RP Plus Die Mord- und Totschlag-Sender

In der vergangenen Woche liefen 26 Krimiformate bei ARD und ZDF, weitere werden gerade gedreht oder sind in Auftrag gegeben. Die Panik, sich an anderen Stoffen zu versuchen, ist offenbar gewaltig. Leidtragende sind die Zuschauer.

Die beliebtesten "Tatort"-Ermittler
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In der vergangenen Woche liefen 26 Krimiformate bei ARD und ZDF, weitere werden gerade gedreht oder sind in Auftrag gegeben. Die Panik, sich an anderen Stoffen zu versuchen, ist offenbar gewaltig. Leidtragende sind die Zuschauer.

Ein Kommissar der Mordkommission ist schon lange im Dienst und desillusioniert. Da setzt ihm sein Vorgesetzter einen neuen Kollegen vor die Nase. Der ist jung, spritzig, unkonventionell und lässt schon mal Fünfe gerade sein, um einen Fall zu lösen. Am Anfang können sich beide überhaupt nicht ausstehen, sie streiten, der älterer droht seinem Vorgesetzten, zu gehen. Doch dann, im Lauf der Zeit, raufen sie sich doch zusammen. Am Ende trinken sie zusammen ein Bier und essen Currywurst.

Ihre natürlichen Feinde sind reiche Pharmalobbyisten und Journalisten, weil die einen gepanschte Medikamente auf den Markt bringen wollen und die anderen sowieso nur Lügen verbreiten. Die Opfer sind in der Regel arme, aber ehrliche Angestellte. Den Täter überführen die Kommissare in der letzten Minute, wobei der eine Kommissar gern kurzfristig als Geisel genommen wird, und der andere dann gerade rechtzeitig auftaucht, um ihn zu retten. Obwohl der eine eben noch Todesängste ausgestanden hat, machen sie schon wieder Scherze und stoßen mit ihrem Bier an.

Wem dieses Krimi-Muster nicht bekannt vorkommt, der hat in den vergangenen zehn Jahren nicht eine Sekunde ARD oder ZDF gesehen. Alle anderen kriegen dieses Format in leicht abgewandelter Form jeden Abend vorgesetzt, sonntags bis samstags. Sie sehen "Tatorte", "Polizeirufe", den "Kommissar", den "Ermittler", den "Kriminalist", sie sehen die Kommissare "Lukas" und "Stolberg", sie sehen "Sokos" aus verschiedenen Städten, die so genannten Schmunzel-Krimis "Heiter bis tödlich", das "Großstadtrevier", die "Rosenheimcops", den "Notruf Hafenkante", sie sehen die "Mordkommission Istanbul" und einen "Fall für zwei". Und wenn sie wollen, können sie in den dritten Programmen Wiederholungen von "Tatorten" und "Polizeirufen" sehen.

Feuerwerk an frischen Ideen

"Sollten eines Tages Außerirdische unser Fernsehprogramm studieren, werden sie glauben, in einem Polizeistaat gelandet zu sein, in dem Heerscharen von Kommissaren an Currywurstbuden herumhängen und ihre Familien vernachlässigen", schreibt der Journalist und Blogger Wolfgang Michal. Selbst der "Tatort"-Erfinder Gunther Witte hält die Inflation der Krimis für kontraproduktiv. "Sie okkupieren einen viel zu großen Teil der Sendeplätze und finanzielle Ressourcen des Fernsehfilms. Die Sender verzichten damit auf die Chance, Vielfalt und Formreichtum auszuschöpfen."

Stattdessen produzieren sie weiter fleißig ihre gern heiter angehauchten Mord- und Totschlag-Serien. Im kommenden Jahr zeigt die ARD die Reihe "Zwischen den Zeilen", die sich um zwei Jounalisten dreht, die immer wieder in Kriminalfälle verwickelt werden. Die eine Journalistin (Josephine Schmidt) ist übrigens eine junge Idealistin, während der andere (Ole Puppe) schon völlig abgebrüht ist.

Das ZDF findet ebenfalls, es habe noch nicht genug TV-Fahnder und schickt den Kommissar "Heldt — Zwischen Gesetz und Gerechtigkeit" (Kai Schumann) in Bochum auf Verbrecherjagd. Er ist ein Kommissar, der sich leidenschaftlich für die Opfer einsetzt und schon mal Fünfe gerade sein lässt, um einen Fall zu lösen. Dabei gerät er immer wieder mit der Staatsanwältin (Janine Kunze) aneinander, die sich ja blöderweise ans Gesetz halten muss. Sie ist übrigens neu im Team.

Wann das Zweite uns dieses Feuerwerk an frischen Ideen präsentieren wird, ist noch unklar. Klar degegen ist, dass die ARD drei (!) weitere Krimis ihrer quotenschwachen Vorabend-Reihe "Heiter bis tödlich" zeigen wird. Los geht es am 18. September mit der Serie "Akte Ex".

"Es geht um Quotensicherheit und Risikominimierung"

Wenn die Senderverantwortlichen für ihr monotones Programm kritisiert werden, führen sie gerne an, dass der Zuschauerzuspruch ihnen Recht gebe. Dem Regisseur und mehrfachen Grimme-Preisträger Lars Kraume fällt dazu immer ein Satz von Satiriker Oliver Kalkofe ein: "Das ist, als ob man einem Häftling Brot und Wasser hinstellt und hinterher sagt, schau her, er hat alles gegessen, er will gar nichts anderes." Die meisten Menschen, die bei so einer Produktion mitzureden hätten, hätten ein sehr altmodisches Bild von einem Ermittler, sagt Kraume, der die erfrischend rotzige Frankfurter "Tatort"-Figur Conny Mey (Nina Kunzendorf) erfunden hat.

Die Angst, den Zuschauern auch mal Figuren anzubieten, die aus dem klassischen Schema herausfallen, ist so groß, dass unkonventionelle Serien wie "Im Angesicht des Verbrechens" oder "Die Sopranos" im Nachtprogramm weggesendet werden, wo sie dann, O Wunder, eher mäßige Einschaltquoten haben. "Es geht um Quotensicherheit und Risikominimierung", sagt Gunther Witte. Heißt: Wer auf Bewährtes setzt, kann nicht allzu viel falsch machen.

Das sieht auch der Fernsehwissenschaftler Lothar Mikos so. Eine Serie wie "Breaking Bad", in der ein krebskranker Chemielehrer Drogen herstellt, um seine Familie abzusichern, würde in Deutschland nie funktionieren, sagte er in einem Interview. "Es gibt zu wenig Produzenten, die so einen Stoff anfassen würden, es gibt aber vor allem noch weniger TV-Redakteure, die so einen Stoff in Auftrag gäben. Die Mehrheit ist zu risikoscheu, und so sehen dann auch die Serien aus."

Leidtragende sind die Zuschauer (und Gebührenzahler), die sich einer Masse von Reißbrett-Kommissaren ausgesetzt sehen, die sich zur besten Sendezeit gegenseitig Konkurrenz machen. Wer sich nach Krimis mit frischen Geschichten und komplexen Figuren sehnt, dem bleibt weiterhin nur das Ausweichen auf Qualitätsware im Ausland. Oder er schafft es, die wenigen Perlen in der deutschen TV-Massenware zu entdecken. Dabei wird er noch am ehesten beim "Tatort" fündig.

(gev)
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