Düsseldorf Die plötzliche Ruhe an den Gleisen

Düsseldorf · Ganz Deutschland klagt über den Lokführer-Streik. Ganz Deutschland? Nein. Es gibt Menschen, für die ist der Tarifstreit ein Segen. Sie leben direkt an der Strecke. Und genießen ein paar Tage im Paradies.

Sie hören, dass Sie nichts hören. Der vom Bahnlärm geplagte Dieter Kappel genießt die Ruhe. Wegen des Streiks der Lokführer fährt kein Güterzug vor seinem Haus.

Sie hören, dass Sie nichts hören. Der vom Bahnlärm geplagte Dieter Kappel genießt die Ruhe. Wegen des Streiks der Lokführer fährt kein Güterzug vor seinem Haus.

Foto: Andreas Endermann

Monika Sistermann hat gut geschlafen, und das ist jetzt nicht nur eine Floskel, die selbstverständliche Antwort auf eine Höflichkeitsfrage. Ein ruhiger Schlaf ist tatsächlich Luxus für Frau Sistermann. "Ich habe geschlafen wie lange nicht mehr", sagt sie. Denn zum Schlaf, da gehört die Ruhe, doch die gibt es eigentlich nicht dort, wo Frau Sistermann wohnt. Gemeinsam mit ihrem Mann Christopher, den Kindern Annika, Gregor und Rebbeka wohnt sie direkt an den Gleisen, 30 Meter entfernt von einer der meistbefahrenen Güterstrecken Europas, von Genua nach Rotterdam, am Rande steht das Haus der Familie Sistermann in Rath. Und weil die Lokführer der GDL nun streiken, herrscht bei Sistermanns eben Ruhe, Stille, "es ist ein anderes Lebensgefühl", sagt Monika Sistermann.

Normalerweise rollen die Güterzüge 30 Meter entfernt entlang, alle zehn bis 15 Minuten. Wie das ist? Der Boden vibriert, man kann sich nicht mehr bei Zimmerlautstärke unterhalten, wenn die Fenster geöffnet sind. Dabei ist Familie Sistermann wahrlich nicht empfindlich.

"Wir wussten ja auch von der Lärm-Belastung", sagt Claudia Pautsch, die Nachbarin der Sistermanns. Sie wohnt seit 2005 in der Straße Am Götzenkothen. Doch am Anfang, da sei die Belastung ja noch nicht so groß gewesen. "Wir erleben eine ständige Steigerung, seit wir hierhin gezogen sind", sagt Frau Pautsch. Erst jetzt, da Stille herrscht, fällt ihr auf, wie groß die Belastung eigentlich ist. "Wie ein Urlaub" sei der Streik der Lokführer. "Ich wünsche mir, dass sie das mal im Sommer machen, dann könnten wir wenigstens einmal im Jahr den Garten richtig nutzen." Auch die Kinder sind genervt. Das liegt aber gar nicht so sehr am Lärm - Kinder seien da weniger empfindlicher - es ist vielmehr das Vibrieren des Bettes, wenn ein Güterzug förmlich durchs Kinderzimmer donnert. Am schlimmsten seien die Pläne der Bahn, die vorsehen, dass sich bis 2025 das Verkehrsaufkommen auf der Strecke verdoppelt. "Ich will mir das gar nicht ausmalen", sagt Frau Pautsch. Zumal die Bahn keine weiteren Lärmschutzmaßnahmen ergreifen will. Bestandsschutz heißt es hier lapidar.

Eine Sicht, die auch Dieter Kappel auf die Palme bringt. Er wohnt am Beverweg, ebenfalls direkt an den Gleisen. Heute Nacht hat er bei offenem Fenster geschlafen, durchgeschlafen, wie er sagt. Vor 30 Jahren hat er sein Haus gebaut, damals hatte man am Wochenende Ruhe, in der Nacht fuhren eh keine Züge, und wenn am Tag welche fuhren, waren die halb so lang und leiser. "Heute hingegen haben Sie nie Ihre Ruhe." Er fordert Lärmschutzmaßnahmen, Geschwindigkeitsbegrenzungen für Güterzüge, leisere Bremsen - im weitesten Sinne will er Schutz. Gemeinsam mit seinem Nachbarn Kaspar Michels hat er 4000 Unterschriften gesammelt. Ob es etwas nützt? Kappel weiß es nicht. Aber immerhin habe Thomas Geisel versprochen, mit der Bahn zu reden, etwas zu machen. "Damals allerdings war Wahlkampf", sagt Kappel.

Er und seine Frau Anni werden heute viel im Garten sein. Es ist zwar kalt zurzeit, aber die Ruhe, die müsse man ja einmal ausnutzen. Bis der Alltag wiederkommt.

(RP)
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