Düsseldorf Drei Höhepunkte des New Fall Festivals

Düsseldorf · Das New Fall Festival brachte großartige Künstler in die Stadt: Element Of Crime begeisterte in der Tonhalle. Außerdem brachten Tocotronic ihre alten Lieder in rohen Versionen auf die Bühne, und Billy Bragg trat gegen das Unrecht an.

 Dirk von Lowtzow, Sänger der Gruppe Tocotronic, in der Tonhalle. Am Schlagzeug Arne Zank.

Dirk von Lowtzow, Sänger der Gruppe Tocotronic, in der Tonhalle. Am Schlagzeug Arne Zank.

Foto: Susanne Diesner

Freitag, 20 Uhr: Element Of Crime, Tonhalle

 Sven Regener trat mit seiner Band Element Of Crime auf.

Sven Regener trat mit seiner Band Element Of Crime auf.

Foto: Susanne Diesner

Es gibt keine andere Band, deren bekanntester Song den Namen einer norddeutschen Kleinstadt trägt. Aber so ist das nun mal bei Element of Crime und "Delmenhorst". Beim New Fall Festival trugen die Musiker um Sänger und Texter Sven Regener ihren "Hit" gleich an dritter Stelle im Set in der seit Wochen ausverkauften Tonhalle vor. So hörte man schon früh die schönen Zeilen "Hinter Huchting ist ein Graben / Der ist weder breit noch tief / Und dann kommt gleich Getränke Hoffmann / Sag Bescheid, wenn du mich liebst." Provinz, und doch der Mittelpunkt der Erde, und dazu ein lakonischer Ton, hinter dem sich das ganze Leid des Lebens und Liebens verbirgt. Kleine Weisheiten gibt es gratis dazu: "Wie viele Erdbeereise muss der Mensch noch essen, bevor er endlich einmal sagt: Ich bin dafür".

All diese Geschichten werden von der Band, deren Besetzung sich seit ihrem Debütalbum "Try to be Mensch" von 1987 kaum verändert hat, lässig und gekonnt in Szene gesetzt, dramatisch wird es, wenn Regener die Trompete ansetzt, sein Ass im Ärmel, bei "Kaffee und Karin" gerät das äußerst enthusiastische Publikum fast ins Schunkeln, aber eben nur fast. Wenn es in die Welt hinausgeht, tauchen Serge Gainsbourgs "Akkordeon" und Lotte Lenyas "Surabaya Johnny" auf und Delmenhorst ist plötzlich ganz weit weg. Im Zugabenblock erinnert "Moonlight" an Lou Reed. (hag)

Samstag, 20 Uhr: Tocotronic, Tonhalle

"Alles explodiert, kein Wille triumphiert." So schön, wie die Band Tocotronic hat noch niemand die Apokalypse besungen. Sie tun es in ihrem Song "Explosion", der das fulminante Ende eines großartigen Auftritts in der Tonhalle abgibt. Gitarrenwände, hypnotisches Schlagzeug, wabernder Bass, Feedback-Fiepen und darüber klar und tief die Stimme des Sängers Dirk von Lowtzow umfangen die Zuhörer.

Die sind zu diesem Zeitpunkt längst von ihren Sitzen aufgestanden. "Dass sie nicht auf den Stühlen standen, war noch alles", raunt nachher eine Einlassdame ihrer Kollegin zu. Aber mit so etwas muss man rechnen, wenn man eine Rockband in einen Hochkultursaal holt — und dies ist genau die Spannung, von der das New Fall Festival lebt. Die Fans von Tocotronic, die "einem Sitzkonzert" zuerst kritisch gegenüber standen, lernten schnell die perfekte Akustik schätzen. Die Band aus Hamburg und Berlin spielte sich darin durch ihre Werkgeschichte. Lange hat man die frühen Songs wie "Freiburg" oder "Ich möchte irgendwas für dich sein" nicht mehr so kraftvoll und roh gehört. Tocotronic, deren neues Album "Wie wir leben wollen" vergleichsweise sanft klingt, haben ihre Wut wiedergefunden. Die Wut über gesellschaftliche Verhältnisse, mit denen sie nicht einverstanden sein können. Die klaren Ansagen von damals sind heute metaphorischen Texten über das Gefühl der Fremdheit in der Welt gewichen — doch die Fans feiern das alte Material wie das neue. Schließlich muss man Bands mit ernsthaftem politischen Anspruch heute mit der Lupe suchen. (mfk)

Samstag, 20 Uhr: Billy Bragg, Schumann-Saal

Diesem Mann würde man sogar eine Teetasse abkaufen, so charmant wie der Liedermacher Billy Bragg das Souvenir vom Merchandising-Stand anpreist. "Wenn man Tee aus diesem Becher trinkt, glaubt man, beim Singen jeden Ton zu treffen — fragt Morrissey." Mit dem Seitenhieb auf den Landsmann, sind wir beim Wesen des "Barden aus Barking" angelangt. Denn Bragg ist Sozialist, sein Vorbild ist der US-Songschreiber Woody Guthrie auf dessen Gitarre einst stand "This Machine Kills Fascists", und seit Morrissey Aussagen zugeordnet werden, die man als ausländerfeindlich deuten kann, gibt es Zwist.

Aber Bragg ist kein verkniffener Gutmensch. Wenn er sagt, dass er sich im Kampf gegen Ungerechtigkeit engagiere, dann fügt er auch den Kampf für langlebige Beziehungen hinzu. Politik und Liebe gehen bei ihm Hand in Hand. Begleitet wird er bei seinen Songs von einer exzellenten Band, aber den Mittelteil des Konzerts im fast ausverkauften Schumann-Saal bestreitet er solo, wie zu Beginn seiner Karriere, als er mit der Gitarre bewaffnet im Vorprogramm von Punkbands auftrat. Mit dem neuen Bart sieht der 55-Jährige aus wie Hannes Wader — das passt ja. Über allem schwebt indes der Geist von Woody Guthrie.

Viel Beifall für diese Mischung aus Folk, Country und Brit-Pop. (hag)

(RP)
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