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Düsseldorf · Von "Brücke"-Malern über Beuys bis On Kawara: Die Galerie Ludorff stellt von 35 Künstlern Postkarten aus, die kleine Kunstwerke sind.

Was wir heute als Fortschritt empfinden, ist, zivilisatorisch betrachtet, ein Rückschritt. Denn eine SMS, via Handy millionenfach täglich versendet, hat entscheidende Nachteile gegenüber einer von Hand gemalten und beschriebenen Postkarte. Beide sind sie zwar textlich kurz gefasst. Der SMS fehlt indes die Seele. Sie lässt sich nur schwer in ein Erinnerungskästchen packen, für die Ewigkeit deponieren und auch nicht an die Wand pinnen.

Schnell sind sie beide, denn in den 80er und 90er Jahren des 19. Jahrhunderts wurde in großen Städten die Post noch pünktlich und bis zu drei Mal am Tag ausgeliefert. Im Jahr 1879 beförderte die Deutsche Reichspost 120 Millionen aufgeschriebene Botschaften von einem zum anderen. Die Erfindung der Postkarte war eine Erfolgsgeschichte, so preiswert und schnell wie das Papier war. Um 1900 widmete sich die Kunstgewerbe-Bewegung ihrem Design, bekannte Künstler wie etwa Oskar Kokoschka entwarfen Motive, die, druckgrafisch umgesetzt, so begehrt waren, dass die Karten erst gar nicht verschickt, sondern sogleich in Sammelalben gesteckt wurden.

Heute ist die Künstlerpostkarte eine Besonderheit auf dem Kunstmarkt - klein und kostbar. Persönlich ist sie, da meist mit Botschaften des Künstlers angereichert. Anschaulich ist sie immer dann, wenn sie das größere Werk, den Stil eines Künstlers skizzenhaft umreißt oder andeutet. Anekdotisch kann sie sein, da sie von den Tagen und besonderen Stimmungen berichtet, in denen sich ein Künstler bemüßigt fühlte, ein fest formiertes Kärtchen zu beschriften, individuell zu bemalen, sogar aus Filz oder Holz herzustellen wie Joseph Beuys und buchstäblich mit künstlerischem Sendungs-Bewusstsein zu bedenken.

35 solcher Schätze hat die Galerie Ludorff an die Wände gehängt - um sie zu zeigen und anzubieten. Von den Künstlern der expressionistischen "Brücke"-Bewegung angefangen über den Kosmos des "Millionenstrichlers" Horst Janssen bis zu den existenziell ausgelösten tagebuchartigen Kunstaussagen des Konzeptionalisten On Kawara. Selbst Jospeh Beuys wandte sich mal der Postkarte zu; für die Documenta 4 gab er ganze Serien heraus, die einmalig im Material sein dürften: Aus Filz und Holz schuf der Niederrheiner Multiples, mit denen er seine Programmatik der "Kunst für alle" vermitteln konnte.

Tiefer taucht man in die Kunstgeschichte bei den älteren Künstlern ein, die verdichtete Miniaturen und kleine Meisterwerke schufen mit Stift, Tusche, Kreide, Kohle, Holzschnitt oder Aquarellfarbe. Karl Schmitt Rottluff suchte um 1920 Abstand vom Rummel der Großstadt. In Pommern faszinierte ihn das Leben einfacher Menschen, auch die Landschaft, die er farbtanzend in dicken Strichen verewigte. Eine Kostprobe seines "Scheibenbilder"-Stils gab Ernst Wilhelm Nay auf der Grußkarte, die ornamental und voller Übermut in englischer Sprache Wünsche, auch von der Gattin, zum Weinachtsfest übermittelt.

Nicht zufällig das teuerste Stück der Ausstellung ist die von Erich Heckel bemalte Karte, die der Expressionist 1911 herstellte und die 1913 von Dresden nach Hamburg an Frau Käthe Bleichröder ging. Malerfreund Ernst Ludwig Kirchner verfasste seltsamerweise den Text, der auf eine Ausstellung von Kirchner hinwies. Beide Künstler unterschrieben dieses Poststück. Das Prächtige daran und dokumentarisch so Wertvolle dürfte die kleine, vielleicht unkeusche Zeichnung im reifen "Brücke"-Stil sein.

Klar durchgezogene Linien zeugen von der Spontaneität des Malprozesses, Flächen in den Grundfarben dominieren. Tiefe soll nicht entstehen, die Perspektive ist verzerrt. Das Auge fängt sich im Akt, nackt räkelt sich die Schöne in der Sonne am See. Ein Hund hockt ihr zu Füßen. Intensiv ist dieses Bild, intensiver fast als mancher einer SMS angehängte Schnellschuss.

Dem Briefträger von anno dazumal muss solche Post freilich die Schamesröte ins Gesicht getrieben haben.

(RP)
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