Peter Sloterdijk Die Philosophie ist kein Feind des Körpers

Peter Sloterdijk hat eine Art erotischen Briefroman geschrieben. Der heißt "Das Schelling Projekt".

Peter Sloterdijk: Die Philosophie ist kein Feind des Körpers
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Seit einem Jahr geht ein frivoles Geraune durch dieses Land. Genauer, seit der Frankfurter Buchmesse 2015 und dem seinerzeit sagenumwobenen Auftritt von Peter Sloterdijk auf der exklusivsten Bühne, die die weltgrößte Literaturschau zu bieten hat: mit einer Lesung beim Kritikerempfang in der alten, leerstehenden Unseld-Villa des Suhrkamp-Verlags. Dort las der originelle Denker aus Karlsruhe aus dem Manuskript seines künftigen Werks, das pikant zu werden versprach, auch erotisch, manche orakelten gar pornografisch.

Das war natürlich ein Ding. Ein Porno aus der Feder eines prominenten und in vielerlei Zeitdebatten verstrickten Philosophen fehlte dem deutschen Buchmarkt. Nach weiteren kleineren Verabreichungen bei Lesungen auf Usedom und der Lit.Cologne ist kürzlich das Werk endlich erschienen. "Das Schelling Projekt" heißt es und ist ein Seitensprung der grauen Wissenschaft ins grelle Leben von Liebe und weiblichem Orgasmus.

Sogleich erregt schon dieser Vermerk Widerspruch des 69-Jährigen: "Nein", sagt er uns, "die moderne Philosophie ist im Prinzip nicht mehr körperfeindlich." Sie sei es zu Plotins Zeiten gewesen, als der Denker sagen konnte, er schäme sich, einen Körper zu haben. Seit Spinoza, Diderot, Feuerbach, Nietzsche aber "sind die Philosophen auf der Seite der Vitalität - und ich bin sicher, das bleibt so, mögen auch verworrene Monotheisten heute wieder für Entleibungen zugunsten des Jenseits werben". Als körperfeindlich empfindet er, der in diesem Sommer seine Abschiedsvorlesung gab, allenfalls die Universität, die nach seinen Worten ihren Leistungsträgern 14 Stunden sitzende Tätigkeit täglich abverlange.

Dem Universitäts- beziehungsweise Gelehrten-Alltag entkommt auch der Briefroman nicht, der eigentlich nur Briefroman heißt, weil wir keine bessere und eingeführte Begrifflichkeit für eine Handlung haben, die sich aus E-Mails generiert. Diesen elektronischen Verkehr beherzigen sechs Gebildete - angeführt von einem Professor namens Peer Sloterdijk - die bei der deutschen Forschungsgemeinschaft ein Projekt zur Förderung vorlegen.

Recht einfach formuliert geht es dabei um den Orgasmus der Frau. Die wissenschaftliche Unternehmung der Forscher lautet natürlich ambitionierter. Ihnen geht es exakt um die "biosozialen Prämissen des weiblichen Sexuallebens in der Zeitspanne zwischen der Altsteinzeit und der Gegenwart im Licht der Hypothese progressiver Subjektivierung beziehungsweise Personalisierung des Lusterlebens". In dieser halsbrecherischen Wortakrobatik kommt viel zum Ausdruck: unter anderem reichlich Koketterie und Ironie mit dem, was wir gerne den wissenschaftlichen Betrieb nennen und womit die gelegentliche Absurdität unseres Förderungswesens vorgeführt wird.

Peter Sloterdijk spielt auch damit, auf seine Art. Dazu gehört, dass er dieses intime Thema auf Bahnen umkreist, die mit E-Mails gespickt sind auf den ersten Blick eher lustfern zu sein scheinen. Nicht aber für den Philosophen: Man könne "sich in Briefen so nahe sein, dass der Körper stören würde", sagt Sloterdijk. Und: "Ich glaube ja nicht an den Widerspruch zwischen Theorie und Leben. Was die Leute für Leben halten, ist oft nur grobmotorisch agierte Theorie, und gute Theorie kann das Sinnlichste und Zarteste sein, das im Universum zuhause ist."

Dennoch ist das Denken kein einfaches kulturtragendes Element. Und es wird plötzlich doch zur Kleinigkeit, wenn es körperlich zu werden verspricht. Peter Sloterdijk findet dafür naturgemäß ganz andere, selbstverliebt flirrende Worte: So seien "all diese Komplikationen Oberflächlichkeiten angesichts des erotischen Selbstverhältnisses, wie es sich beim Eintritt in die erotische Kulmination manifestiert". Man darf vermuten, dass damit die sexuelle Begegnung zweier Menschen gemeint ist.

Gewährsmann, besser: Schutzheiliger bleibt den sechs Eros-Forschern der deutsche und titelgebende Philosoph Friedrich Wilhelm Schelling (1775-1854), der als Urheber eines "logischen Feminismus" gedeutet wird. Vor ein paar Wochen hat Sloterdijk Schellings Grabmonument in Bad Ragaz aufgesucht und ihm eine Hortensie gespendet. Ergebnis dieser Exkursion war schließlich, dass Sloterdijk spürte, sich für seine literarische Unternehmung des Segens des Idealisten gewiss sein zu können.

Da aller Forschung der Fortschritt innewohnt, bleibt natürlich auch zu fragen, ob es die Menschen in ihrer beträchtlichen Geschichte zu einem Vorankommen in ihrer Sexualität gebracht haben. Keine Frage, meint Sloterdijk, um grundsätzlich neue Fragen aufzuwerfen: "Fortschritt in der Sexualität? Das Buch wäre nie entstanden, wenn ich die Frage nicht heftig mit Ja hätte beantworten wollen. Zum Ja gehört ein Aber. Wir verstehen im Grunde immer noch nicht, was da wirklich geschieht, wenns geschieht, weder physiologisch, noch psychologisch." Vielleicht sollte es dazu wirklich mal ein Forschungsprojekt geben. Jedenfalls sind jetzt viele auf den nächten Kritikerempfang bei Suhrkamp in vier Wochen gespannt. Dann wird der Literaturtheoretiker Karl Heinz Bohrer in den Ring steigen - und aus seinem künftigen Buch "Jetzt" lesen.

(los)
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