Uecker-Ausstellung in Düsseldorf Tagebuch mit Nägeln und Zeichen

Düsseldorf · Die Ausstellung von Günther Uecker versammelt in der Kunstsammlung NRW Schlüsselwerke des international agierenden Künstlers.

 Günther Uecker in seiner Ausstellung im K20.

Günther Uecker in seiner Ausstellung im K20.

Foto: dpa, fg fdt

Man kann sein Werk nicht verstehen, ohne ihn selbst zu verstehen. Für Uecker bedeutet Ausstellen so viel wie Sich stellen. Seine Handlungen entstehen aus Anwandlungen. Aktionen sind Reaktionen, Poesie tränkt Energie, Sucht die Wucht. Im Taumel seines Glücks der späten Jahre stellt sich der vor allem als Nagelkünstler bekannte Günther Uecker (84) erstmals in einer großen Düsseldorfer Museumsausstellung dem Publikum.

Die Ausstellung "ist eine Folge von Liebesbriefen geworden", gibt er am Donnerstag zu Protokoll. Wer die Arbeiten abschreitet, durchlebt seine Biografie, ermisst die Dimension seines vielseitigen universalen Werkes, erlebt seinen unruhigen Geist, seine übergroße Bewegtheit in allen Handlungen, die er selber stets Erschütterung nennt. "Ich mache Aggressionen sichtbar und wandle sie poetisch um."

Die zwei hohen langgezogenen Hallen der renommierten Kunstsammlung NRW hat er eingenommen, um das Substrat seines über 50-jährigen Schaffens auszubreiten. Dabei war kein Weg zu weit, um die etwa 60 Werke aus aller Welt und von privaten Sammlern zu entleihen. Viele der Werke waren noch nie öffentlich zu sehen. Entscheidend bei der Auswahl war alleine, was brisant und was ein Schlüsselwerk ist.

Kunst von Uecker dient nie dem Selbstzweck, jedem Bild wohnt eine Botschaft inne. Eingangs, noch im Foyer, steht ein rostiges Boot, zugenagelt, normalerweise aufgestellt in einer Krefelder Kirche. Uecker hatte es für den Katholikentag geschaffen, inspiriert von einer Reise nach Chichicastenango in Guatemala. "Das Boot" (1980) ist als Metapher zu sehen, die heute wieder aufs Neue an den Schrecken in der Welt erinnert, an die Bootsflüchtlinge auf dem Meer oder an die Mahnung "Wir sitzen alle in einem Boot".

Ebenfalls draußen vor der Tür vibriert von Zeit zu Zeit der "New York Dancer" (1965), von der Form her eine Kaktee mit Dornen aus Nägeln - , phallisch ragt er empor. Uecker lächelt bei der Erinnerung an den Ursprung der Idee. Damals lebte er in New York, und er war mit schwarzen Freunden unterwegs in Tanzkellern, die nur Schwarze besuchten. Diese Expeditionen in eine unbekannte Welt hatten ihn zum "New York Dancer" inspiriert. Auch er tanzte damals wild, fühlte sich ein: Am Ende fand er seine eigenen Hände zu weiß für diese Welt.

Die Grabbe-Halle ist den zentralen Werkkomplexen seiner unruhigen Zeit gewidmet - wie eine Bühne wirkt der Saal. Auf den ersten Blick wird die einzigartige Position dieses Künstlers deutlich, niemand arbeitet wie Uecker. Das "Terrororchester" hat er aufgebaut (1968-1982), eine lärmende 30-teilige Installation aus Klangobjekten. Mit ihrer visuellen und klanglichen Eindringlichkeit ist die Arbeit für Ueckers Œuvre ganz zentral. Uecker setzt Terror als Reaktion gegen Terror - dabei spielen biografische Erfahrungen eine Rolle, das Erleben des Dritten Reiches, des Zweiten Weltkriegs, zweier deutscher politischer Systeme, dee RAF-Zeit, dea Kalten Krieges. "Aber was passiert genau", hat Kuratorin Marion Ackermann den Künstler gefragt, "wenn man mit Terror auf Terror reagiert? Lässt sich das mit Auslöschung oder einer Heilung vergleichen?" Uecker: "Ja, es ist doch befreiend, so wie ein Kind, das randaliert oder mit Kochgeschirr spielt. Es ist wie eine Läuterung, die Welt zum Tönen zu bringen, zu erhellen, mit der Banalität der Instrumente."

Freiheitsthemen überall in dieser Halle: die "Briefe an Peking" (1994), 19 Leinentücher beschreibt und versieht Uecker mit Sätzen aus der Menschenrechtskonvention, macht sie sodann schwer leserlich. Trotz Einladung wurde die Ausstellung in Peking 1994 verboten, erst 2007 wurden die Werke im Nationalmuseum gezeigt. Ueckers Ausstellungen begleiten weltpolitisch brisante Ereignisse und ihren Wandel. Er sagt: "Ich bin wie ein Trampolin, wie eine Bühne, wo sich vorurteilsbezogene Politiker treffen können und wo ein Dialog möglich wird."

Die "Sandmühle" dreht ihre schleifenden Runden - naturbelassene Materialien hat er in Bewegung versetzt, zum Kreis gefügt. Ein Memento mori stellen diese Mühlen dar, die das Verrinnen der Lebenszeit versinnbildlichen. Daneben hängt das Bild "Black Mesa" (1985), benannt nach dem heiligen Berg der Navajo und Hopi. Man dechiffriert eine politische Position gegen die Gefährdung des Menschen durch den Menschen, auf die auch die 14 Meter hohe Wandarbeit mit babylonischem Schriftenreichtum verweist. Mit 60 Wörtern versammelt der Künstler ein Vokabular des Bösen. Bis auf zwei Wörter stammen alle aus dem Alten Testament - nur vergasen und aufklatschen hat Uecker dazugesetzt.

Ganz anders die Klee-Halle, gehalten in Farben und Materialien seines Ateliers. Hier sind neben dokumentarischen Kojen seine Lebenswerke aufgereiht, die Nagelfelder. Chronologisch hängen sie nebeneinander; seit Ende der 1950er Jahre entstehen sie, eines pro Jahr. Sie schwingen und klingen. In ihren Reihen entdeckt man Bildnisse, auch die Erinnerung an seinen Malerfreund Yves Klein. Über allem Zauber schwebt ein Wirbel, eine Welle, ein Wind. Vibration ist das Ergebnis. Es ist der Wind seiner Heimat, der über die Felder zog und über das geliebte Meer. Ein Wind, den Uecker konserviert hat für sein Leben und rauschhaft umwandelt in malerische Prozesse. Ueckers Ausstellung ist eine Offenbarung über die Größe von Kunst, ihre Kraft und ihren Reichtum.

Für alle seine Arbeiten spielt die Proportion seines Körpers eine wichtige Rolle, die Bewegung der Füße, die Beugung des Leibes und die Bögen der ausgreifenden Arbeiten. Seine Hände sind malendes Werkzeug, seine Fingerabdrücke Partituren eines Ereignisses. Die Weltbetrachtung ist ein wesentlicher Teil seines Tuns. Das Mitgefühl nicht zu vergessen. Uecker erhofft sich Erkenntnis. Wo die Sprache versagt, beginnt das Bild.

Günther Uecker hat anlässlich der Ausstellung die Titelseite der Rheinischen Post vom 6. Februar 2015 gestaltet. Mehr dazu hier.

(RP)
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