Schulden nehmen drastisch zu Pleiten nicht ausgeschlossen: Staatsfinanzen in der Krise

Düsseldorf (RPO). Ein neues Konjunkturpaket, weitere Staatshilfen für Unternehmen, Bankenrettung: Die westlichen Industrienationen nehmen derzeit viel Geld in die Hand, um die Folgen der Wirtschaftskrise abzumildern. Doch Ökonomen schlagen Alarm, denn viele Staaten übernehmen sich. Länder wie Griechenland werden sogar als Kandidaten für einen Staatsbankrott gehandelt. Auch Deutschland könnte mittelfristig Probleme bekommen.

Konjunkturpakete: Das macht Europa
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Foto: ddp

Es war vor ungefähr zwei Wochen, als Bundeskanzlerin Angela Merkel vor Bankern in Frankfurt Klartext redete. "Es gibt das Gerücht, dass Staaten nicht pleitegehen können. Dieses Gerücht stimmt nicht", sagte Merkel nach Angaben des "Spiegel". Tatsächlich besteht die Gefahr, dass ein Land zahlungsunfähig wird, nicht nur auf dem Papier.

Das vergleichsweise kleine Island konnte nur im letzten November nur mit Krediten des Internationalen Währungsfonds gerettet werden. Auch andere Länder sind gefährdet. "Die Gefahr von Staatsbankrotten ist ganz sicher gestiegen", sagte Dr. Rainer Kambeck vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung in Essen im Gespräch mit unserer Redaktion.

Deutschland ist davon nicht ausgenommen. "Bei weiteren Bürgschaften für Banken oder andere Unternehmen wird der Staat überfordert", warnte Reiner Holznagel, Hauptgeschäftsführer des Bundes der Steuerzahler. Kambeck sieht die Möglichkeit, dass es hierzulande "mittelfristig" zu Problemen kommen kann, wenn der Staat bei den Banken noch wesentlich mehr investieren muss als bis heute abzusehen ist und wenn die staatlichen Konjunkturmaßnahmen nicht in dem erforderlichen Umfang Wirkung zeigen.

Gefahr auf dem Papier

In Deutschland ist die Gefahr eines Staatsbankrotts derzeit eher theoretischer Natur. Zwar drücken den Bund mehr als eine Billion Euro Vebindlichkeiten. Allein die Zinsen sind mit 43 Milliarden Euro der zweitgrößte Etatposten im Haushalt von Finanzminister Peer Steinbrück. Der Kassenwart des Bundes ist übrigens ein international sehr gern gesehener Schuldner: Viele Investoren reißen sich um die Anleihen, also die Schuldscheine der Bundesrepublik, die als sichere Bank gelten. Dementsprechend muss Steinbrück einen relativ geringen Zinssatz für die Kredite zahlen.

Davon können Spanier und Italiener derzeit nur träumen. Auf der iberischen Halbinsel ist Unruhe ausgebrochen, denn das Lieblings-Urlaubsland der Deutschen hat das begehrte AAA-Rating verloren. Mit dieser Bonitätseinschätzung kann sich Steinbrücks spanischer Kollege auf den Finanzmärkten günstig Geld besorgen. In der letzten Woche wurde Spanien jedoch von der Rating-Agentur Standard & Poor's auf die zweitbeste Note "AA+" zurückgestuft. Jetzt wird eine sogenannte Risikoprämie fällig, die im Fall der Iberer gegenüber Deutschland mehr als einen Prozent beim Zinssatz ausmacht.

Hohes Risiko bedeutet hohe Zinsen

Wer den Spaniern derzeit für zehn Jahre Geld zur Verfügung stellt, bekommt derzeit eine Rendite von rund 4,4 Prozent. Deutschland und Frankreich können mit 3,2 bzw. 3,7 Prozent deutlich günstiger Schulden machen. Für die Italiener hingegen wird es teuer: Sie hatten im Januar Probleme, ihre Staatsanleihen an den Mann zu bringen und müssen Interessenten nun mit höheren Zinsen ködern. Fast 4,8 Prozent werden fällig.

Hinter diesen Zinsunterschieden steckt ein psychologisches Grundmuster der Kapitalmärkte: Sichere Anlagen werden gering verzinst, wie das beispielsweise bei einem Sparbuch der Fall ist. Auf der anderen Seite verspricht ein höheres Risiko auch potenziell höhere Gewinne. Bei Staaten schauen Investoren nicht nur auf die Wirtschaftskraft und die Reputation des Schuldners, sondern auch auf die bestehenden Verbindlichkeiten. Die Italiener mit einer Verschuldung in Höhe von über 100 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) haben hier schlechte Karten, während Spanien knapp über 50 Prozent liegt.

Der Verschuldungsgrad spielt allerdings in normalen wirtschaftlichen Zeiten eine eher untergeordnete Rolle. "So lange die Kreditaufnahme zu gleichbleibenden Konditionen möglich ist, stellt das für diese Länder kein Problem dar. Kommen Risikoaufschläge beim Zins hinzu, wird die Lage problematisch. Weil Staates ihre Schuldpapiere wegen unterschiedlich langer Laufzeiten permanent umschichten, müssen von den betroffenen Ländern dann höhere Zinssätze gezahlt werden", erläuterte Kambeck.

Sorgenkind Griechenland

In einer solchen Lage befindet sich Griechenland, das ohnehin zu den wirtschaftlich schwächeren Staaten in der Euro-Zone gezählt wird. Die Hellenen bieten fast 5,9 Prozent Zinsen - bei einer bereits bestehenden, hohen Verschuldung und sinkenden Steuereinnahmen eine extrem gefährliche Mischung. Deswegen gilt Griechenland unter vielen Experten als Kandidat für einen Staatsbankrott.

In diesem Fall zeigt sich ein Nachteil der Mitgliedschaft in der Euro-Zone. "Der Euro hat zwei Seiten: Die Staaten verlieren die Möglichkeit, durch eine eigene Zinspolitik und Abwertung einer eigenen Währung agieren zu können. Andererseits bietet die Euro-Gemeinschaft aber auch eine gewisse Stabilität", erklärte Kambeck. Sollte es für die Griechen trotzdem ernst werden, würden die anderen Euro-Länder nach Ansicht des Wirtschaftsexperten beispringen. Doch die Griechen sind mit ihren Problemen nicht allein. Irland wird 2010 wahrscheinlich ein Haushaltsdefizit von 13 Prozent ausweisen und muss ähnlich hohe Zinsen anbieten. Sogar eine Hilfe durch den Internationalen Währungsfonds ist im Gespräch.

Reykjavik an der Themse

Aber auch große Akteure geraten in Bedrängnis: Während für die USA ein Defizit von neun Prozent noch kein Problem ist, drohen auch in Großbritannien ernsthafte Schwierigkeiten. Das Pfund ist im Sinkflug, die ohnehin schrumpfende Wirtschaft klagt über eine Kreditklemme, die Großbanken sind faktisch pleite. Kambeck sieht auf der Insel mehrere Probleme, die zur jetzigen Situation geführt haben: "Großbritannien hat zwar eine enorme Wirtschaftskraft und die Gefahr eines Bankrotts ist hier deutlich geringer als in Griechenland", aber ausgerechnet eine frühere Stärke wird jetzt zur Achillesferse: Eigentlich war der Finanzsektor ein Symbol vom einstmals kranken Mann Europas in der Mitte der 70er bis hin zur hochmodernen Dienstleistungsgesellschaft. Diese Zeiten scheinen vorerst vorüber. "Man hat sich sehr auf diesen Bereich spezialisiert, das war sicherlich ein Fehler. Außerdem blieb das sehr teure, erste Konjunkturprogramm ohen Wirkung", lautet Kambecks Schluss.

Das Konjunkturprogramm ist wiederum auf Premierminister Gordon Browns zurückzuführen. Dessen Stern sinkt mit jeder Schreckensmeldung. Noch vor einigen Wochen wurde er als Vorreiter in Sachen Konjunkturbelebung gefeiert, kürzlich schob er ein zweites nach. Genützt hat es nicht viel. Großbanken wie die Royal Bank of Scotland müssen zudem möglicherweise komplett verstaatlicht werden - mit sämtlichen "toxischen" Papieren, die in den Büchern schlummern.

Diese Maßnahmen treiben das Haushaltsdefizit wahrscheinlich auf deutlich mehr als die angepeilten acht Prozent. Von daher wundert es nicht, dass die Kreditwürdigkeit der Briten nach Ansicht von Experten möglicherweise heruntergestuft wird.

Weitere Schulden möglich

Deutschland ist trotz aller Probleme von einem solchen Schritt weit entfernt. Die Maastricht-Kriterien, die eine Schuldengrenze von drei Prozent des BIP vorsehen, werden von der Bundesrepublik ebenso wie von den meisten Mitgliedern der Euro-Zone wohl nicht eingehalten werden können. Mit dem aktuellen Rekorddefizit ist das Ende der Fahnenstange aber noch nicht erreicht.

Zu der ohnehin "ganz erheblichen" Verschuldung könnten nach Meinung von Kambeck noch weitere Belastungen hinzukommen: "Es ist derzeit gar nicht abzusehen, welchen Finanzierungsbedarf die Bundesrepublik kurzfristig hat. Die Hilfen für die Banken funktionieren offensichtlich noch nicht wie erhofft und es ist auch nicht auszuschließen, dass beim zweiten Konjunkturpaket nachjustiert wird, wenn dessen Wirkung hinter den Erwartungen zurückbleibt." Weitere Schulden sind also nicht ausgeschlossen.

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