Rewe-Chef Alain Caparros im Interview "Wir müssen die Leute besser bezahlen"

Düsseldorf · Rewe-Chef Alain Casparros spricht mit unserer Redaktion über Kundenfrequenz, Herausforderungen in Internet-Zeiten und über angemessene Gehälter im Lebensmittelhandel.

 Rewe-Chef Alain Casparros.

Rewe-Chef Alain Casparros.

Foto: RP/ Andreas Bretz

Der deutsche Handel verändert sich zusehends, vor allem wegen des Trends zum Online-Geschäft. Wie sieht Rewe in einigen Jahren aus?

Caparros Drei Dinge werden die Entwicklung im Handel in den nächsten Jahren prägen. Erstens: Die Menschen ziehen immer mehr in die Städte, weil sie dort die Jobs finden. Also müssen auch wir dort sein. Zweitens: Wir werden immer älter, und unsere Bedürfnisse ändern sich. Und der dritte Trend ist natürlich der zum Online-Einkauf ...

. . . der den stationären Handel in Teilbereichen schwieriger macht.

Caparros Das ist so. Wir leben in den Ladenlokalen von der Frequenz der Kunden, und da macht die Online-Entwicklung schon Sorge. Aber wir können uns dem ja nicht entziehen. Also müssen wir den stationären Handel attraktiver machen. Wir müssen ihn sozusagen als Marktplatz gestalten und das Einkaufen zum Erlebnis machen.

Das klingt gut. Aber wie geht das praktisch?

Caparros Nur ein Beispiel: Wir eröffnen in Köln ein Restaurant im Rewe-Supermarkt. Da wir keine Restaurant-Betreiber sind, haben wir diese Kompetenz zugekauft. Wir werden Kochangebote in Märkten veranstalten. Da kocht dann einer was vor, und anschließend nehmen Sie sich alle Zutaten mit und kochen zu Hause in fünf Minuten nach. Das ist mehr als pures Einkaufen.

Einkaufen als Erlebnis — positioniert man so den teureren Supermarkt gegen den preiswerten Discounter?

Caparros Die beiden gleichen sich ohnehin an. Die Discounter verkaufen viele Markenartikel, und die Supermärkte verändern ihre Sortimente auch. In einer Gesellschaft, die durch Einwanderung geprägt ist, werden Sortimente auch internationaler.

Sie sprachen den Online-Trend schon an. Haben Sie die Entwicklung nicht völlig verpasst?

Caparros Den Trend hat die ganze Branche verschlafen. Wir haben die Entwicklung und vor allem die Geschwindigkeit der Veränderung im Internet unterschätzt. Darauf können wir wirklich nicht stolz sein.

Kann man das noch wettmachen?

Caparros Wir müssen einen Spagat machen. Wir müssen in das Online-Geschäft investieren, weil es ein Zukunftsgeschäft ist, dabei dürfen wir den stationären Handel aber nicht vernachlässigen, weil er das Kerngeschäft ist.

Wie viel investieren Sie denn online?

Caparros In diesem Jahr werden das mindestens zehn Millionen Euro sein.

Auch in Start-ups aus der Branche?

Caparros Wir wollen auch im Bereich der Spezialisten zukaufen. Aber am besten solche, die eine signifikante Rolle im Online-Geschäft spielen können. Als klassischer Händler haben wir diese Online-DNA eben nicht selbst.

Ist alles im Handel online-affin?

Caparros In der Unterhaltungselektronik in Deutschland wird schon mehr als jeder fünfte Euro online umgesetzt. Bei den Buchungen unserer Der-Touristik ist es nahezu jeder fünfte Euro. Im Lebensmittel-Geschäft ist das schwieriger, weil der Transport zum Kunden eine komplexe Sache ist.

Sie haben den Preiswettbewerb der Discounter mal als "kollektiven Selbstmord" und als "Krieg" bezeichnet. Wie sehen Sie das heute?

Caparros Ich würde noch weitergehen. Im Grunde sind wir eine inkontinente Branche: Von dem, was oben an Umsatz bei uns reinkommt, kommt unten immer noch viel zu wenig Ergebnis raus. Der gängige Reflex im Wettbewerb ist der des Preises, leider zu selten der des Wertes. Und wenn dann Kosten steigen, etwa Personalkosten, die im stationären Handel besonders bedeutend sind, bleibt eben wenig übrig.

Damit sind wir beim Thema Entlohnung. Angesichts der steigenden Zahl von Hartz-IV-Aufstockern gibt es Diskussionen über die Lohnhöhe in Deutschland — auch im Handel. Wird in der Branche zu wenig bezahlt?

Caparros Wir müssen die Leute besser bezahlen. Darum dreht sich auch die derzeitige Diskussion mit der Gewerkschaft Verdi. Um unsere 340 000 Beschäftigten aber anständig zu entlohnen, müssen wir auch die entsprechenden Ergebnisse erwirtschaften. Da überzieht Verdi bei der Forderung. Und wir müssen auch über Fairness innerhalb der Belegschaft reden — und davon sind wir mit dem derzeit geltenden Tarifvertrag weit entfernt.

Wie meinen Sie das?

Caparros Wenn Mitarbeiter für Tätigkeiten, für die man sie innerhalb eines halben Tages anlernen kann, mitunter genauso viel bekommen wie eine Fachverkäuferin oder ein Metzger mit abgeschlossener Berufsausbildung, läuft doch was schief. Und das müssen wir mit dem kommenden Tarifvertrag abstellen.

Das heißt, Sie verabschieden sich vorerst nicht vom Flächentarif.

Caparros Ganz genau. Aber wir müssen den Vertrag weiterentwickeln, ansonsten werden sich wohl weitere Unternehmen aus der Tarifgemeinschaft verabschieden. Das wollen wir nicht. Entsprechend sportlich werden die nächsten Monate für uns alle.

In den Tarifverhandlungen haben die Arbeitgeber auch den Manteltarifvertrag gekündigt. Die Belegschaft hat nun Angst, dass Sie Leistungen wie den Urlaub oder Sonderzuschläge kürzen. War das geschickt?

Caparros In Teilen ist der Tarifvertrag zu einem Zeitpunkt zustande gekommen, da war Deutschland noch nicht einmal zum ersten Mal Fußball-Weltmeister geworden — also in den 1950er Jahren. Wir haben heute eine völlig andere Situation auf den Märkten. Deshalb war die Kündigung dieses alten Tarifwerks mehr als überfällig. Wir wollen ihn modernisieren. Unsere Beschäftigten können aber in jedem Fall beruhigt sein: Wir wollen nicht an den Urlaub und auch nicht an die Sonderzahlungen ran.

In der Koalition schwindet der Widerstand gegen einen gesetzlichen Mindestlohn. Wäre das für Sie ein Problem?

Caparros Da die jahrelangen Bemühungen um einen tariflichen Mindestlohn offenbar endgültig gescheitert sind, werden wir wohl über kurz oder lang einen gesetzlichen Mindestlohn bekommen. Vielleicht würde das sogar Probleme lösen. Jedenfalls muss es für uns kein Nachteil sein, denn der Wettbewerb müsste ihn ja auch zahlen.

Was wäre eine für Sie noch akzeptable Höhe?

Caparros Ich gehe davon aus, dass wir einen Mindestlohn von bis zu 8,50 Euro bekommen werden. Ob das akzeptabel ist, wird dann die Praxis zeigen müssen.

Das ZDF-Magazin "Frontal" hat jüngst über Mitarbeiter-Überwachung bei Rewe und Penny berichtet. Wie schädlich ist das für Ihr Image?

Caparros Eines muss man klar sagen: Wir handeln völlig gesetzeskonform. Alles, was wir tun, ist mit dem Betriebsrat abgestimmt und findet nach Recht und Gesetz statt. Unsere Belegschaft trägt das mit. Und wir nutzen solche Überwachungen nur als letztes Mittel, wenn sich ein konkreter und belegbarer Verdacht beispielsweise auf Diebstahl gegen einen Mitarbeiter nicht anders belegen lässt. Aber uns ist natürlich auch klar, dass das Bild der Rewe in der Öffentlichkeit unter solchen Meldungen leidet.

Genau wie unter Lebensmittel-Skandalen. Davon gab es in der Vergangenheit genug. Welche Lehren hat Rewe daraus gezogen?

Caparros Bei den Fertiggerichten unserer Eigenmarken setzen wir nur noch deutsches Rindfleisch ein. Wir testen in dem Bereich jährlich 26 000 Produkte. Am Ende haften wir für Produkte, die wir verkaufen, und deshalb müssen wir dafür sorgen, dass diese Produkte die notwendige Qualität haben.

Trägt der Verbraucher Mitschuld, weil er zu sehr auf den Preis schaut?

Caparros Keineswegs. Der Verbraucher sucht immer das beste Produkt, und das zu einem möglichst günstigen Preis. Dieser Herausforderung muss sich der Handel stellen.

Was kostet Sie Ihre Qualitäts-Offensive zusätzlich?

Caparros Das sind Mehrkosten in Millionenhöhe.

Die Lebensmittelhändler pushen das Geschäft mit Eigenmarken extrem. Belasten solche Skandale das Geschäft nicht?

Caparros Das glaube ich nicht. Ohnehin ist das Eigenmarken-Geschäft begrenzt. Wir bewegen uns Richtung 30 Prozent Anteil im Supermarkt-Geschäft. Aber es gibt nach oben Grenzen. Wo die liegen, ist schwer einzuschätzen — vielleicht bei 40 Prozent.

Maximilian Plück und Georg Winters führten das Gespräch.

(RP/csi)
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