Nettetal Wiedersehen mit dem Chef

Nettetal · Bei den Nettetaler Frühjahrsliteraturtagen liest der in den USA lebende Johannes Girmes, letzter männlicher Spross der Oedter Textildynastie, aus seinem autobiographischen Buch "Und danach die Asche ins Meer".

 Johannes Girmes las in der Stadtbücherei im Programm der Nettetaler Literaturtage aus seinem Roman "Und danach die Asche ins Meer" vor zahlreichen Zuhörern.

Johannes Girmes las in der Stadtbücherei im Programm der Nettetaler Literaturtage aus seinem Roman "Und danach die Asche ins Meer" vor zahlreichen Zuhörern.

Foto: Franz-Heinrich Busch

Ulrich Schmitters ausgezeichnetes Gespür für Autoren, die Zugkraft haben, ist wieder einmal bestätigt worden. Hoch unterm Dach begrüßt der Leiter der Stadtbibliothek die stattliche Zuhörerschar nicht so falsch als "Mitarbeiterversammlung der Firma Girmes". Die Lesung mit Johannes Girmes gehört zum Frühjahrsprogramm des Vereins Nettetaler Literaturtage.

Anneliese Dohmes, in der zweiten Reihe mit ihren ehemaligen Kolleginnen Irmgard Pannes und Brigitte Bertges sitzend, hat nicht nur eine Gruppenaufnahme mit der Girmes-Belegschaft aus dem Jahre 1967 vor dem Neubau in Hinsbeck-Wevelinghoven mitgebracht, sondern sich auch den Roman noch einmal neu gekauft, damit die Widmung des früheren Chefs in ein sauberes Buch kommt.

In dem Buch erzählt Johannes Girmes von einem Senior-Studenten, der zum Ende seines Berufslebens sein Interesse an der Weltgeschichte entdeckt und der jungen Kommilitonin Julia vom Leben seines Freundes Axel berichtet, der in Deutschland aufwuchs und später aus beruflichen Gründen in die USA auswanderte. Er leidet sehr an den deutschen Gräueltaten des Zweiten Weltkrieges, die seiner Familie widerfuhren, die aber auch ganz Europa heimsuchten. Axel ist später zwischen den doch nicht so glorios erscheinenden USA und dem vor allem nach der Wiedervereinigung sich wandelnden Deutschland hin- und her gerissen. Er will nirgends begraben werden, seine Asche soll im Atlantik im Meer verstreut werden.

Bei der Lesung daheim räumt Johannes ("Hannes") Girmes ein, dass der Axel des Romans mit ihm identisch ist. Doch hat er einiges hinzu erfunden: "Das Buch ist eine Mischung aus Fiktion und Realität." Real bezweifelt wurde allerdings an diesem Abend, ob vor den Girmes-Werken in Oedt wirklich eine Zwangsarbeiterin erschossen wurde. "Ich habe es so in Erinnerung", verteidigt sich Girmes. Dieses Bild habe ihn sein Leben lang verfolgt.

Sein Lebenslauf: Geboren wurde er 1939 in Oedt, er besuchte die Schule in Lobberich, Ausbildung zum Textilkaufmann, Eintritt in das Unternehmen des Vaters Dr. Dietrich Girmes ("kleiner Girmes") mit 23 Jahren, später Geschäftsführer bei Girmes Oedt ("großer Girmes") nach Übernahme des Unternehmens, 1980 Auswanderung in die USA und dort Handelsvertreter für deutsche Textilfirmen.

Eigentlich wollte er studieren, doch nach der "subtil strengen Erziehung der Eltern" hat er sich damit abfinden müssen, die Stelle seines nach dem Krieg in Russland verstorbenen Bruders in der Firma zu übernehmen: "Ich hatte nicht die Courage, eigene Bedürfnisse zu äußern." Ob er ein guter Schüler gewesen sei, will Ulrich Schmitter in Gesprächen zwischen den Lesungen einzelner Buchabschnitte wissen. Er sei ein schlechter Schüler gewesen, bekennt Girmes. Nur in Deutsch wollte er so gut sein wie der Klassenprimus Karl-Heinrich ("Kalli") Selbach, Sohn des Chefs vom "großen Girmes". Der saß in der zweiten Reihe und schmunzelte. Beide erlangten die "Mittlere Reife" im April 1955 am Progymnasium Lobberich, das noch ein Jahr zuvor nur "Gymnasiale Zubringeschule" war.

(RP)
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