleischproduzenten gerade stattfindet. "Wir begrüßen alle Schritte, die zu einer tierfreien Ernährung führen", heißt es. Durch die Produkte werde Verbrauchern der Weg zu einer vegetarischen Lebensweise erleichtert. "Viele Menschen nutzen die Produkte auch als Einstiegshilfen, um auf eine vegetarische oder vegane Ernährung umzusteigen." Das sieht auch der Vegetarierbund so. Er arbeitet mit Rügenwalder zusammen und hat den Konzern dabei beraten, seine vegetarischen Produkte am Markt zu etablieren. Allein weil die Produkte im Supermarkt verfügbar seien, würden auch andere Menschen, die bislang ausschließlich Fleisch essen, angesprochen.

Für Rügenwalder ist die Veggie-Wurst ein PR- und Kassen-Hit. 100 neue Mitarbeiter musste das Unternehmen einstellen, um die ständig steigende Nachfrage zu befriedigen. Laut Vegetarier Bund werden inzwischen deutschlandweit mehr vegetarische Schinken Spicker als klassische aus Fleisch verkauft. Das Vegetarier und Veganer gerne Fleisch- und Wurstalternativen essen möchten, liegt laut VEBU auch daran, dass viele aus ethisch-moralischen Gründen kein Fleisch essen, den Geschmack aber eigentlich mögen.

Trotzdem gibt es auch Kritik an der Strategie von Rügenwalder und Co.: Viele Vegetarier und Veganer kritisieren in Internetforen die Inhaltsstoffe der Produkte. Auch PETA sieht kritisch, dass in der fleischlosen Wurst bis zu 70 Prozent Hühnereiweiß steckt: "Ersatzprodukte aus Hühnereiweiß sind keine Alternative für uns, denn diese sind auch mit großem Tierleid verbunden. Wir plädieren für vegane Produkte", so Felicitas Kitali. Beim Kauf, so die Ernährungswissenschaftlerin, sollten Verbraucher außerdem auf den Salzgehalt der Produkte achten. Denn auch zu viel Salz kann ungesund sein.

Ein Problem momentan ist sicherlich auch, dass für die Fleischwurst, ebenso wie für die Veggie-Wurst, dieselben Maschinen verwendet werden. Eine neue Produktionsstätte für die Fleischlos-Würste sei momentan in der Planung, heißt es bei Rügenwalder. Momentan beuge man dem Risiko einer Vermischung mit Maßnahmen vor, die aus dem Allergenmanagement kommen. "Kann Spuren von Fleisch enthalten" — solche Sätze will Rügenwalder natürlich nicht auf seinen Produkten haben.

Finanziell dürfte sich die neue Produktion schon bald ausbezahlt haben. Denn in den kommenden Monaten dürfte der Umsatzanteil — 2014 erwirtschaftete das Unternehmen Erlöse in Höhe von 175,4 Millionen Euro — auf bis zu 30 Prozent steigen. Tendenz weiter steigend, denn Rügenwalder plant bereits, demnächst auch vegane Produkte auf den Markt zu bringen. Beim Vegetarier-Bund ist man überzeugt, dass Fleisch in einigen Jahren keine Hauptrolle mehr am Markt und auf den Speisekarten spielen wird.

Die Fleischindustrie scheint diese Entwicklung indes noch nicht zu spüren: Aus einer Mitteilung des Bundesbands der Deutschen Fleischwarenindustrie sowie dem Verband der Fleischwirtschaft geht hervor, dass die Produktion von Fleisch und Fleischwaren im vergangenen Jahr gestiegen ist.

(lkö, frin)
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