Stadt Kempen Kempener bildet auf dem Balkan aus

Stadt Kempen · Hartmut Höninger leistet Entwicklungshilfe in Sachen Friseurhandwerk. In Bosnien schult er Auszubildende in seinem Handwerk. Er will ihnen damit eine berufliche Perspektive in ihrem Heimatland ermöglichen.

Am 17. Oktober ist es wieder soweit: Der Kempener Friseur Hartmut Höninger bricht dann erneut nach Bosnien auf, um jungen Auszubildenden die Feinheiten des Friseurhandwerks beizubringen. Bereits seit 2008 reist er in das krisengeschüttelte Balkanland, um hier ehrenamtlich tätig zu werden. Der Kempener ist seit 2006 Mitglied der Organisation "Education for life". Diese Organisation der internationalen Coiffeure hat es sich zum Ziel gesetzt, jungen Menschen in ihren Heimatländern durch fundierte Ausbildung eine Möglichkeit zu besseren Zukunft in ihren Heimatländern zu geben. Die Organisation hat sich ein schönes Motto ausgesucht: "Gib dem Hungernden einen Fisch und er wird einen Tag satt, lehre ihn zu fischen und er wird nie wieder zu hungern." Eine stimmige Philosophie, wie Höninger findet. Und die kann er mittlerweile aus eigener Erfahrung bestätigen.

Sein Ziel in Bosnien ist stets das Kinderdorf Selo Mira. Es liegt bei Lukovac. Die nächst größere Stadt Tuzla ist etwa 140 Kilometer von Sarajewo, der Hauptstadt Bosniens, entfernt. In Selo Mira erwartete Höninger eine vollkommen andere Welt. Überall in Bosnien sind noch die Kriegsschäden zu sehen. Das Land ist muslimisch geprägt. Es herrscht bittere Armut. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 50 Prozent. Selo Mira ist ein Kinderdorf. Hier leben Kriegswaisen, aber auch Sozialwaisen in kleinen Familien. Es gibt eine Familienmutter sowie eine Sozialpädagogin, die jeden Tag kommt.

Was Höninger sofort auffiel, war der gepflegte Eindruck des Dorfes. Die Kinder müssen selbst mithelfen, es in Ordnung zu halten. Das Dorf hat es sich zur Aufgabe gemacht, Jugendlichen eine fundierte Berufsausbildung anzubieten. Deshalb arbeitet es eng mit der Berufsschule von Lukavac zusammen. Mehrere Ausbildungswerkstätten gibt es. Darunter eben auch einen Friseursalon. Eingerichtet wurde er mit Spenden der Stiftung. 25 bis 30 Auszubildende gibt es hier, einige aus dem Kinderdorf, andere aus der Umgebung.

Seine erste Reise hat Höninger noch gut in Erinnerung. Jede Menge Ausstattung hatte er eingepackt, da blieb für Persönliches nicht mehr viel übrig. Und beim nächsten Mal nahm er die lange Reise mit dem Auto auf sich und machte unangenehme Bekanntschaft mit dem Zoll. Durch die schwierige Konstellation zwischen Serbien, Kroatien und Bosnien musste alles verplombt werden und er immer wieder bestätigen, dass er kein Schmuggler sei. Inzwischen werden Ausrüstung und weitere Ausstattung für den Lehrsalon zweimal im Jahr als Konvoi nach Bosnien geschickt. Höninger nimmt nur noch Verbrauchsmaterialien wie Farben oder Ähnliches mit. Und bevor er fährt, sammelt er in seinen Salon an der Orsaystraße in Kempen immer Spenden, die dann über die Stiftung zweckgebunden verwendet werden.

In Selo Mira steht dann ein komplettes Ausbildungsprogramm an. Schwierig und oft umständlich, weil Höninger kein Bosnisch kann und seine Lehrlinge dort kein Deutsch. Also muss die Ausbilderin Alena Mahovkic von der Berufsschule alles dolmetschen. Höninger erzählt, wie er staunt die Auszubildenden von der deutschen Arbeitsweise waren. Nicht nur was das Tempo des Arbeitens betrifft, sondern zum Beispiel auch der sorgsame Umgang mit Umwelt und Energie. Ein wichtiges Thema für Höninger, der dies in seinem Kempener Salon auch sehr sorgfältig beachtet. Und dann gab es noch großes Erstaunen darüber, dass in Deutschland ein Friseurbesuch auch immer mit Komfort verbunden ist. Kopfmassage beim Haarewaschen - das konnten sich die Mädchen nicht vorstellen. Und dass der Chef, ein Mann, selbst die Haare wäscht, erst recht nicht. Höninger ist aber auch wichtig zu vermitteln, dass Deutschland kein Paradies ist. Er möchte falsche Träume vom einfachen guten Leben im reichen Westen von vornherein zerstreuen. Dass harte Arbeit zum Wohlstand dazu gehört. Aber er merkt bei den Lehrlingen allein schon an ihrer Wissbegierde, dass sie dies verstehen.

Auch wenn das Ausbildungssystem in Bosnien wie in Deutschland dual abläuft und drei Jahre Lehrzeit vorsieht, ist es noch ein langer Weg bis zu internationalen Standards, so Höninger. Gerne würde er einem Mädchen, die im Kinderdorf als Waise lebt, eine Ausbildung in Kempen ermöglichen. Aber dies ist ein schwieriger Verwaltungsweg, obwohl Bosnien bereits den Status eines Landes in Erwartung der Anerkennung als EU-Staat hat. Er müsste neben den Ausbildungskosten die gesamte Verantwortung für den Lehrling aus Bosnien übernehmen. Das wird nicht einfach sein, vor allem dann, wenn in den drei Jahren Probleme auftauchen sollten. Trotzdem überlegen sich die Höningers, wo inzwischen nicht nur die Eltern sondern auch die Kinder im Friseurhandwerk tätig sind, die Entscheidung ernsthaft.

Für Hartmut Höninger hat sich durch seine Aufenthalte auf dem Balkan vieles in seiner bisherigen Wertigkeit der Welt verändert, berichtet er. Und man merkt ihm an, dass er schon voller Erwartung auf die nächste Reise im Oktober ist. Begleitet wird er diesmal von seiner 22-jährigen Tochter Laura. Das soziale Engagement scheint in der Familie zu liegen.

(sr)
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