Helene Fischer in Düsseldorf Eine Badewanne voller Spumante

Düsseldorf · Helene Fischer hat ein umjubeltes Konzert im Düsseldorfer ISS Dome gegeben. Sie führte 8500 Zuschauer in ihr Schlager-Fantasie-Land, das wie ein Swarovski-Mittelerde aussah. Wichtigste Erkenntnis des Abends: Auch sie ist ein Mensch.

Helene Fischer hält Hof im ISS Dome
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Helene Fischer hält Hof im ISS Dome

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Foto: Christoph Reichwein

Man denkt ziemlich viel nach in einem Konzert von Helene Fischer. Wie die 30-Jährige das mit der ständigen Höchstleistung hinbekommt, fragt man sich zum Beispiel, und dann auch noch lächelnd und auf hohen Hacken. Was Florian Silbereisen wohl damals zu ihr gesagt hat, damit sie sich in ihn verliebt, wüsste man auch gerne. Und wie wohl der Turing-Test bei ihr ausfallen würde, jener Test also, mit dem man feststellt, ob man Mensch oder Maschine vor sich hat. Die ersten beiden Punkte kann man auch nach rund zweieinhalb Stunden im ISS Dome nicht beantworten. Den dritten schon: Mensch, Helene!

In Düsseldorf setzte Deutschlands erfolgreichster Popstar in nahezu intimer Atmosphäre seine enorm erfolgreiche "Farbenspiel"-Tournee vor 8500 Fans fort. Das Charmante war, dass man nach der knapp siebenmonatigen Winterpause ein paar kleinere Anlaufschwierigkeiten beobachten konnte, die bei Vorgänger-Konzerten nicht zu erleben waren und bei den folgenden in den großen Stadien wohl auch nicht mehr vorkommen dürften. Es gab feine Risse, und durch sie fiel Licht. Auch Helene Fischer schwitzt, das weiß man nun, das Tanzen, Im-Kreis-Laufen und vor allem die Akrobatiknummer, bei der sie wie ein Flummi an Gummiseilen über die Köpfe der Zuschauer durch die Halle flitschte, waren anstrengend - selbst für sie. Und gegen Ende unterbrach sie die Akustik-Nummer "Die Rose", weil das Zusammenspiel mit ihrem Pianisten nicht hinhaute. Sie warf die Haare von rechts nach links und kicherte sehr nett und ehrlich. Das ließ tiefer blicken als jede Homestory.

Helene Fischer: Fans warten vor der Halle in Düsseldorf
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Fans warten vor Helene-Fischer-Konzert in Düsseldorf

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Foto: Christoph Reichwein

Ansonsten war das eine Show der Superlative: zehn Musiker, ein Dutzend Tänzer, dessen männlicher Teil neben definierten Oberkörpern auch beneidenswerte Haarpracht aufwies, zudem mehrere Kostümwechsel. Jeder Entertainer inszeniert sich in seinen Liedern, und die Erzählerstimme in den Songs von Helene Fischer ist eine Frau irgendwo zwischen Hermann Hesse und Jennifer Aniston. Sie träumt von der Liebe und sehnt sich danach, von einem Kerl in zerrissenen Jeans in eine Badewanne voller Spumante geschubst zu werden. Fischer holt ihre Zuhörer da ab, wo die ihren Paris-Reiseführer aufgeschlagen liegen gelassen haben. Durchbrennen, durchtanzen, Spiel mit dem Feuer, flackernde Augen und heiße Nacht, das sind so die Themen. Wobei Fischer den Motivkomplex Ekstase und Eskapismus recht arbeitgeberfreundlich gestaltet: Zwischen den Zeilen versichert sie stets: Morgen geh' ich wieder ins Büro. Diese Lieder sind Selbsthilfeprogramm für Herzen in Aufruhr. Selbstermächtigungs-Seminar für jene, die die Sehnsucht kennen.

Die Bühne war gestaltet wie ein Swarovski-Mittelerde: An düster verkrüppelten Bäumen hingen glitzernde Kristalle. Einmal tauchte auf der Großleinwand im Hintergrund eine Diskokugel auf, dann grinsende LSD-Blümchen in psychedelischen Farben: Prosecco-Centopia. Helene Fischer ließ sich aus einer mächtigen Seerosen-Blüte schälen, von weiß gewandeten Tänzern auf Stelzen herumschleudern und auf einer mobilen Treppe, die wie ein Baumstumpf gestaltet war, umherfahren. Einmal räkelte sie sich auf einem roten Sofa, der Bühnenventilator blies ihr die Haare aus dem Gesicht, und zusammengenommen erinnerte das an Erotik. Sie sang vom Paradies, und nahezu jede Zeile wurde vom Chor der Angetanen mitgesungen.

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Das ist Helene Fischer

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Foto: dpa/Britta Pedersen

Die Show hat internationales Niveau, Helene Fischer live ist wie Beyoncé, allerdings minus gute Beats und Feminismus. Und als wollte sie unterstreichen, dass sie in Deutschland ein Weltstar ist, bestand das Set fast zur Hälfte aus Coverversionen. Nur sie darf wohl die Fußball-Hymne "Seven Nation Army" von den White Stripes mit "Sexy" von Marius Müller-Westernhagen verheiraten. Nur sie lässt "Männer" von Grönemeyer ganz lässig in "The Best" von Tina Turner münden und legt dann noch "Bring Me To Life" von Evanescence nach. Nur sie kann das allerdings auch.

Es gibt keinen Sarkasmus in den Liedern von Helene Fischer, sie ist nie ironisch, und ihre Ansprachen haben keine zweite Ebene, keinen doppelten Boden. Sie zwinkert nicht mit den Augen, sondern drückt das Kinn nach vorne. Wenn sie eine rote Rose hochhält, weiß jeder: Jetzt wird's romantisch. In den teils sehr langen Zwischenansagen wirkte der Wunsch nach Wahrhaftigkeit allerdings arg vorformuliert. Die Witze holperten, und das Bonmot über den ansonsten zumeist als Sportpalast genutzten ISS-Dome darf da noch als Knüller gelten: "Heute gibt es hier kein Eishockeyspiel, heute heißt es Farbenspiel." Einmal wollte Fischer erklären, warum sich alle ihre neue App herunterladen und dann das illuminierte Smartphone hochalten sollen: "Damit sich die verschiedenen Emotionen durch euch übertragen." Die meisten Handys blieben in den Taschen.

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Aber das sind bloß Kleinigkeiten, Egalitäten nach der langen Pause, schließlich ging es um viel mehr, um die Liebe nämlich, amore, te quiero, und mein Herz läuft Marathon. Verliebte umarmten einander, und wenn es stimmt, dass Kitsch süß und klebrig ist, dann war die Halle nach einer Stunde angefüllt mit Erdbeermarmelade. Es flog gelbes Schmetterlings-Konfetti, grüne Luftschlangen wurden unter die Hallendecke geschossen, und gelegentlicher Einsatz von Pyrotechnik sorgte für Schmuse-Temperaturen. Dieser populärromantischen Wucht konnte man nichts entgegensetzen - warum auch, man war ja gekommen, um sich überwältigen zu lassen. Die meisten wirkten zufrieden, ursprünglich zufrieden, la-la-la-zufrieden. Wie Kinder, die unbemerkt ins Einmachglas gegriffen haben und nun dastehen — mit rot verschmiertem Mund, für kurze Zeit bedürfnislos und pappsatt. Die Ohrwürmer "Phänomen" und "Atemlos" fraßen sich ins Gehirn, man trat aus der Halle, ganz mürbe im Keks. Man dachte schon lange nicht mehr nach, sondern grinste nur mehr und summte: "Ich geb' es nicht gern zu / Mein größter Schwachpunkt, der bist du."

Eine Straftat wird nach dem Konzert jedenfalls keiner der Zuschauer begangen haben. Es sei denn aus Liebe.

(hol)
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