Serie 725 Jahre Düsseldorf Andreas Gursky macht Fotos zu Megazeichen

Düsseldorf · Der Künstler verdichtet die Wirklichkeit mit ihren eigenen Mitteln zu einer Welt, die es so nicht gibt. Die Welt wird dadurch zur Metapher.

 Andreas Gursky vor seiner Arbeit "Ohne Titel 15"

Andreas Gursky vor seiner Arbeit "Ohne Titel 15"

Foto: Andreas Krebs

Der Rhein in Düsseldorf-Oberkassel: Ihn fotografierte der Künstler immer wieder, bis die Atmosphäre des graubedeckten Himmels und die quecksilberne Oberfläche des breiten Stroms vor dem Sattgrün der Rheinwiesen eingefangen war, und so hängt er heute in den renommiertesten Museen wie im New Yorker Museum of Modern Art, der Tate London und der Pinakothek der Moderne in München. Auch der deutsche Botschafter in Paris wählte die großformatige Arbeit als Leihgabe für seine Residenz, da der Rhein als Sinnbild deutscher Kultur und deutscher Nation verstanden wird und diese Bedeutung in der abstrahierten Bildsprache Gurskys in die Gegenwart transportiert wird.

Die künstlerische Bedeutung seines Werkes spiegelt sich in steigenden Verkaufspreisen: Die Arbeit "Rhein II" wurde im Herbst 2011 für 3,2 Millionen Euro versteigert und wurde damit zur bislang teuersten zeitgenössischen Fotografie. Andreas Gursky (58) ist heute einer der berühmtesten Fotokünstler der Welt. Nach Visueller Kommunikation an der Folkwangschule Essen studierte er ab 1981 an der hiesigen Kunstakademie in der inzwischen legendären Klasse von Bernd und Hilla Becher, die weltweit bedeutende Fotokünstler wie Thomas Ruff, Candida Höfer, Thomas Struth und Axel Hütte hervorgebracht hat. Dass er und die Mitstudenten einmal von der Fotokunst würde leben könnte, so hat er einmal im RP-Gespräch geäußert, hat er zu Beginn nicht immer geglaubt. Die Zeiten, als er als Taxifahrer sein Zubrot verdiente, hat er nicht vergessen.

Den bescheidenen, zurückhaltenden Auftritt hat er beibehalten — für so manches Spiel seiner Fortuna würde er wohl auch ein noch so glamouröses Hollywood-Dinner sausen lassen; eine nächtliche Techno-Session mit Kult-DJ Sven Väth, ein gutes Tennis-Match oder eine anspruchsvolle Ski-Abfahrt erfreuen ihn mehr als gestelzte Empfänge. In unserer medien-dominierten Welt sind es auch die Glaubwürdigkeit und Authentizität eines Künstlers als Person, die auf sein Werk zurückstrahlen. Gursky ist einer der zeitgenössischen Fotografen, vor deren Werk einem Kommentare wie "Das kann ich auch" erspart bleiben. Denn selbst jeder von Kunst Unbeleckte sieht, oder besser spürt, dass das mehr ist als reine Abbildung der Wirklichkeit.

Die jüngste seiner zahlreichen internationalen Ausstellungen im hiesigen Museum Kunstpalast stellte es unter Beweis. Es war die erste umfangreiche Retrospektive in seiner Heimatstadt und bot die Gelegenheit zu schauen — und zu staunen. Schon die schiere Größe der Arbeiten zeigt, dass sich hier ein Fotokünstler bereits in den 90er Jahren an Formate wagte, die sonst alten Meistern wie Veronese oder Pop-Größen wie Warhol vorbehalten waren. In Zeitungen, Illustrierten und auf Reisen spürt der zweifache Vater alltägliche Phänomene unserer Zeit auf und zeigt sie in einer Sehweise, die den Betrachter ins Schwanken bringt. Ob Landschaften, Sportereignisse, Großbetriebe, Konzerte, Großbauten — oft haftet den Szenerien etwas Surreales an, gerade der gestochen scharfe Blick macht misstrauisch. Gursky feilt so lange an den seit 1992 meist digital aufgenommenen und monatelang am Computer bearbeiteten Kompositionen, bis sie aus extremer Nahsicht bis ins kleinste Detail lesbar sind — aus der Distanz aber, so der Fotograf, werden sie zu "Megazeichen". Gursky: "Die Orte sollen wie Metaphern funktionieren, so als könnten sie überall aufgenommen worden sein." Dafür wird der Künstler zum Herrn über Zeit und Ort. Er montiert zahlreiche, zu unterschiedlichen Zeiten und teils an verschiedenen Orten aufgenommene Szenen zu einem Bild zusammen und schafft das, was seit jeher Aufgabe des Künstlers war: Er verdichtet die Wirklichkeit mit ihren eigenen Mitteln zu einer Welt, die es so nicht gibt. Sie wird zur Metapher. Die Zeiten, in denen der Fotografie als getreues Abbild der Realität zu trauen war, sind ohnehin längst vorbei.

Ein Boot im Wassernebel an den Niagara-Fällen (1989): Sind das Touristen beim harmlosen Ausflug oder der Moment vor der Katastrophe? Ist das Ausflugsboot ein Sinnbild von Naturgewalt und menschlicher Vergänglichkeit? Oder die Straßen-Szene in Kairo (1992): Folgenschwere Massenkarambolage oder ganz normales orientalisches Verkehrschaos? Seltsame Punkte im Schnee des Engadin (2006): Befinden sich hier Insekten in panischer Flucht oder sehen wir Skisportler beim Wettkampf? Auch das Fehlen einer zuzuordnenden Perspektive in den Kompositionen irritiert: kein eindeutiger Bezugspunkt, kein Fluchtpunkt nirgends. Manche von Gurskys Werken erreichen einen Grad der Abstraktion, die an Mondrian und amerikanische Expressionisten wie Barnett Newmann erinnern: So wie Prada II (1997) oder der oben genannte "Rhein II" , der zu einer minimalistischen Studie aus grauen und grünen Streifen wird. Die Rennstrecke "Bahrain I" (2005) wird zum ornamentalen Gebilde voller Dynamik. In der "Bangkok-Serie" (2012) werden Aufnahmen des mit Müll übersäten Chao Phraya-Fluss zu abstrakt-flirrenden Studien, in denen jedwede Gegenständlichkeit im geheimnisvollen Dunkel verschillert. Der Mensch, so er vorkommt, wird bei Gursky zum Teilchen komplexer Bildgefüge: Im anmutig schwingenden, brasilianischen Wohnblock "Copan" (2002), in den nach undurchschaubarer Choreografie funktionierenden Börsenszenen in Chicago (1999) und Kuwait (2007), am fröhlich-bunten Strand von "Rimini" (2003) oder beim Konzert "Madonna" (2001) — der Einzelne wird zum Teil eines Musters; erst wenn man mit der Nasenspitze nah ans Bild rückt, erkennt man individuelle Züge.

Wenn Gursky seine globalen Perspektiven inszeniert, ist ihm kein Weg zu weit, keine bürokratische Hürde zu hoch, kein persönlicher Einsatz zu beschwerlich: Er besuchte den Hochsicherheitstrakt im Staatsgefängnis in Illinois, hing für Aufnahmen aus Helikoptern, reiste wochenlang dem Tross der Tour de France und dem Formel-1-Zirkus hinterher, und er schaffte es in eine der heiligsten Stätten der Wissenschaft: "Kamiokande" (2007) ist ein berauschend schönes, in Gold getauchtes Bild mit fast metaphysischer Kraft. Unzählige leuchtende Kugeln strahlen aus dem Bild, erst nach und nach erkennt man die beiden still im Wasser gleitenden Paddler am unteren Bildrand. Kamiokande ist ein Forschungslabor, ein 1000 Meter in Granitgestein eingelassener Zylinder, der so isoliert ist, dass nur die kleinsten kosmischen Strahlen — die Elementarteilchen Neutrinos — hindurchdringen. Sie werden von den Metallkugeln erfasst und dann gemessen.

Gursky hatte von der Anlage in einem Wissenschaftsmagazin gelesen und kam durch einen befreundeten Kunsthändler in Kontakt mit dem Nobelpreisträger, der das Forschungszentrum leitete. Fotos waren nur möglich, da aufgrund geplatzter Behältnisse Reparaturen nötig waren und das Wasser im sonst gefüllten Zylinder abgelassen wurde. Ein nur vorübergehend sichtbares Wunderwerk der Technik also, fassbar gemacht als Kathedrale überirdischer Schönheit. Der Boxenstopp der Formel 1 wird wiederum überhöht inszeniert wie eine christliche Beweinung — der Rennsport als Religionsersatz.

Die Bildserie "Pyongyang" kann als Sensation gewertet werden; nie zuvor erlaubte das nordkoreanische Regime westlichen Beobachtern Aufnahmen der Arirang-Feierlichkeiten — Pass und Mobiltelefon nahm man dem Künstler denn auch beim Grenzübergang weg. Die Bilder ("ich musste schnell sein, die Formationen änderten sich binnen Sekunden") zeigen Szenen, in denen Tausende mit bunten Tüchern und Trikots ausgestattete Menschen lebendige Bilder bilden — so perfekt, dass man den Einzelnen kaum zu erkennen vermag. Den Vorwurf, hier einem totalitären System zu huldigen, weist Gursky von sich — er versteht sich nicht als politischer Mahner, er will durch künstlerische Umformung das Prototypische schildern. In diesem Fall, so sagt Andreas Gursky, ist es der "Religionsersatz durch die Inszenierung kollektiven Glücks".

(RP)
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