Geldern Heiligabend, und Papa sitzt im Knast

Geldern · Weihnachten ist das Fest der Familie. Gerade dann haben die Insassen der Justizvollzugsanstalt Geldern noch mehr unter Einsamkeit zu leiden als sonst. In der "Väter-Gruppe" können sich die Betroffenen gegenseitig stützen.

 Besuche in der Justizvollzugsanstalt Geldern sind normalerweise alle zwei Wochen erlaubt. Heute jedoch nicht.

Besuche in der Justizvollzugsanstalt Geldern sind normalerweise alle zwei Wochen erlaubt. Heute jedoch nicht.

Foto: Gerhard Seybert

Am heutigen Heiligabend geht es in vielen Wohnzimmern besinnlich zu. Es wird gegessen, gesungen, und Kinder werden zu Künstlern des hemmungslosen Geschenkeauspackens. Für die meisten ist Weihnachten die Zeit, um innezuhalten oder gemeinsam mit der Familie zu feiern.

Davon können die Gefangenen in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Geldern nur träumen. Auch die Angehörigen sind davon betroffen. Besonders schlimm ist es, wenn der eigene Vater im Knast sitzt und Töchterchen oder Sohnemann die Geschenke unterm Baum ohne Papa auspacken müssen.

Die Mitglieder der "Väter-Gruppe" in der JVA können ein Lied davon singen. "Das ist die deprimierendste Zeit des Jahres. Vor allem an Heiligabend kommt Traurigkeit auf. Man denkt pausenlos an die Familie", erzählt ein Gefangener, der seit rund sieben Jahren im Knast sitzt. Als er in den Bau musste, war sein Sohn gerade einmal zweieinhalb. "Ich versuche, mich so gut wie möglich abzulenken. Wir haben die Möglichkeit, uns umschließen zu lassen. Das bedeutet, dass Gefangene einige Stunden gemeinsam auf einer Zelle verbringen dürfen", sagt er. Das Wichtigste sei, nicht allein zu sein. Ein Mitgefangener bestätigt das: "Nach vielen Jahren in Haft weiß man aber, wie man damit umgehen kann." Er selbst sei zwar Muslim, aber mit einer Christin verheiratet und auch Vater eines Kindes. "Vor meiner Haft haben wir das übliche Programm abgespult: Weihnachtsbaum kaufen, lecker essen und die Zeit einfach genießen. Das fehlt mir schon."

Um mit solchen Situationen umgehen zu können, haben die gefangenen Väter sich zur "Väter-Gruppe" zusammengeschlossen, um sich gegenseitig Halt und Kraft zu geben. "Wir wollten hier im Knast nicht nur rumsitzen und heulen, sondern etwas tun. Damit helfen wir nicht nur uns selbst, sondern auch unseren Familien", erklärt ein Gefangener, der das Projekt mit auf den Weg gebracht hat. Für die Kinder ist Weihnachten ohne ihre Väter besonders schlimm. Ein achtjähriger Junge besuchte in den vergangenen Tagen seinen Vater im Gelderner Gefängnis. "Wir denken viel an Papa. Ich bin traurig, dass er Weihnachten nicht bei uns ist", sagt er. Gemeinsam mit seiner Mutter wird er das Fest bei seinen Großeltern verbringen - zum ersten Mal ohne den Vater, da der erst seit November einsitzt. Auch die Mutter des Jungen hat damit ihre Probleme: "Ich bin aber froh, dass ich meinen Sohn an der Seite habe. Wir machen das Beste daraus", sagt sie.

Gerade Gefangene, deren Angehörige von weiter her kommen, verbringen die Weihnachtszeit oft ohne Familienbesuch, der in der Adventszeit ohnehin schwierig ist, da der Andrang vor der Pforte enorm sei. So mancher Besucher muss stundenlang warten, um überhaupt in den Knast hineinzukommen. Da sich die Besucher nicht anmelden müssen, ist es gerade kurz vor Weihnachten wie ein Lotteriespiel. Entweder man kommt rein, oder die Besuchszeiten sind abgelaufen, und man muss wieder nach Hause fahren. Aber allein das zeigt, dass die Gefangenen in der JVA nicht vergessen sind. "In der Regel dürfen sie alle 14 Tage Besuch empfangen. Der dauert zwei Stunden", erklärt der evangelische Pastor Hartmut Pleines, der die "Väter-Gruppe" momentan betreut. "Einige Gefangene können auch Langzeitbesuche empfangen, wenn sie sich bewährt haben. Die dauern dann drei Stunden und finden in einem unbeaufsichtigtem Raum statt." Heute dürfen zwar keine Besucher in den Knast, dafür dann aber morgen. Aber die Festtage sind nicht für alle gefangenen Väter deprimierend. "Für mich war Weihnachten nie so wichtig, weil ich nicht gläubig bin. Viel schlimmer ist für mich die Silvesternacht, weil wir dann immer mit der ganzen Familie gefeiert haben. Es ist kein schönes Gefühl, wenn man in der Zelle sitzt und draußen die Raketen knallen hört." Gerade in solch einer Zeit werde einem noch stärker bewusst, warum man im Knast sitzt.

Leichte Weihnachtsstimmung kommt auf den Stationen auf. Die Gefängnisleitung erlaubt den Gefangenen, Weihnachtsschmuck anzubringen. Zudem ist es in der Adventszeit gestattet, eine Kerze auf der Zelle zu haben. "Einige Stationen sind sehr festlich geschmückt, beispielsweise mit Kränzen", erklärt Pleines. Ein Gefangener fügt hinzu: "Gerade zu Weihnachten ist die Knastkapelle gerappelt voll. Ich vermute, dass die wenigsten zum Beten kommen. Für die meisten steht das gemeinschaftliche Gefühl im Vordergrund. Man will einfach nicht alleine sein", sagt er.

Besonders toll sei die Tannenbaum-Aktion, die es gefangenen Vätern ermöglicht, Geschenke an ihre Kinder zu schicken. "Wir stellen Anträge, und unsere Kinder erhalten dann Spielzeug oder Süßigkeiten. Das ist eine richtig schöne Sache", sagt ein Gefangener. Auch wenn es für die Familien draußen und die gefangenen Väter in der JVA heute Abend besonders schwer sein wird, ist eines gewiss: Gedanklich werden fast alle den Heiligabend miteinander verbringen.

(cad)
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