Derendorf Eine Kneipe wie ein Wohnzimmer

Derendorf · "Die Butze" in Derendorf wurde von elf Gründern aufgebaut - das erste Jahr brachte viel Stress.

 Am ersten Abend nach längerer Winterpause war die "Butze" gut gefüllt mit alten und neuen Gästen.

Am ersten Abend nach längerer Winterpause war die "Butze" gut gefüllt mit alten und neuen Gästen.

Foto: anne orthen

Am Anfang war der Frust. Fernab von Konkurrenzdenken und der leistungsorientierten Gesellschaft wollten sich elf Freunde eine andere Arbeitswelt schaffen: kein Chef, dafür Gleichberechtigung und sich täglich in dem verwirklichen, was sie tun. Nach einem Jahr ist aus den utopisch klingenden Träumen die "Butze" in etwa zu diesem Ort geworden. Auch wenn die Realität in den vergangenen Monaten bereits an der massiven Holztür der Eckkneipe angeklopft hat. "Wir können uns den Mindestlohn auszahlen", sagt Sabine Reimann. Die 34-Jährige ist eine der elf Gründer des ersten Kneipen-Kollektivs der Stadt. Zwei haben das Team verlassen, aber nicht im Streit. "Einer pendelte aus Köln, die andere aus Duisburg, das passte nicht mehr." Ist es bisher denn so gelaufen, wie erhofft? "Es ist fast noch besser", sagt Reimann. Und dass, obwohl die Eckkneipe an der Weißenburgstraße kaum Gewinn einbringt - zumindest noch nicht.

Von außen ist die Kneipe blau angestrichen, nur die roten Gardinen verraten mehr über die alternative Gesinnung der Eckkneipe. Selbst das Kollektiv musste erst herausfinden, wofür der Laden steht: "Wir dachten, wir sind mehr Kneipe. Im Moment sind wir aber ebenso viel Restaurant", sagt Reimann. Im ersten Jahr blieben auch Ideen auf der Strecke. So musste der Sonntagsbrunch gestrichen werden, weil Kosten und Nutzen in keinem Verhältnis standen. Ein erster Triumph wirtschaftlicher Zwänge über den Eifer. Dass Freunde auch zahlende Gäste sind, war ebenfalls ein Lernprozess. Doch es öffneten sich auch ungeahnte Türen. Acht bis zehn Events finden pro Monat in der Butze statt - von der Kunstausstellung und Musikslams bis zu veganen Tapasabenden. Das Abendprogramm fülle sich wie von selbst. Die vegane Küche hat sich etabliert. Zwischen den Autodidakten ist ein gelernter Koch. "Der Butzini ist der Renner", sagt Max Kreuzweiser (29), der pro Abend viele Fladenbrote und insgesamt bis zu 60 Essen herausschickt. Auch für Weihnachtsfeiern hatten sich Gruppen in der Butze angemeldet. "Es ist ein soziales Milieu, denke ich", meint Reimann über die Gesellschaften. Etwa die Düsseldorfer Drogenhilfe oder der Tierschutzverein.

Von Anfang an hatten sie diese clevere Offenheit bei der Zielgruppe. "Wir wollten kein Fremdkörper in der Nachbarschaft sein oder nur hippe Kundschaft anziehen." Denn auch die Elf waren nie eine homogene Gruppe, das sollten die Gäste ebenso wenig sein. Hier trinkt die 40-jährige Lehrerin den Ingwertee, dort schlürft der Mittzwanziger seine Kräuterlimonade. Kinder sind am frühen Abend ebenfalls zu sehen. Und am Wochenende, wenn der "Tatort" läuft oder die Fortuna spielt, sind bis zu 150 Gäste da. "Irgendwas zwischen Kneipe und Wohnzimmer", rezensiert einer der Stammgäste auf der Facebookseite. Er spricht das aus, was auch der Besucher denkt, der auf den heimeligen Holzstühlen Platz nimmt, auf die liebevoll dekorierten Tische blickt, in Zeitschriften blättert und den Duft der "Butzinis" einatmet, die gerade im Ofen backen.

Dass es hart und mit viel Arbeit verbunden sein würde, hatte das Kollektiv geahnt. "Wir bemühen uns, uns nicht selbst auszubeuten und vor lauter Leidenschaft kaputt zu gehen", sagt Emanuel Schmidt, der Bauingenieur, der gerade die Kartoffeln schält. Die Butze funktioniert kostendeckend, das heißt Löhne, Rechnungen und Miete können bezahlt werden. Sabine Reimann schreibt etwa 30 Arbeitsstunden pro Woche auf. Oft ist sie aber mehr als 50 Stunden vor Ort. "Freizeit" nennt Reimann das, weil Leben, Arbeit und Hobby kaum mehr zu trennen sind. All das steckt sie in das Kollektiv, weil sie Leistung nicht auf Kosten anderer und für das Konto eines Konzerns erbringen will. In der Butze hat das verdiente Geld für alle den gleichen Vorteil. "Klar haben wir Meinungsverschiedenheiten, andauernd", sagt Reimann und Schmidt grinst bestätigend. "Aber wir streiten nie um Geld." Das ist die Basis, denn alle stehen hinter der Philosophie. "Viel Kohle heißt, viel Kohle für alle - und umgekehrt." Als "Chef" habe sich in der Zeit auch niemand aufgespielt. Obwohl nur Michael Friebe Geschäftsführer der GmbH ist, sind alle Ellenbogen angelegt.

In den zwölf Monaten haben sie Verantwortlichkeiten nach Stärken verteilt: Friebe (52) kümmert sich um Organisatorisches, Max Kreuzweiser (29) feilt an der Speisekarte, Sabine Reimann (34) ist eines der Gesichter der Eckkneipe. So soll es weitergehen. Zum Einjährigen hat sich das Team zusammengesetzt und "einstimmig beschlossen, dass wir weitermachen". Das Zwischenfazit zeigt, dass sich die Butze zwar verändert hat, weil sie sich verändern musste. Ihre Grundidee aber lebt, weil die Kneipe nicht nur wirtschaftlich intakt ist, sondern auch ihr soziales Herz noch schlägt.

(RP)
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