Gastfamilie aus Düsseldorf Unsere Kinder aus Afghanistan

Düsseldorf · Seit einem Jahr leben Hamid (14) und Vida (17) bei einer Gastfamilie in Düsseldorf. Nicht alle unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge haben dieses Glück. Gesucht werden weitere Gasteltern.

 Sie sind eine Familie geworden: Ute und Wolfgang S. mit den afghanischen Geschwistern Hamid und Vida. Das Ehepaar selbst hat drei erwachsene Kinder.

Sie sind eine Familie geworden: Ute und Wolfgang S. mit den afghanischen Geschwistern Hamid und Vida. Das Ehepaar selbst hat drei erwachsene Kinder.

Foto: Hans-Jürgen Bauer

In seinem Zimmer im ersten Stock hängt an der Wand eine große Fortuna-Fahne, außerdem ein kleines handgemaltes Bild mit der afghanischen Flagge. "Fortuna finde ich toll", sagt Hamid in sehr gutem Deutsch, "und Afghanistan will ich auch nicht ganz vergessen." Aus seiner Heimat ist ihm nicht viel geblieben: seine dunkelblaue Weste und Hose, die er auf der Flucht getragen hat. Und Erinnerungen, über die er aber nicht so gerne spricht. "Alles, was zählt, ist, dass es uns hier gut geht", sagt der fröhliche und zugleich nachdenkliche Junge. Und das tut es wirklich: Auf dem Bett liegt ein Kissen, auf dem der Name Hamid aufgenäht wurde. "Ein Weihnachtsgeschenk von meiner Mama", sagt der 14-Jährige - und meint damit Ute, seine Gastmutter, die ihm ein neues, behütetes Leben ermöglicht hat.

Leibliche Kinder redeten gut zu

Ute und Wolfgang S. hätten es sich auch bequem machen können: Die drei eigenen Kinder sind aus dem Haus, alle studieren oder sind im Ausland. Und seit kurzem ist Wolfgang S. im Ruhestand, seine Frau (63) hat noch ein paar Arbeitsjahre vor sich. Doch ein leeres, stilles Haus war nie ihr Ding. "Wir sind es gewöhnt, viel Leben um uns zu haben", sagt der Familienvater, "und wir finden es wichtig, sich zu engagieren, wenn man die Möglichkeit dazu hat." Letztlich seien es ihre zwei Söhne und die Tochter gewesen, die sie "dazu gedrängt" hätten, zwei junge Flüchtlinge bei sich zu Hause aufzunehmen. "Wir sahen uns in der Lage dazu und haben uns als Gastfamilie beworben", sagt der 67-Jährige - und sie haben es noch keinen Tag bereut.

Seit dem 30. März 2016 leben die Geschwister Hamid und Vida (17) aus Afghanistan mit ihnen unter einem Dach. Als die beiden auf Drängen ihrer Mutter die Flucht aus dem Iran antraten, wo sie sich illegal aufhielten, waren sie noch Kinder. Hamid gerade zwölf Jahre alt, die "große" Schwester 15. Sie haben einander auf dem langen Weg über die damals noch offene Balkanroute nicht aus den Augen gelassen. Als sie im Dezember 2015 schließlich in Düsseldorf ankamen, war ihr größter Wunsch, auch weiterhin zusammenbleiben zu können. Zunächst wurden sie im Kinderhilfezentrum an der Eulerstraße betreut. Doch dass sich tatsächlich eine Familie finden würde, die beide Kinder bei sich aufnimmt, ist für sie das größte Glück und war keinesfalls selbstverständlich: "Wir haben ein neues Zuhause gefunden", sagt Hamid.

"Wir haben drei neue Geschwister bekommen"

"Ute und Wolfgang sind für uns Mama und Papa; und wir haben drei neue Geschwister bekommen", ergänzt Vida, die wie ihr Bruder nach kurzer Zeit schon sehr gut Deutsch spricht. Einen Übersetzer brauchen sie nicht mehr. Auch das haben sie zu großen Teilen ihren Gasteltern zu verdanken und den intensiven Sprachkursen in der Schule. "Man lernt in der Familie viel schneller Deutsch", meint Hamid, der inzwischen schon so gut ist, dass er bald eine Regelklasse besuchen kann.

Zu ihrer eigenen Familie haben die Geschwister keinen Kontakt mehr. Nur ihr großer Bruder, der sich vor ihnen auf die Flucht begab und ebenfalls in Düsseldorf, in einer Wohngruppe, lebt, ist eine wichtige Bezugsperson für sie. Ihn treffen sie häufig. "Er war auch der Grund, warum wir überall, wo wir ankamen, gesagt haben, dass wir nach Düsseldorf wollen, weil wir die Hoffnung hatten, dass er sein Ziel erreicht hat und wirklich dort ist." Über das, was auf der Flucht passiert ist, reden sie kaum. Darauf angesprochen, senkt Vida die Augen und wirkt sehr traurig. Sie tauscht mit ihrem Bruder ein paar Sätze auf Persisch. Dann sagt ihr Bruder: "Wichtig ist das, was wir jetzt haben. Diese Familie ist sehr gut zu uns." In dem einen Jahr im neuen Zuhause, das sie "zusammen geschafft" hätten, so Ute S., seien die Jugendlichen aufgeblüht. Am Anfang habe man ihnen die Strapazen der Flucht deutlich angemerkt, inzwischen seien sie entspannter, wirken angekommen.

Familie S. gehörte zu den Ersten, die bereit waren, als Gasteltern Flüchtlinge zu beherbergen. Für 600 Minderjährige in Düsseldorf mussten im Sommer 2015 zunächst Plätze in Übergangswohngruppen gefunden werden, erinnert sich Ursula Hennel vom Verein Sozialdienst katholischer Frauen und Männer Düsseldorf (SKFM), einem von drei Trägern, die sich in Zusammenarbeit mit der Stadt um die Unterbringung von jungen Flüchtlingen in Pflegefamilien kümmern. Zu Spitzenzeiten gab es in Düsseldorf 22 Gastfamilien für minderjährige Flüchtlinge, momentan sind es 18. Fünf davon betreut der SKFM.

"Man sollte sich nicht beirren lassen"

"Anfangs war die Hilfsbereitschaft sehr groß", sagt Hennel. Inzwischen sei es schwieriger geworden, Gastfamilien zu finden - wahrscheinlich auch durch die Vorfälle, die es mit minderjährigen Flüchtlingen gegeben hat. "Davon sollte man sich aber nicht beirren lassen", meint Wolfgang S. Klar, eine hundertprozentige Garantie gebe es nicht. "Aber wer die jungen Leute erstmal kennenlernt, der bekommt ein Gefühl für sie." Mit Hamid und Vida trafen sich die Gasteltern mehrmals, zunächst an neutralen Orten. "Es ist ganz wichtig, dass die Chemie stimmt", sagt Sozialarbeiterin Janina Rein vom SKFM.

Das Gastfamilienmodell sei für Jugendliche wichtig, die eine stärkere persönliche Zuwendung brauchten, als sie in einer Jugendschutzeinrichtung geleistet werden könne. Ende 2016 wurde noch für 29 Jugendliche - vor allem Jungen zwischen 14 und 17 Jahren -, eine Gastfamilie gesucht. Wer Gastfamilie werden will, wird finanziell unterstützt und auf die Aufgabe vorbereitet. Etwa drei Monate nimmt dies in Anspruch. "Man sollte sich im Klaren sein, was auf einen zukommt", rät Ute S., und erziehungserfahren sein. "Ich habe festgestellt, dass es ähnliche Fragen und Probleme gibt wie bei unseren eigenen Kindern. Oft kann man die aber mit mehr Distanz angehen. Aber teilweise ergeben sich auch ganz andere Fragen, was mit dem kulturellen und religiösen Hintergrund zu tun hat. Aber gerade das ist spannend." Für Ute S. steht fest: ."Es ist für beide Seiten ein Gewinn."

(leb)
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