Bonn Bonn feiert Florenz und seine Schätze

Bonn · Die Bundeskunsthalle spürt dem Mythos der Stadt nach. Eine Replik des Fernrohrs von Galileo Galilei ist ebenso zu sehen wie ein historisches Holzmodell von Brunelleschis Laterne für die Kuppel von Santa Maria del Fiore.

Der französische Schriftsteller Stendhal gerät beim Besuch von Florenz regelrecht in Ekstase. Nachdem er die Gräber all der berühmten Männer besichtigt hat, ist er "bis zum Äußersten erschöpft" und fürchtet gar "umzufallen", wie er nach dem Besuch der Franziskanerkirche schreibt: "Als ich Santa Croce verließ, hatte ich starkes Herzklopfen; in Berlin nennt man das einen Nervenanfall."

Der Dichterkollege Goethe, der 20 Jahre zuvor auf seiner Italienischen Reise die Stadt am Arno besucht, ist da viel prosaischer: "Ich eilte so schnell heraus als hinein." Nicht, weil Florenz ihm nicht gefiele. Er will keine Zeit auf dem Weg nach Rom verlieren. Seit je zieht die ehemalige Residenzstadt in der Toskana Besucher an. Im 17. und 18. Jahrhundert ließ kein Adliger sie auf seiner Grande Tour durch Europa aus. Und noch heute strömen jährlich zehn Millionen Touristen aus aller Welt dorthin, um Palazzo Vecchio, Dom und Uffizien zu besichtigen.

Wem der Weg zu weit ist, der kann sich jetzt in Bonn einen ersten Eindruck verschaffen. Dort spürt eine große Ausstellung der Bundeskunsthalle dem Mythos nach. Mehr als 350 Schaustücke sind zu sehen — Gemälde, Skulpturen, Veduten und Artefakte. Eine Replik des Fernrohrs von Galileo Galilei ebenso wie ein historisches Holzmodell von Brunelleschis Laterne für die Kuppel von Santa Maria del Fiore. 700 Jahre Stadtgeschichte, gezeigt auf bonbonfarbenen Wänden. Manches wirkt überladen und doch sehr museal in diesem Florenz am Rhein von Kuratorin Katharina Chrubasik und ihrem Team. Ein wenig mehr Sinnlichkeit hätte der Schau gutgetan.

Was machte diese Stadt zur Wiege der Renaissance und ließ die bekanntesten Künstler und Wissenschaftler ihrer Zeit dorthin strömen? Die Antwort ist profan: das Geld. Schon im Mittelalter war Florenz ein Handelsplatz. Der Tuchhandel sorgte für Wohlstand und ein gebildetes Bürgertum. Es herrschte eine Atmosphäre der öffentlichen Mitsprache. Als der Dom 1357 neue Pfeiler erhalten sollte, wurden die Entwürfe von Francesco Talenti und Andrea Orcagna als Modelle in Originalgröße aufgestellt, und das Volk konnte mitreden, welche Variante es bevorzugte. Ein Akt der Demokratie, der anderswo undenkbar war, was den Kunsthistoriker Jakob Burckhardt im 19. Jahrhundert zu der Bemerkung veranlasste, die Toskana sei der "erste moderne Staat der Welt".

Adlige gaben Kunstwerke in Auftrag und sammelten mit Leidenschaft. Vor allem die Großherzöge der Medici waren den Künsten zugetan und hatten mit der 1588 unter Großherzog Ferdinand I. gegründeten Galleria dei Lavori sogar ihre eigene Manufaktur. Darin wurden edle Pietra-dura-Steineinlegearbeiten gefertigt, die als Geschenke bei Fürsten und Herzögen hoch im Kurs standen. Der Reichtum wollte gezeigt werden.

Auch im Stadtbild fand er Ausdruck. Als in Siena mit dem Neubau einer Kathedrale begonnen wurde, konnten die Oberen in Florenz das nicht auf sich sitzen lassen und begannen ebenfalls mit dem Bau eines neuen Doms. Im Jahr 1420 nahm Filippo Brunelleschi die Projektierung der riesigen Kuppel in Angriff. Er wollte sie ohne Gerüste errichten, was die Stadtältesten zunächst für Wahnsinn hielten. 15 Jahre baute er an der begehbaren Doppelkuppel. Der Maler, Architekt und Theoretiker Leon Battista Alberti nannte sie später eine "patriotische Leistung", welche die gesamte Toskana überschatte.

Florenz wurde zum kreativen Schmelztiegel. Fra Angelico, Masaccio, Donatello, Giotto — die Namensliste ließe sich fortsetzen. Botticelli malte dort seine "Geburt der Venus", Leonardo da Vinci seine "Mona Lisa", und Michelangelo setzte mit seinem David eine Wegmarke für alle Bildhauer. Das kulturelle Klima riss die Menschen mit.

Leonardo und Michelangelo lieferten sich einen legendären Wettstreit um die Ausmalung des Ratssaales. Keiner der Entwürfe wurde realisiert. Als der junge Raffael in Siena aber davon hörte, ließ er alles stehen und liegen und eilte sofort nach Florenz, um dort die Kartons zu besichtigen. Schriftsteller wie Dante, Boccaccio, Alberti und Vasari schrieben mit am Mythos, der bis heute ungebrochen ist.

(RP)
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