A57-Sperrung Ein Erfahrungsbericht: Pendeln auf der B477

Dormagen · Zug, Fähre oder Bundesstraße 9: Viele Berufspendler aus Dormagen, Neuss und dem Kölner Norden mussten sich seit der Sperrung der A57 alternative Wege zur Arbeit überlegen. Der Großteil entschied sich nicht für die B477 zwischen Rommerskirchen-Anstel und Neuss-Reuschenberg. Unsere Autorin Antje Rehse hingegen schon. Ein Erfahrungsbericht.

Seit dem 14. Februar, als auf der A57 eine Brücke zwischen Dormagen und dem Autbahnkreuz Neuss-Süd so schwer beschädigt wurde, dass sie abgerissen werden musste, haben viele Berufstätige ein schweres Pendlerlos zu tragen. Ich bin eine davon. Mein Arbeitsplatz liegt in Krefeld, in der dortigen Lokalredaktion der Rheinischen Post. Auch ich musste mich für eine Alternative entscheiden. Nach gut zwei Monaten kann ich sagen: Meine Wahl war nicht die schlechteste.

Die Entscheidung im Februar ist schnell getroffen. Auch wenn von Dormagen aus ein Regionalexpress nach Krefeld fährt, kommt Zugfahren wegen der unflexiblen Reisezeiten für mich nicht in Frage. Bleiben also noch die B9 und die B477. Die B9 ist in meiner persönlichen Wahrnehmung seit jeher "diese nervige Straße am Rhein mit den elendig vielen Ampeln". Vielleicht tue ich ihr unrecht, aber ich mag sie einfach nicht. Seit dem Brückenbrand ist sie zudem gnadenlos überfüllt.

Der Underdog unter den Ausweichrouten

Die B477 also. Seit der Sperrung der A57 wurden den Pendlern zahlreiche Umleitungsempfehlungen gegeben. Über die A3 sollen sie beispielsweise ausweichen, um dann über die A59 nach Düsseldorf zu gelangen. Auch die B9 hat mittlerweile einen festen Platz in den Verkehrsdurchsagen der Radiosender eingenommen. Und sogar über die kreativen Pendler, die nun einen Teil der Strecke zur Arbeitsstelle mit der Fähre zurücklegen, wurde berichtet. Die B477 hat es indes nicht zu überregionalem Ruhm gebracht. Zu weit ab vom Schuss liegt die kurvige Straße im Westen von Dormagen, zu groß ist der Umweg für Pendler aus dem Kölner Norden oder der Stadtmitte von Dormagen. Ich dagegen brauche von meinem Zuhause in Dormagen-Delhoven nur gut fünf Minuten bis zum Kreisverkehr in Anstel.

Schon an Tag eins nach dem Großbrand wird mir eines schnell klar: Die B477, dieser Underdog unter den Ausweichrouten, ist ein echter Geheimtipp. Natürlich ist auch hier das Verkehrsaufkommen gestiegen, am Ortseingang von Neuss-Reuschenberg steht man schon mal etwas länger. Aber kilometerlange Staus sind Fehlanzeige. Ich bin positiv überrascht. Das großzügige Zeitfenster, das ich für die erste Fahrt eingeplant habe, werde ich in den Wochen danach nicht mehr benötigen. Sicher kommt mir dabei auch zugute, dass meine Arbeitszeiten etwas versetzt zur absoluten Rush Hour sind. Von dem befürchteten Verkehrschaos kann aber definitiv keine Rede sein.

Schnell wird mir in den darauffolgenden Tagen aber auch etwas anderes klar: Auf der B477 ist gnadenlose Entschleunigung angesagt. Denn dein Fahrtempo wird hier vom Vordermann bestimmt. Und der ist nicht selten ein sprintschwacher Lkw oder - schlimmer noch - ein knötternder Traktor. Mein Vater hat mir erzählt, er habe als junger Mann auf dem Weg zu seiner ersten festen Arbeitsstelle in Meerbusch häufig die B477 benutzt. "Das ständige Fahren auf der Autobahn fand ich so eintönig", erklärte er mir.

Ich bin ganz ehrlich: In dieser Hinsicht sind mein Vater und ich uns nicht sehr ähnlich. Ich fahre gerne Autobahn. Geschwindigkeitsrekorde sind von meinem schwach motorisierten Kleinwagen zwar nicht zu erwarten, aber wenn die Tachonadel mal bei 130 km/h liegt, bin ich schon zufrieden. Und der langsame Lkw vor dir stellt dich auf der zwei- oder gar dreispurigen Schnellstraße nur selten vor unlösbare Aufgaben. Blinker setzen, Schulterblick und zügig überholen. Auf der B477 ist das nicht so leicht. Es gab in den vergangenen Wochen Tage, wo ich das komplette Stück zwischen Anstel und Reuschenberg mit einem maximalen Tempo von knapp 60 km/h zurückgelegt habe. Vor mir immer dieselbe Aussicht: das Heck eines Lkw.

Idylle und "neue" Ortschaften

An anderen Tagen ist der Ausblick dagegen durchaus sehenswert, vor allem jetzt im Frühling. Wem die ländliche Idylle gefällt, der wird sich auf der B477 wohlfühlen. Links und rechts Felder weit und breit. Von dieser Warte aus gesehen ist es wenig überraschend, dass man hier ständig hinter einem Traktor festhängt. Die erste "Ortschaft", die man auf dem Weg nach Reuschenberg passiert, nennt sich Broich. Ohne Korschen- oder Greven- oder Kleinen-... einfach nur Broich. Die Anreihung von ein paar Häusern besteht vornehmlich aus einer Straße, deren Name mit "Broicher Dorfstraße" überaus treffend gewählt ist. Ich schäme mich ein wenig, es zuzugeben, aber bis zu meinem 20. Lebensjahr wusste ich nichts von der Existenz dieses Dorfes, das immerhin auch zu meiner Heimatstadt gehört. Erst eine Kommilitonin, die tatsächlich dort aufgewachsen ist, klärte mich auf.

Bei der täglichen Durchfahrt wird mir aber auch bewusst, dass das zwangsläufig langsame Tempo im morgendlichen Berufsverkehr vielleicht ein Segen ist. Am Straßenrand steht ein kleines Holzkreuz, das an "Sascha" erinnert. Davor liegen Blumen. Immer wieder kommt es auf der B477 zu schweren Unfällen. Die enge, kurvige und hügelige Straße verzeiht keine Fahrfehler, keine überhöhte Geschwindigkeit. Und die dicht am Straßenrand stehenden Bäume werden zur tödlichen Falle. Etwas mulmig ist mir zumute, auch ich habe in meiner Zeit in der NGZ-Redaktion schon einen tödlichen Unfall auf der B477 vermelden müssen.

Nach Broich passiert man Gohr, dieses Bergische Land der Stadt Dormagen. Ein ständiges Auf und Ab. Und ein beliebter Stellplatz für den mobilen Blitzwagen der Polizei. Danach wird die Straße gradliniger, breiter. Wir sind jetzt auf Neusser Hoheitsgebiet. Vorerst die Straße aber nur an kleineren Höfen vorbei, die es teilweise aber immerhin zu einer eigenen Bushaltestelle gebracht haben. Dann geht es durch Neuss-Wehl, wo mir sofort die "Wehler Dorfstraße" ins Auge springt. Ganz schön viel Dorf. Wenigstens Düsseldorf kann ich dann ja wieder auf der Autobahn umfahren.

Schön hier

Im Anschluss an Neuss-Speck folgt mein Lieblingsteil der gesamten Strecke. Kurz nach der Eppinghover Mühle macht die Straße eine langgezogene Linkskurve. Über mir schließen sich die Wipfel der Bäume zu einer Allee zusammen, neben mir verläuft die Alte Erft. Schön hier, denke ich.

Und dann erreiche ich auch schon Reuschenberg, das Zwischenziel meiner allmorgendlichen Reise, die Auffahrt auf die A57. 20 bis 30 Minuten habe ich gebraucht, je nach PS-Leistung des Traktors vor mir. Dass mich hinter dem Kreuz Neuss-West die große Baustelle erwartet, versuche ich zu verdrängen. Zumal ich dort seit der Sperrung deutlich seltener im Stau stehe. Wenigstens ein positiver Nebeneffekt. Es ist nicht der einzige.

Trotz der Geduldsproben, auf die mich die B477 immer wieder stellt, merke ich, dass ich entspannter als früher zur Arbeit komme. Auch mein Benzinverbrauch ist durch das Entschleunigungs-Pendeln deutlich zurückgegangen. Vielleicht hatte mein Vater doch nicht unrecht, als er die B477 aus freien Stücken zu seiner Alternativroute machte.

Abends jedoch raubt mir die Strecke den letzten Nerv. Bei Dunkelheit ist die Landschafts-Idylle nichts mehr wert, der Heimweg zieht sich. Klar, in den Feierabend möchte man ja auch schneller als ins Büro. Und so erwische ich mich in den letzten Tagen immer wieder dabei, wie ich abends, wenn die meisten Pendler schon zu Hause sind, dann doch über die B9 ausweiche. Diese ungeliebte Straße mit den elendig vielen Ampeln, auf der man bei wenig Verkehr dann aber doch schneller vorwärts kommt, als mich meine Vorurteile vermuten ließen.

(areh/jco/csi/url)
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