Hückelhoven Die letzte Lore

Hückelhoven · Vor 20 Jahren wurde die Hückelhovener Zeche geschlossen. Dabei hatte Sophia-Jacoba vor dem Schließungsbeschluss 1991 noch große Pläne - vorgesehen war ein völlig neuer Schacht zwischen Lövenich und Tenholt.

 Betroffene Gesichter an der letzten Lore. Ein Tag der Trauer für die Mitarbeiter der Zeche Sophia-Jacoba war der letzte Fördertag am 27. März 1997. Am Montag denken frühere Kumpel und Beschäftigte am Schacht 3 an diesen Tag zurück.

Betroffene Gesichter an der letzten Lore. Ein Tag der Trauer für die Mitarbeiter der Zeche Sophia-Jacoba war der letzte Fördertag am 27. März 1997. Am Montag denken frühere Kumpel und Beschäftigte am Schacht 3 an diesen Tag zurück.

Foto: Zurmahr (Archiv)

Als vor genau 20 Jahren, am 27. März 1997, die letzte Lore Steinkohle aus dem Schacht IV/VI der Zeche Sophia-Jacoba in Hückelhoven-Ratheim gehoben wurde, da strotzte der zweite fossile Brennstoff der Region, die Braunkohle, noch vor Energie. Und machte es möglich, dass rund 350 der noch verbliebenen 3500 Steinkohlekumpel (Bergleute) aus Hückelhoven nur zwei Dutzend Kilometer weiter Richtung Osten in den Braunkohletagebauen Arbeit bis zum Rentenalter finden konnten. Das Ende der Braunkohle ist nun auch in Sichtweite. Sophia-Jacoba hatte vor dem Schließungsbeschluss 1991 noch große Pläne - vorgesehen war ein völlig neuer Schacht zwischen Lövenich und Tenholt.

211.537 Tonnen Sand und Zement füllten nach dem Förderende und den Ausraubarbeiten (bergmännisch für Ausbau der noch funktionstüchtigen Technik) 1997 die SJ-Schächte, deren Teufen (bergmännisch für Tiefenbohrungen) 1908 zunächst bei Doveren-Baal, dann 1909 auf dem Hückelhovener Hansberg begonnen hatten. Der äußerst erfahrene Bergbauingenieur und -unternehmer Friedrich Honigmann hatte ab 1884 Mutungsbohrungen (Erkundungsbohrungen) bei Baal vorgenommen - der dort seit 1852 existierenden Bahnlinie Mönchengladbach-Aachen als Transportstrang wegen - erreichte Kohle aber erst in damals abbautechnisch ungünstigen Lagerstätten in etwa 500 Metern Tiefe. Auf dem Hansberg, heute steht dort noch das historische Fördergerüst 3, stießen Honigmanns Bohrtrupps bereits in 182 Metern auf abbauwürdige Kohleflöze (Kohleadern).

Diesen Standort baute Honigmann ab dem Augenblick aus, als 1908 feststand, dass eine Bahnlinie gebaut werden würde, die von Jülich her über Baal und Hückelhoven nach Dalheim führen und dort Anschluss an die internationalen Strecken über den "Eisernen Rhein" Antwerpen-Duisburg erhalten würde. 1911 erhielt Hückelhoven diesen Anschluss, Berichten zufolge hatte Honigmann auf die Planungen starken Einfluss genommen.

1914 wurde die erste Kohle gefördert, die Abbaufelder bewegten sich im Lauf der Jahrzehnte immer weiter nach Nordwesten/Norden, in Ratheim entstanden ab den 1940er Jahren die Förder- und Personenfahr-Schächte 4 und 6. Personen- und Luftschächte 5 und 7 entstanden schließlich bei Birgelen/Rosenthal, unter Tage wurde Richtung Arsbeck Kohle gewonnen, wo schon der Erkelenzer Bohrpionier Anton Raky 1898 auf eigene Initiative nach Kohle gesucht hatte.

Als Ende der 1980er Jahre immer deutlicher wurde, dass die Bonner CDU/FDP-Bundesregierung die Steinkohleförderung in Deutschland beenden wollte, kam mit dem Ende des Kalten Kriegs in Hückelhoven noch einmal Hoffnung auf ergiebige Lagerstätten unter dem Militärflugplatz Wildenrath auf, der geschlossen werden sollte.

Dort und mit einer kleinen Erweiterung des Abbaufelds in Richtung Osten, Tüschenbroich, wären 28 Millionen Tonnen Kohle zusätzlich schnell abbaubar gewesen, knapp 20 Jahre hätten die das Unternehmen gesichert, etwa bis 2008. Die durften wegen der Landebahnen (evtl. Bergsenkungen) zuvor nicht abgebaut werden - allein, es war zu spät, der Schließungsbeschluss für das Bergwerk kam früher.

Aber Sophia-Jacoba hatte bereits von 1985 bis 1987 die Zukunft nach der Auskohlung des Nordfelds im Blick, und die lag ab da, wo Honigmann 1884 und 1908 begonnen hatte - im Bereich Baal, nun bis nach Lövenich und weiter nach Nordosten. Im sogenannten Südfeld, das von etwa Matzerath in Richtung Lövenich reicht. In insgesamt 18 Mutungsbohrungen hatte man die Geologie bis in 1000 Meter Tiefe untersucht und reiche Lagerstätten qualitativ allerbesten Anthrazits ausgemacht, die Sensation dabei: Flöze bis zu einer Mächtigkeit von fast vier Metern! Je weiter man nach Süden vorstieß, je dicker wurden die Flöze. Die geringsten Mächtigkeiten stellte man bei Houverath mit 0,66 Meter fest.

Die Mutungsbohrungen wurden vorgenommen bei Granterath, Hetzerath, Doverhahn, Houverath, Baal, Lövenich, Tenholt, Bellinghoven, Commerden, Matzerath und Oerath. Die attraktivsten Verhältnisse fand man bei Tenholt vor, wo man in 444 Metern Teufe auf ein 3,89 Meter dickes Flöz stieß, etwas südlicher, auf der Lövenicher Höhe, traf man in der geringsten Teufe von 436 Metern auf das Flöz, das hier 3,13 Meter stark war. Von daher bot sich hier der neue Personen- und Materialschacht an, der ausbetriebswirtschaftlichen Gründen geteuft werden musste.

In den westlich-nördlichen Abbaugebieten zwischen Hückelhoven und Arsbeck waren die Flöze kaum mehr als einen Meter dick, entsprechend wurde mehr Berge (Gesteinsabraum) als Kohle nach oben geholt. Vom Schacht 8 zwischen Golkrath und Matzerath konnte man auf der 5. Sohle ("Etage" untertage) in etwa 800 Metern Teufe eine Strecke Richtung des neuen Schachts 9 vortreiben. Die Kohle selbst sollte von diesem unterirdisch zum Förderschacht 4 bei Ratheim gebracht werden.

Die Pläne stellte Bergwerksdirektor Hans-Georg Rieß dem Betriebsrat Anfang 1987 vor und bezifferte die abbaubaren Kohlevorräte auf rund 150 Millionen Tonnen. Bis dahin hatte Sophia-Jacoba in 73 Jahren summiert rund 80 Millionen Tonnen gefördert. Rechnet man die im West-Nordfeld nicht mehr geförderte Kohle hinzu, liegen derzeit noch gut 200 Millionen Tonnen in der Erde um Hückelhoven herum. Die Südfeld-Kohle, so Hans-Georg Rieß damals, konnte man wieder als "Edelanthrazit" bezeichnen, die höchste Qualitätsstufe mit einem Anteil flüchtiger Stoffe (im wesentlichen Gas) von lediglich sechs bis acht Prozent.

Der Schließungsbeschluss für Sophia-Jacoba am 11. November 1991 verwehrte dem Unternehmen und seinen hart arbeitenden und kultigen Kumpeln die Krönung - und darüber hinaus Friedrich Honigmann den Ringschluss zu seinem mutigen Start 113 Jahre zuvor.

Die Wiederaufnahme einer Untertageförderung bei Sophia-Jacoba ist unmöglich. Der gesamte Untertagebetrieb ist neben der Betonierung durch das Grundwasser geflutet, Milliarden Euro wären nötig. Inzwischen ist aber die Technologie der Energie-Produktion ohne oder mit geringem Ressourcenverbrauch so weit fortgeschritten, dass eine Rückkehr zu fossilen Brennstoffen wohl unnötig ist. Allerdings liegt vor allem unter Hückelhoven Erdgas in rund 1000 Metern Tiefe eingeschlossen in Gesteinsblasen. Gefördert werden könnte es mit der umstrittenen Fracking-Methode, mit der Wasser und Chemikalien in diese Schichten gepresst werden, die aufbrechen und das Gas freigeben.

(isp)
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