Interview: Mona Neubaur "Der Wohnmarkt braucht Verlässlichkeit"

Düsseldorf · Die Chefin der Grünen lobt die konstruktive Atmosphäre am Ampel-Verhandlungstisch. Auch mit der FDP gibt es viele Gemeinsamkeiten - zusammen hat man der SPD manchen Kompromiss abgerungen. Wichtig sei die Grünen-Handschrift.

 "Wir haben uns klar zur Schuldenfreiheit bekannt", sagt Grünen-Chefin Mona Neubaur. Das werde man auch halten.

"Wir haben uns klar zur Schuldenfreiheit bekannt", sagt Grünen-Chefin Mona Neubaur. Das werde man auch halten.

Foto: Hans-Jürgen Bauer

Frau Neubaur, am 27. Oktober entscheiden die Grünen-Mitglieder über den Ampel-Vertragstext. Haben Sie schon Reaktionen gehört?

Neubaur Es gibt vereinzelte Rückmeldungen. Die sind positiv. Die Grünen finden sich im Text wieder bei Themen wie Ökologie, Verkehr, Bildung und Bürgerbeteiligung.

Der Vertrag ist Ergebnis der Verhandlungen mit SPD und FDP. Wo ist die Grünen-Handschrift am deutlichsten? Was ist Ihre Marke?

Neubaur Die Bürgerbeteiligung, die sich durch das gesamte Programm zieht. Angefangen bei der Mitgestaltung unserer Umwelt im öffentlichen Raum, etwa mit urbanem Gärtnern, über echte Mitbestimmung bei Planung und Verkehr bis hin zu stadtweiter Befragung von Eltern, welche Schulformen sie an welcher Stelle wünschen.

Beim Thema Wohnen haben sich Grüne und FDP gegen die SPD durchgesetzt. Das Handlungskonzept mit 20 Prozent öffentlich gefördertem und 20 Prozent preisgedämpftem Wohnraum bleibt bestehen. Wie haben Sie das bei dem Kernthema der SPD geschafft?

Neubaur Da haben die guten Argumente überzeugt. Die Immobilienwirtschaft braucht Verlässlichkeit, sie saß selbst mit am Tisch, als das Konzept erarbeitet wurde. Das kann man jetzt nicht nach einem Jahr wieder über Bord werfen. Der Wohnungsmarkt ist ein schwerfälliger Tanker. Natürlich müssen wir auch prüfen, ob das Konzept funktioniert.

Enttäuscht es Sie, dass Oberbürgermeister Thomas Geisel (SPD) bereits wenige Tage nach Veröffentlichung des Vertrags, die Vereinbarungen aufkündigte und bei der Immobilienmesse Expo doch auf 30 Prozent öffentlich geförderten Anteil pochte?

Neubaur Die Kooperationspartner werben bei ihren Mitgliedern um Zustimmung für die 20-20-Regelung. Darauf hat man sich verständigt und dafür gibt es eine politische Mehrheit im Stadtrat. Ohne politische Mehrheit kann auch ein Oberbürgermeister nichts durchsetzen.

Mit wem war das Verhandeln schwieriger: SPD oder OB Geisel?

Neubaur Das Verhandeln mit Thomas Geisel war anders. Was sich aus seiner Frische im Amt und seiner Funktion als OB ergeben musste. Er ist sowohl Vertreter der Stadtverwaltung als auch des Politischen. Deshalb spielt er eine andere Rolle.

Haben Sie Geisel auch als vierte Kraft am Verhandlungstisch empfunden?

Neubaur Er ist durchaus mit seinen eigenen Ideen aufgetreten. Das Interesse von allen war allerdings immer, gemeinsame Lösungen zu finden. Das ist uns gelungen.

Vor allem zwischen Grünen und Liberalen ging es in den vergangenen Jahren hart zur Sache. Wie konnte es doch so harmonisch sein?

Neubaur Hätte mir das vorher jemand gesagt, ich hätte es nicht geglaubt. Entscheidend, dass es geklappt hat, war der gegenseitige Respekt vor den dahinter stehenden politischen Werten, die Anerkennung der Unterschiedlichkeit.

Es gibt Punkte, für die Sie gemeinsam mit der FDP gekämpft haben ...

Neubaur Das ist richtig. Das war beim Handlungskonzept Wohnen der Fall, beim Thema Schuldenfreiheit und auch bei der Abschaffung der Barette des städtischen Ordnungsdienstes.

Die Grünen haben sich bis zuletzt für eine städtische Firma stark gemacht, über die Schulneubauten abgewickelt werden sollten. Warum kommt sie nun doch nicht?

Neubaur Mit dem konkreten Blick in die Finanzen der Stadt scheint es auch ohne eine solche Firma möglich zu sein.

Aber wie wollen Sie die Schulneubauten finanzieren und die Schuldenfreiheit erhalten?

Neubaur Die Kosten werden nicht in einem Jahr anfallen. Zunächst wird geplant. Wenn es dann ans Bauen geht, sind Großprojekte Kö-Bogen und Wehrhahn-Linie abgeschlossen. Somit werden Mittel frei.

Damit sollte eigentlich die geschmolzene Rücklage wieder aufgefüllt werden. Geht es auf deren Kosten?

Neubaur Das könnte so sein. Aber es sind schließlich Investitionen, die nicht zu umgehen sind. Wir müssen ausreichend Schulraum vorhalten. Das rechtfertigt auch, die Rücklagen nicht um jeden Preis aufzufüllen.

Ein finanzielles Mammutprojekt ist auch die Bahn am Gallberg. Wie realistisch ist, dass sie wirklich kommt?

Neubaur Das ist als politisches Ziel im Vertrag formuliert.

Aber werden Sie für all das nicht doch neue Schulden aufnehmen müssen?

Neubaur Nein, denn wir haben uns alle klar zur Schuldenfreiheit bekannt. Es wird also darum gehen, Projekte zu priorisieren, um eine nachhaltige Finanzpolitik zu garantieren, die nachfolgenden Generationen nicht die Zukunft verbaut.

Was kosten denn die priorisierten Vereinbarungen?

Neubaur Wir wissen, dass wir zehn Millionen Euro Investitionsstau bei den Kulturbauten haben, zehn Millionen bei den Sportstätten und acht Millionen Euro beim Bäderkonzept. Das sind 28 Millionen Euro plus die Kosten der Schulneubauten.

Und alles andere ist das Sahnehäubchen oben drauf?

Neubaur So hart kann man es nicht sagen, schließlich ist bereits einiges, etwa Schulsanierungen oder der Ausbau von Radwegen, etatisiert.

Wann wird der verstorbene OB Joachim Erwin endlich mit einer Platzbenennung geehrt?

Neubaur Ich bin mir sicher, wir werden zu gegebener Zeit eine Lösung finden, die dem Wunsch des Verstorbenen entspricht, sich nicht darüber zu streiten.

Noch ein Blick in die Zukunft: Wie lange wird die Ampel halten?

Neubaur Aus den Verhandlungen gibt es für mich keine Hinweise darauf, die Ampel als ein labiles Konstrukt zu sehen. Uns eint mit SPD und FDP die Idee, gemeinsam Düsseldorfs Stärken weiter auszubauen und es zu einer wirklich modernen Landeshauptstadt zu machen.

Wäre Schwarz-Grün im Fall eines Bruchs doch eine Option? Immerhin gibt es den Parteibeschluss für Sondierungsgespräche mit der CDU ...

Neubaur Wir werben jetzt bei unseren Mitgliedern, das Ampel-Bündnis zu verwirklichen. Alle Grünen-Beteiligten haben ihren Sachverstand eingebracht und werden selbstverständlich darauf achten, dass die verabredeten Ergebnisse auch umgesetzt werden. Sollte es tatsächlich zum Bruch kommen, würden wir uns aber ein neues Votum bei unseren Mitgliedern holen.

Haben Sie Sorge, dass es zu einer großen Koalition kommen könnte?

Neubaur Das sind doch ungelegte Eier! Ich stehe als Parteichefin dafür, dass Grünen-Inhalte umgesetzt werden können. Das war, ist und bleibt Basis der Grünen-Politik.

Wie klar wird das Votum Ihrer Basis zum Ampel-Vertrag ausfallen?

Neubaur Ich freue mich auf eine intensive inhaltliche Debatte der Mitglieder und hoffe, dass die Basis der Grünen-Verhandlungsgruppe folgen wird.

DENISA RICHTERS FÜHRTE DAS INTERVIEW.

(dr)
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