Kleve-Schenkenschanz Weltgeschichte und Inselwissen

Kleve-Schenkenschanz · Beim Wiener Kongress im Jahr 1815 wurde Europa neu aufgeteilt. Die Beschlüsse hatten gravierende Auswirkungen für die Grenzregion am unteren Niederrhein. Vor genau 200 Jahren ging die frühere Festung Schenkenschanz in preußischen Besitz über. Anlässlich dieses Datums wurde das Buch "Grenspassages-Grenzgänge" erstellt, das auf "der Schanz" in einer Feierstunde präsentiert wurde.

 Autoren, Sponsoren und Vereinsmitglieder bei der Präsentation: Marita Janssen-Arntz (Vorsitzende des Heimatvereins Schenkenschanz, vorne). Hinter ihr steht Dieter Echterhoff (2. Reihe, Zweiter v. r.)

Autoren, Sponsoren und Vereinsmitglieder bei der Präsentation: Marita Janssen-Arntz (Vorsitzende des Heimatvereins Schenkenschanz, vorne). Hinter ihr steht Dieter Echterhoff (2. Reihe, Zweiter v. r.)

Foto: Markus van Offern.

Dieter Echterhoff (77) steht hinter einem Tisch, auf dem stapelweise druckfrische Bücher liegen. Sie sind noch in Folie eingeschweißt. Echterhoff verkauft das Werk für 9,50 Euro. Der Absatz läuft blendend. Der Mann kommt mit dem Kassieren und Verteilen kaum nach. Für jedes verkaufte Exemplar macht er einen Strich auf ein Blatt Papier. Es ist ein Buch, das auch von Grenzen handelt, Landesgrenzen. Das Thema ist heute aktueller denn je. Doch geht es in dem Band um die Trennungslinien zwischen Staaten von vor 200 Jahren.

Der Tisch mit den Büchern steht in der alten Schule von Schenkenschanz. Die Käufer sind Gäste, die anlässlich der Vorstellung der Publikation gekommen sind. Bürgermeister oder deren Vertreter aus den umliegenden Kommunen gehören zu der Gesellschaft. Es ist der Inhalt des Werks, der für die Region heute noch von Bedeutung ist. Vor 200 Jahren wurde der Grenzverlauf zwischen dem Königreich der Niederlande und Preußen neu gezogen. Schenkenschanz gehörte jetzt zu Preußen. Die territorialen Veränderungen, die 1815 beim Wiener Kongress entschieden und im März 1817 vollzogen wurden, haben bis heute Bestand. Verändert hat sich in der Region die Gefühlswelt. So ist kaum mehr zu merken, ob man sich in Deutschland oder den Niederlanden befindet. Die Grenzen sind hier im Laufe der Jahre immer mehr verschwommen.

 Die Festung Schenkenschanz 1634/1635 mit der neuen Garnisonskirche. Atlas van Loon 1649.

Die Festung Schenkenschanz 1634/1635 mit der neuen Garnisonskirche. Atlas van Loon 1649.

Foto: Buch

Bevor Dieter Echterhoff die ersten Exemplare veräußern konnte, wurde in der evangelischen Kirche von Schenkenschanz im Rahmen einer Feierstunde die Publikation vorgestellt. Marita Janssen-Artz, Vorsitzende des Heimatvereins Schenkenschanz, eröffnete die Veranstaltung. Ihr sollten einige Redner folgen, die vornehmlich den Stellenwert des Buchs betonten. Ein Redner, der sich mehr um den Inhalt kümmerte, war Dr. Emile Smit. Der Doktor der Geschichte lebt in Huissen und war federführend an der Erstellung des Bands beteiligt. Er betont, so klein Schenkenschanz auch sei, so groß war seine weltpolitische Bedeutung.

Der Historiker spielt auf das Ende des 16. Jahrhunderts an, als der Niederrhein zum Aufmarschgebiet im Achtzigjährigen Krieg der nach Unabhängigkeit strebenden Niederländer gegen das spanische Weltreich wurde. Neben den beiden am Krieg beteiligten Ländern wurden Söldner aus etlichen Teilen Europas in der Region zusammengezogen. Schenkenschanz gehörte zu den strategisch wichtigsten und kaum einnehmbaren Festungen. So soll der spanische Regierungschef Olivarez die Parole ausgegeben haben, es sei wichtiger, Schenkenschanz zu halten als Paris zu erobern. Im Laufe der Jahre wechselte die "Schanz" durch Eroberungen und Verhandlungen mehrfach den Besitzer. Spanien, Niederlande oder Frankreich waren einige Staaten, die hier das Sagen hatten.

 Dieser Blick würde sich dem Künstler heute präsentieren. Von dieser Stelle aus malte er das Bild.

Dieser Blick würde sich dem Künstler heute präsentieren. Von dieser Stelle aus malte er das Bild.

Foto: Markus van Offern

Warum es beim Wiener Kongress dennoch zu der Übertragung der Festung an Preußen kam, erklärt Emile Smit: "Die Niederländer hatten keine Verwendung mehr für den Ort. Er war militärisch ohne Bedeutung." In Wien wurde Europa neu geordnet und in dem Zusammenhang auch der teilweise wirre Grenzverlauf am unteren Rhein neu sortiert. Während Schenkenschanz und einige Emmericher Ortsteile Preußen zugeschlagen wurden, erhielten die Niederlande Städte wie Huissen oder Zevenaar. Der Historiker beklagt, dass die ehemalige Insel von seinen Vorfahren nahezu weggeworfen wurde. "Es war so, wie man ein paar alte Schuhe arglos in den Müll wirft. Ihren Wert erkennt man erst, wenn sie wieder gebraucht werden", erklärt Smit.

Es gibt verschiedene Hinweise darauf, welche Rolle dem kleinen Ort in der Weltpolitik zukam. Etliche frühe Nennungen in Texten und Einträge auf Landkarten zeugen davon. Auf einer Weltkarte von 1600 ist neben den Metropolen auch der Name der Insel zu finden. Sichtbar wird ihr Wert im Amsterdamer Rijksmuseum. Dort hängt ein Gemälde von der Belagerung von Schenkenschanz im Jahre 1636.

Thema des Buches ist nicht allein die geschichtliche Entwicklung. Es wird aufgezeigt, wie sich die Situation diesseits und jenseits der Grenze mit dem veränderten Verlauf entwickelt hat. Schon der Titel macht deutlich, dass es sich um ein niederländisch-deutsches Projekt handelt. In "Grenspassages - Grenzgänge" sind die Seiten so gestaltet, dass die Texte in beiden Sprachen direkt nebeneinander stehen. An dem 192 Seiten umfassenden Werk haben elf Autoren mitgewirkt. Einer von ihnen ist Dieter Echterhoff. Er hat über sieben verschiedene Themen geschrieben. "Wer sich intensiv mit der Geschichte beschäftigt, merkt, wie spannend sie ist." Ein Kapitel, das von ihm behandelt wurde, trägt die Überschrift "Kirchliches in Schenkenschanz im 19. Jahrhundert". Hier steht das evangelische Gotteshaus im Mittelpunkt. Anfang des 19. Jahrhunderts war es baufällig geworden. "Doch bevor man es für viel Geld sanierte, wurde zunächst die Zahl der Christen in der Gemeinde durch eine Seelenzählung ermittelt", erklärt Echterhoff. Die Zahl der Gläubigen war auf 66 zurück gegangen. So entschied man sich dafür, nur noch 60 Sitzplätze in dem Gotteshaus bereitzuhalten. Kurzerhand wurde nur ein Teil saniert. "Die Grundfläche des Kirchenschiffs war einst dreimal so groß wie jetzt", sagt der 77-Jährige.

Mit der Geschichte von Schenkenschanz beschäftigt sich Dieter Echterhoff seit Jahren intensiv, obwohl er ein "Zugezogener" ist. Der gelernte Schriftsetzer lebt hier mit seiner Frau Anne, die auf der Insel geboren wurde. An seiner Person wird deutlich, welchen Wert Geschichte auf die Gegenwart hat. Selbst Ereignisse, die 200 Jahre zurückliegen.

"Ich komme aus der Ecke von Mönchengladbach. Wäre Schenkenschanz nicht deutsch geworden, hätte ich meine Frau nie kennen gelernt", sagt er, während die Stapel mit den Jubiläumsbüchern weiter schmelzen. Der 77-Jährige ist sich bewusst, dass das bedeutende Datum mit der Zeit in den Hintergrund rückt und der Ort nicht mehr im Mittelpunkt steht. Dennoch wird Schenkenschanz stets im Gespräch bleiben. Allein schon wegen seiner Lage. Immer noch, wenn der Rhein über seine Ufer tritt, wird der Ort zu einer Insel. Doch sind es weder Katastrophen noch große Jubiläen, die dafür sorgen, dass "die Schanz" wahrgenommen wird. Es ist etwas ganz anderes. Für viele ist es die Ruhe, die hier und drumherum die Anziehungskraft ausmacht.

So formulierte der Kabarettist Hanns Dieter Hübsch einst: "... und hier geht selbst der liebe Gott von Zeit zu Zeit spazieren. Er hat am Niederrhein ein Haus - und ruht sich dort vom Himmel aus."

(jan)
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