Dioxin, Pestizide, Acrylamid und Co. Gifte im Alltag

Wenn der Salatkopf zur Pestizidbombe wird und das Schlafzimmer Schadstoffe ausdünstet: Trotz strenger Kontrollen belasten immer mehr Gifte unsere Lebensmittel und Alltagsgegenstände. Sogar Luftballons sind offenbar nicht unbedenklich.

Dioxinskandal: Was kann man noch essen?
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Foto: dapd

Wieder einmal wird Deutschland von einem Lebensmittelskandal erschüttert. Diesmal ist es das Seveso-Gift Dioxin, das durch Verunreinigungen im Tierfutter in die Nahrungskette gekommen ist. Der Kunde schüttelt fassungslos den Kopf, wenn er hört, wie eine Substanz aus der Biodieselherstellung völlig ungehindert in die Lebensmittelproduktion gelangt.

In Panik freilich sollte er nicht geraten, weil die Lebensmittelkontrollen in Deutschland relativ zuverlässig greifen. Andererseits sollte er auch wachsam bleiben: Denn gerade Nahrungsmittel werden immer wieder mit Giften belastet. Die deutschen Lebensmittelkontrolleure sammeln Jahr für Jahr über 400.000 Proben, was halbwegs beruhigend klingt. Weniger beruhigend ist allerdings, dass sich im Labor etwa jede siebte Probe als mangelhaft herausstellt. In 18 Prozent der beanstandeten Waren finden sich Krankheitserreger, und neun Prozent fallen durch Schadstoffe wie Acrylamid, Pestizide, Sand und Glassplitter auf.

Die tatsächlichen Belastungen sind vermutlich viel höher. Denn nicht nur Kritiker der Lebensmittelbranche bemängeln, dass die Kontrollen an vielen Stellen nicht engmaschig genug sind. Auch der Bundesverband der Lebensmittelkontrolleure (BVLK) klagt über Mangel an Personal — und über dessen ungleichmäßige Verteilung. Ein Beispiel: In Sachsen-Anhalt überwachen 120 Kontrolleure 32.000 Betriebe, in Rheinland-Pfalz muss dagegen die gleiche Anzahl Inspekteure rund 84.000, also fast drei Mal so viele Unternehmen überprüfen.

Kontrolleure contra Gift-Szene

Dem Personalmangel auf Seiten der Lebensmittelkontrolle steht eine "Gifte-Szene" gegenüber, die immer unübersichtlicher wird. Die Hamburger Ökotrophologin Annette Sabersky schätzt, dass derzeit etwa acht Millionen synthetische Substanzen kursieren. "Hinzu kommen diverse und nicht minder unkalkulierbare Hochkonzentrate natürlicher Substanzen, die in den Kesseln der Chemie-Industrie produziert werden", betont Sabersky. "Viele davon sind giftig, wie viele genau, weiß man nicht."

Die Zeiten, als vor allem Pestizide und Schwermetalle in Lebensmitteln für Unruhe sorgten, sind vorbei. Derzeit richtet sich die Aufmerksamkeit von Wissenschaftlern und Verbraucherschützern auch auf Acrylamid, Nitrosamine, Transfettsäuren, Bisphenol A, Weichmacher und Streckungsmittel wie das hochgiftige Melamin, das vor drei Jahren in chinesischem Milchpulver gefunden wurde. Im Fokus stehen aber auch Zusatzstoffe, die zwar erlaubterweise den Lebensmitteln zugemischt werden dürfen, jedoch im dringenden Verdacht als potentielle Gesundheitsrisiken stehen, wie etwa Geschmacksverstärker und Zuckerersatzstoffe sowie Substanzen zum Färben und Konservieren.

Hygiene nicht mehr Haupt-Problem

"Früher bestanden die Risiken des Lebensmittelmarktes vor allem in der Hygiene", erklärt Thilo Bode von der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch. "Heute bestehen sie eher in der Anreicherung von schädlichen Fremdstoffen." Viele Schadstoffe gelangen nur in geringen Dosierungen in die Lebensmittel. So gibt auch beim aktuellen Dioxinskandal das Bundesinstitut für Risikobewertung zunächst einmal Entwarnung. Es bestehe "keine akute Gesundheitsgefahr", weil beim Verzehr der belasteten Lebensmittel die Grenzwerte, ab denen Dioxin schädlich ist, in der Regel nicht überschritten würden. Doch dieser Aussage liegt die trügerische Vorstellung zugrunde, dass Gifte nur einzeln auf uns wirken würden

"Die toxische Bewertung von Umweltchemikalien erfolgt nach wie vor auf der Basis einer Einzelstoffbetrachtung", beklagt Toxikologin Irene Witte von der Oldenburger Carl von Ossietzky-Universität. Tatsache sei jedoch, dass der Mensch ja nicht im Labor lebt, sondern täglich "komplexen Gemischen von Schadstoffen ausgesetzt ist". Und diese können durchaus schädliche Wirkungen entfalten, weil sich die Substanzen synergistisch unter die Arme greifen, beispielsweise dergestalt, dass der eine Stoff dem anderen den biochemischen Zugang zu den Organen ebnet.

So zeigte beispielsweise eine Studie an acht Pestiziden, dass ihr Gemisch bereits giftig wird, wenn jede Substanz nur ein Fünfzigstel jener Konzentration erreicht, die sie sonst als chemischer Solist zum Entfalten einer Giftwirkung braucht. Weswegen für Lebensmittel eigentlich nur gelten kann: Jeder Schadstoff ist einer zu viel — egal, wie hoch er dosiert ist.

(RP)
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