Augenzeugen berichten vom Amoklauf "Ich habe nicht lange überlegt, ihm musste sofort geholfen werden"

Düsseldorf · Mehrere Augenzeugen berichten, wie sie den Amoklauf am Düsseldorfer Hauptbahnhof erlebten. Kwesi Hodgson, Krankenpfleger an der Uniklinik Düsseldorf, hat in der S28 Erste Hilfe geleistet.

 Kwesi Hodgson, Krankenpfleger am Uniklinikum Düsseldorf.

Kwesi Hodgson, Krankenpfleger am Uniklinikum Düsseldorf.

Foto: Nicole Kesting/UKD

Am Donnerstagabend hatte ein Mann am Düsseldorfer Hauptbahnhof Menschen mit einer Axt attackiert und neun verletzt. Vier Menschen erlitten schwere Verletzungen.

Kwesi Hodgson (39) ist Krankenpfleger auf der Palliativstation der Uniklinik. Er kam am Donnerstagabend vom Dienst und nahm am Bahnhof Bilk die S28 auf seinem Heimweg nach Mettmann. In der Bahn traf er noch Mettmanner Nachbarn. Am Düsseldorfer Hauptbahnhof bemerkte Hodgson plötzlich Schreie und Chaos: Viele Menschen drängten in seine Bahn hinein, weil auf dem Bahnsteig 13 ein Mann mit einer Axt unterwegs sei. "Und dann sah ich, wie ein Mann, der sich ebenfalls in die Bahn gerettet hatte, an Kopf und Hals massiv blutete. Ich habe nicht lange überlegt, ihm musste sofort geholfen werden."

Dem Blutenden habe er mangels geeignetem medizinischen Material einfach die Mütze vom Kopf gerissen und sie für eine Kompression verwendet. "Ich habe über längere Zeit komprimiert, bis die Blutung schwächer wurde, dann habe ich mich um eine junge Frau gekümmert, die am Oberarm blutete."

Zu keiner Zeit habe er darüber nachgedacht, sich selbst vor dem Täter zu schützen. "Da brauchte jemand akut Erste Hilfe, also habe ich das gemacht. Den Täter habe ich auch nur einmal aus den Augenwinkeln gesehen." Hinterher habe Hodgson bemerkt, dass seine Hände blutverschmiert waren; zum Desinfizieren habe er nichts dabei gehabt. "Aber das ist einem in einem solchen Moment so etwas von egal." Als dann Polizei und Feuerwehr in teilweise heftiger Bewaffnung eingetroffen seien, sei eine gewisse Ruhe eingetreten. "Die Situation hatte aber auch etwas Erschreckendes und Beängstigendes: Man konnte denken, es ist Krieg."

Der Tatverdächtige, ein 36-Jähriger aus Wuppertal, sprang nach dem Amoklauf von einer Brücke an einer Unterführung des Bahnhofes. In diesem Moment fuhr Kevin Klein dort entlang. "Er stürzte einfach so auf die Straße", sagt der junge Mann. Er habe sich sehr erschreckt und sei sofort aus dem Auto gestiegen, um zu helfen. Der gestürzte Mann sei benommen, aber nicht bewusstlos gewesen. Und er habe keine offenen Brüche oder Platzwunden gehabt. Gesagt habe er nichts. "Noch bevor ich aber einen Notarzt rufen konnte, kamen schon jede Menge Einsatzwagen von der Polizei", erzählt der Student aus Solingen. Auch vorher war ihm schon das erhöhte Polizeiaufkommen rund um den Hauptbahnhof aufgefallen.

Die Beamten seien alle schwer bewaffnet gewesen, seien mit ihren Waffen auf den Verletzten zugegangen und hätten ihn umgehend, noch als dieser auf dem Boden lag, festgenommen. Klein und andere Augenzeugen seien schließlich gefragt worden, wie der Mann gestürzt sei und ob er geschubst worden sei. Da Klein im Auto saß und sich zum Zeitpunkt des Sturzes unter der Brücke befand, konnte er diese Frage nicht beantworten.

Von dieser Unterführung stürzte der mutmaßliche Amokläufer dem Solinger Studenten vors Auto.

Von dieser Unterführung stürzte der mutmaßliche Amokläufer dem Solinger Studenten vors Auto.

Foto: Patrick Schüller

Dem Solinger war dabei nicht bewusst, wer ihm gerade vor das Auto gefallen war. Nach dem Vorfall habe die Polizei die Straße weiträumig abgesperrt. Klein und die anderen Autofahrer mussten alternative Wege fahren.

Serkan D. war am Donnerstagabend als Kontrolleur für die Rheinbahn unterwegs. Gegen neun waren er und seine Kollegen gerade am Hauptbahnhof. "Ich hörte unten an der U-Bahn-Station auf einmal Hilfeschreie von oben und bin direkt raufgerannt", erzählt der 30-Jährige, der seit zwei Jahren als Sicherheitsmann arbeitet. "Oben liefen die Leute nach links und nach rechts, die ganze Menge war in Bewegung." Er habe die Sirenen der Bahn gehört und gedacht, es sei eine Bombe explodiert.

Dann habe er gehört, dass die Leute etwas von einem Mann mit einer Axt riefen, erzählt D., der in Essen lebt. "Dann kam ein Herr auf mich zu, der um Hilfe rief." Der Mann habe eine klaffende Wunde hinter dem rechten Ohr gehabt. D. lief auf ihn zu. "Keine Ahnung — wenn ich so etwas sehe, gehe ich darauf zu, statt wegzulaufen", sagt er. Mit der Hilfe eines Passanten versuchte D., die Blutung zu stoppen. "Ich musste da einfach helfen." Der Mann sei etwa 40 bis 45 Jahre alt gewesen. D. versorgte ihn und redete mit ihm, bis eine Krankenschwester und ein Arzt, die zufällig am Hauptbahnhof waren, übernahmen.

Danach sprang Serkan D. bei seinen Kollegen vom Sicherheitsdienst ein und sorgte dafür, dass die Passanten zurückblieben — bis die Polizei schließlich den Hauptbahnhof evakuierte. Den Rest seines Dienstes an diesem Abend habe er nicht sehr konzentriert absolviert, gibt D. zu. "Ich war sehr aufgebracht." Am Freitagmittag gehe es ihm "besser als gestern. Aber das Ganze ist natürlich immer noch in meinen Gedanken."

Serkan D. war Zeuge am Hauptbahnhof. Die Idee, wegzulaufen, kam ihm nicht.

Serkan D. war Zeuge am Hauptbahnhof. Die Idee, wegzulaufen, kam ihm nicht.

Foto: Bretz, Andreas

"Als ich die Axt sah, rannte ich los"

Die 19-jährige Laura Köhler stieg gegen 20.50 Uhr aus der U-Bahn am Düsseldorfer Hauptbahnhof und ging zum Gleis 13, um die S-Bahn in Richtung Wuppertal zu nehmen. Auf der Treppe begegneten ihr panische Menschen. "Eine Person rief, dass ein Mann mit einer Axt willkürlich auf Menschen losgehe", erzählt die junge Frau. Einige Menschen beobachteten die Situation, andere versuchten, den Mann zu stoppen, indem sie auf die Gleise sprangen und nach Steinen griffen.

Köhler sah den Täter in der Ferne, bewaffnet mit der Axt, und beschloss, schnellstmöglich vom Bahngleis in Richtung Ausgang zu laufen: "Als ich die Axt sah, rannte ich los". In der Eingangshalle hörte sie, wie Menschen nach einem Notarzt rufen. Vor dem Gebäude sammelten sich Menschenmassen, und die ersten Streifenwagen trafen nach wenigen Minuten ein. "Schon nach kurzer Zeit war der Eingang des Bahnhofs dann von Streifen- und Rettungswagen umstellt und Hubschrauber kreisten am Himmel."

Landtagsabgeordneter schildert Hilfsbereitschaft der Menschen

Von großer Hilfsbereitschaft unter den Menschen berichtet der CDU-Landtagsabgeordnete Robert Stein. Gegen 21 Uhr am Donnerstagabend nahm Stein die S-Bahn vom Landtag in Richtung Hauptbahnhof. Die Sitzung des Haushalts- und Finanzausschusses war gerade erst zu Ende gegangen. Doch bis zum Hauptbahnhof kam er nicht: "Zwei Stationen vor dem Hauptbahnhof hieß es: 'Alle aussteigen — Vollsperrung‘". Die Fahrgäste seien dann ausgestiegen und zu Fuß weitergegangen. "Da kamen uns schon die Einsatzfahrzeuge mit Blaulicht entgegen." Fünf bis sechs Minuten später traf er am Hauptbahnhof ein. "Es war ein gespenstisches Szenario. Viele Straßenbahnen standen verlassen da, überall war Blaulicht. Und über dem Bahnhof kreiste die ganze Zeit ein Hubschrauber." Die Polizei habe alles abgesperrt. "Ein großer Schwall Menschen kam aus dem Gebäude heraus, ich sah den Schrecken in ihren Gesichtern. Aber sie blieben besonnen, niemand war in Panik."

Obwohl der Täter zu diesem Zeitpunkt noch auf der Flucht war und auch nicht sicher war, ob es sich um einen Einzeltäter handelte. "Die Leute standen da und wussten nicht, wohin. Viele standen unter Schock." Stein sprach mit einigen von ihnen, sie hatten Verletzte gesehen, blutverschmiert, und Blutlachen am Boden. Die Hilfsbereitschaft im Bahnhof war deren Berichten zufolge groß. So hätten sich die Leute drinnen sofort um die Verletzten gekümmert und nach einem Arzt gerufen.

Der CDU-Politiker traf vor dem Bahnhof einen anderen Landtagsabgeordneten, der ihn in seinem Auto mitnahm zum Duisburger Hauptbahnhof. Auch einer sichtbar mitgenommenen Passantin, einer Studentin, boten sie ihre Hilfe an, die junge Frau fuhr mit nach Duisburg. Auch sie hatte die Verletzten gesehen, und wie die Leute aus dem Bahnhof flüchteten. "Wie spät es zu diesem Zeitpunkt war, weiß ich nicht mehr genau. Ich hatte so viel Adrenalin im Körper, dass mir mein Zeitgefühl verloren ging", sagte Stein.

In Duisburg nahm der 38-Jährige den Regionalexpress in Richtung Kamen und Hamm. In dem Zug saßen viele Reisende aus Düsseldorf, die sich ein Taxi bis zum Duisburger Hauptbahnhof genommen hatten. Sie erzählten Stein zufolge davon, wie sie durch Blutpfützen gerannt waren. Für einige von ihnen habe die Tat sofort eine politische Dimension gehabt, obwohl der Hintergrund noch gar nicht klar war. "Es kamen gleich die typischen Ressentiments gegen Flüchtlinge. Aber gleichzeitig war die Hilfsbereitschaft über kulturelle Grenzen hinweg sehr groß."

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