Neue EU-Vorschriften Trotz Verbots steigt Zahl der Tierversuche

Brüssel · In Europa dürfen Kosmetika, die mit Hilfe von Tierversuchen getestet wurden, nicht mehr verkauft werden. Solche Experimente sind in Deutschland bereits seit 1998 verboten – die Zahl der Tierversuche ist dennoch gestiegen.

Diese Produkte sind frei von Tierversuchen
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Foto: dpa, Bernd Thissen

In Europa dürfen Kosmetika, die mit Hilfe von Tierversuchen getestet wurden, nicht mehr verkauft werden. Solche Experimente sind in Deutschland bereits seit 1998 verboten — die Zahl der Tierversuche ist dennoch gestiegen.

Tiere sollen nicht länger für die Entwicklung von Schönheits-Cremes gegen Falten oder Cellulite leiden müssen: Seit Montag gilt in der EU ein vollständiges Verkaufsverbot für in Tierversuchen getestete Kosmetika und deren Inhaltsstoffe. Das Verbot betrifft auch den Import von Mitteln, die außerhalb der EU an Mäusen, Ratten und Co. geprüft wurden.

Es ist die letzte Stufe eines schrittweisen Banns. Auf EU-Gebiet sind Tierversuche mit fertigen Kosmetik-Produkten schon seit 2004, mit einzelnen Bestandteilen seit 2009 untersagt. Bisher gab es aber Ausnahmen - etwa für Mittel, die auf besonders komplizierte Nebenwirkungen getestet werden. Dazu zählen die Beeinträchtigung der Fortpflanzungsfähigkeit, eine höhere Empfindlichkeit der Haut oder Schädigungen bei längerer Anwendung. In Deutschland sind Kosmetik-Tierversuche schon seit 1998 verboten.

Völlig tierversuchsfrei werden Kosmetika auch künftig nicht sein. Etwa 10 000 genehmigte Inhaltsstoffe sind bereits an Tieren getestet und dürfen weiter eingesetzt werden. Zudem werden sehr viele Bestandteile nicht nur für Kosmetika, sondern auch für Medikamente verwendet. Für sie gelten dann andere Zulassungsregeln — die Tierversuche ausdrücklich zulassen.

Ein Verbot sämtlicher Tierversuche sei derzeit nicht geplant, hieß es gestern von der EU-Kommission. Der Grund: Ihr vollständiger Ersatz durch alternative Verfahren sei bisher noch nicht möglich.

2,9 Millionen Test-Tiere

In Deutschland ist die Zahl der eingesetzten Tiere im Jahr 2011 gegenüber dem Vorjahr um knapp zwei Prozent auf mehr als 2,9 Millionen gestiegen. Fast drei Viertel davon dienten der Erforschung von Erkrankungen von Menschen, berichtet das Bundesverbraucherministerium. In der Regel wurden die Tiere für diesen Zweck gezüchtet. Seit einigen Jahren verwendet die Wissenschaft Mäuse oder Ratten, die durch Genveränderung bestimmte Krankheiten entwickeln, die dann im Tiermodell untersucht werden können.

Genauer betrachtet handelt die Brüsseler Exekutive pragmatisch. Für Kosmetika sind Tierversuche jetzt zwar verboten, eine neue EU-Chemikalienrichtlinie wird aber gleichzeitig ihre Zahl wohl vergrößern, weil sie für Tausende seit Jahren im Handel befindlicher Chemikalien eine Unbedenklichkeitsprüfung fordert. Häufig muss auch deren tödliche Dosis bestimmt werden — ohne Tierversuche kaum möglich.

Tests an Zellkulturen

Die EU-Kommission hat zwischen 2007 und 2011 für die Entwicklung alternativer Testmethoden 238 Millionen Euro bereitgestellt. "Die Kommission engagiert sich dafür, die Entwicklung alternativer Testverfahren zu unterstützen und Drittländer aufzufordern, sich unserem Vorgehen anzuschließen", versprach der zuständige EU-Kommissar Tonio Borg. Experten berichten, einige der nötigen Tests könnten mittlerweile an Zellkulturen gemacht werden. Das gilt für Giftwirkungen an Haut und Schleimhäuten und sogar für die mögliche Schädigung eines Embryos.

Kritik kommt von Branchenvertretern: Die EU gefährde die Innovationsfähigkeit der Branche. Durch den Tierversuchs-Bann könnten Produkte vom Markt verschwinden — etwa Spezialkosmetik — oder die Entwicklung neuer Anti-Aging-Wirkstoffe behindert werden. CDU-Parlamentarier Karl-Heinz Florenz wirft den Unternehmen dagegen Untätigkeit vor: "Große Kosmetikunternehmen haben, statt in alternative Testmethoden zu investieren, in den letzten Jahren in den Aufbau von Laboren in China und anderen Ländern investiert. Dort sind Tierversuche erlaubt."

(RP/anch)
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