Wuppertal Erinnerung an utopische Städte

Wuppertal · Anne und Patrick Poirier entwerfen Modelle, die zum Nachdenken anregen. Der Wuppertaler Skulpturenpark lädt auch im Winter ein.

Riesige, ellipsenförmige Modelle von Städten aus Holz beherrschen die Ausstellungshallen im Skulpturenpark Waldfrieden in Wuppertal. Doch wer zu ergründen sucht, um welche Metropolen es sich handelt, spekuliert und kommt an einem gewissen Punkt nicht weiter. Es könnte sich um römische Niederlassungen handeln, denn zu sehen sind Amphitheater und Freitreppen, die auf verschiedene Ebenen führen. Doch dann finden sich auch babylonische Türme zum Halbrund, schneckenhausartige Strukturen, Kanäle, Tunnel ...

Diese Elemente sind wie Versatzstücke. Sie erinnern uns an etwas, das wir kennen, und befremden zugleich. Denn so wurde keine Stadt angelegt, die es tatsächlich gibt. Mnémosyne 1 und Mnémosyne 2 heißen die Werke, und ihr Name, der zugleich der Titel der Ausstellung ist, erinnert an die mythische griechische Göttin der Erinnerung.

Genau diese, nämlich die Erinnerung, ist das große Thema der Schöpfer der Modelle, die dazu auch begleitende Zeichnungen und weitere Exponate, etwa den Teppich "Aleppo" und eine Art schwebendes Raumschiff zeigen: Das französische Künstlerpaar Anne und Patrick Poirier befasst sich damit, warum wir uns woran und wie erinnern. Ausgangspunkt ihrer Arbeiten war Ende der 1960er Jahre die Beschäftigung mit Archäologie und Architektur. Gemeinsam zogen die beiden, die sich schon seit ihrem Studium kennen, seinerzeit durch die Ruinenstädte der Welt, von Ägypten bis Italien, und entwarfen im Anschluss eigene Metropolen, die eine Art Utopie der Erinnerung darstellen.

Diese entstanden auf der Basis von Strukturen - von den Poiriers "Gehirnarchitekturen" genannt und zunächst in Zeichnungen festgehalten. Einige dieser Zeichnungen werden in der unteren Ausstellungshalle im Wuppertaler Skulpturenpark gezeigt und visualisieren, welche Aufgaben die Poiriers den Gebäuden in ihren Modellstädten zugedacht haben: Da gibt es das Theater der Erinnerung, das Theater des Vergessens, das Amphitheater des Traumes und drumherum Museen, Bibliotheken, Konservatorien. Kurz, Orte des Bewahrens. Solche hat das Paar auch als zierliche Ahornmöbel bauen lassen, in denen sich sehr persönliche Erinnerungsstücke wie Tagebücher, Bilder und Modelle einer kleinen Stadt wie in einer Art Gehirnschale befinden.

Das schwebende Modell, das einem Raumschiff gleicht, soll im übertragenen, allgemeineren Sinn einem ähnlichen Zweck dienen: Wer durch die winzigen Bullaugen in das Innere schaut, entdeckt Ausstellungsräume, Raumfluchten, wie sie sich in Schlössern finden, und Bibliotheksräume mit winzigen Leitern, teils mit leeren Regalen, teils mit Exponaten bestückt. "Ouranopolis", die Himmelsstadt, nennen Anne und Patrick Poirier dieses Ufo, und ihre Idee dazu ist ebenso charmant, wie sie zum Nachdenken anregt: Beim geringsten Anzeichen einer Katastrophe soll das Raumschiff mit Erinnerungsfracht beladen werden und zu anderen Welten davonfliegen, um etwas von unserer gefährdeten Kultur zu retten.

Wie schnell ein solcher Ernstfall eintreten kann, sieht man an dem Teppich "Alep (Aleppo)" von 2015, der unterschiedliche Betrachtungsweisen zulässt - zum einen zeigt sich wieder die Struktur einer Stadt - wie ein gewirktes Labyrinth. Zum anderen sehen wir das (Luft-)Bild zerstörter Häuser, fühlen uns an Aufnahmen von Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg erinnert. So sind die Werke der Poiriers zugleich philosophische und politische Statements, Menetekel und der Hinweis auf das, was die Menschheit zu verlieren hat, wenn sie sich nicht mehr erinnern kann.

Info Die Ausstellung "Mnémosyne" mit den utopischen Skulpturen von Anne und Patrick Poirier läuft noch bis 8. Januar 2017 im Skulpturenpark Waldfrieden. Er ist in der Winterzeit (bis Februar), Freitag bis Sonntag, 10 bis 17 Uhr, geöffnet. Die Adresse: Hirschstraße 12, Wuppertal, weitere Informationen unter www.skulpturenpark-waldfrieden.de

(RP)
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