Kinderzug in Krefeld-Verberg Ein Dorf kapituliert vor Facebook

Krefeld · Den Kinderkarnevalszug in Verberg wird es nicht mehr geben. Das Aus des Zuges ist die Geschichte einer Eskalation mit Jugendlichen, die sich massenhaft per Facebook zum Komasaufen verabredeten. Das Verberger Elend begann 2006.

Die Entscheidung des Karnevalsvereins KG Verberg 1956, den Kinderkarnevalszug künftig ausfallen zu lassen, ist mit Verständnis und Bedauern aufgenommen worden. "Es ist sehr, sehr traurig, dass trinkende Jugendliche den Karneval kaputtmachen", sagte am Montag Britta Oellers, CDU-Ratsfrau und Vorsitzende des Jugendhilfeausschusses im Rat. Sie kritisierte zugleich die massiv verschärften, damit verteuerten Auflagen. Die SPD fordert, dass die Stadt helfen müsse. KG-Präsident Ralf Mühlenberg bekräftigte im RP-Gespräch die Notwendigkeit der Entscheidung: "Es ist schade, aber es wird Zeit, dass die KG ein Zeichen setzt und sagt: So geht es nicht weiter."

In Verberg endet mit diesem Beschluss eine Tradition, die 1961 mit dem ersten Kinderkarnevalszug begann. Zuletzt haben sich im Kreisverkehr an der Gaststätte "Haus Ritte" mehr als 1500 Jugendliche versammelt, die sich dort per Facebook zum Trinken verabredet hatten und dazu bis aus Duisburg nach Krefeld gekommen waren.

Bis zur Jahrtausendwende habe es keine nennenswerten Probleme gegeben, erinnert sich Mühlenberg, der zum ersten Mal im Jahr 2000 als Kinderprinzenvater in dem Zug mitgezogen ist. "Damals fuhr ein Polizeimotorrad vorneweg; dann gab es zwei Sanitäter für Notfälle, und am Schluss kam die GSAK zum Aufräumen — das war's." Sicher habe es im Kreisverkehr immer ein paar "Verrückte" gegeben, die getrunken hätten, doch das sei überschaubar gewesen.

Das erste Alarmsignal, dass sich am Gebaren der Jugendlichen massiv etwas ändert, habe es 2006 beim Karnevalsfest in der Turnhalle der Gerd-Jansen-Schule am Luiter Weg nach dem Zug gegeben, berichtet Mühlenberg: "Da flogen die ersten Bierflaschen durch die Luft." Mühlenberg und der damalige Prinz Bernd Ruland hätten damals auf der Bühne gestanden und erwogen, das Fest abzubrechen, es aber nicht getan, um die Situation nicht weiter zu verschärfen.

"Wir haben damals gesagt: So geht das nicht. 2007 haben wir dann zum ersten Mal im Zugang zu der Halle Alkoholkontrollen eingeführt. Wer Alkohol dabei hatte oder betrunken war, kam nicht in die Halle." Die Folge war eine neue Stufe der Eskalation: Wütende Jugendliche warfen von draußen massenhaft leere Flaschen gegen die Wand — "wir haben bis zehn Uhr abends von dem Parkplatz der Gerd-Jansen-Schule Scherben beseitigen müssen", erinnert sich Mühlenberg. Das Fest wurde daraufhin abgeschafft.

In dieser Phase wurden auch die Auflagen mehr und mehr verschärft. 2008 musste die KG erstmals eine Auffangstation für betrunkene Jugendliche und ratlose Eltern einrichten — damals noch im Thomashaus. 2009 sei der Zugweg verlegt worden — weg von dem fatalen Kreisverkehr als Sammelpunkt. Doch das Problem verschärfte sich nur: "Die Jugendlichen haben sich jetzt am Flohbusch getroffen, die Vorgärten verwüstet, überall ihre Notdurft verrichtet, sich sogar in Briefkästen hinein übergeben. Es war eine Katastrophe", resümiert Mühlenberg; die Anwohner hätten noch Wochen nach dem Zug-Samstag Glas und Unrat aus ihren Vorgärten holen müssen. Ab 2010 lief der Zug wieder über den Kreisverkehr.

Der KG fuhr eine neue Strategie: Der Beginn des Kinderkarnevalszuges wurde von 14.30 Uhr auf 11.11 Uhr verlegt. Die Hoffnung bestand, dass das für trinkende Jugendliche zu früh ist — ein Irrtum. Der nächste Versuch folgte 2013: Der Kreisverkehr sollte zur "Event-Fläche" werden, um die Situation kontrollieren zu können. Dazu wurde eine Bühne auf dem Parkplatz von Haus Ritte aufgebaut. Die Strategie ging durchaus auf; die Situation blieb kontrollierbar, doch es kamen nun noch mehr Jugendliche.

Am Ende wurde der Aufwand einfach zu groß, auch für die Ehrenamtlichen, die immer mehr Arbeit investieren mussten. Und die Finanzierung wurde immer teurer: Für 2014 hätte die Auffangstation, in der zuletzt 50 bis 60 volltrunkene Jugendliche versorgt werden mussten, im Foyer der Gerd-Jansen-Schule untergebracht werden müssen, weil das Thomashaus zu klein wurde; für den Kreisverkehr hätte eine teure Lautsprecheranlage installiert werden müssen, die den kompletten Platz für eventuelle Durchsagen hätte beschallen können.

"Die Kosten lagen schon im fünftstelligen Bereich; wir mussten allein 40 Sicherheitskräfte finanzieren, weitere 60 Sicherheitskräfte wurden durch die Polizei und den Kommunalen Ordnungsdienst gestellt. Wir sind ein gesunder, sogar wachsender Verein mit mehr als 260 Mitgliedern, aber wenn die Mitgliedsbeiträge nur noch dazu dienen, einen Kinderkarnevalszug zu finanzieren, dann läuft etwas falsch", resümiert Mühlenberg. Zudem ist die Frustration im Verein immer größer geworden: "Die Züge waren ja eigentlich zu 95 Prozent sehr schön und ein voller Erfolg, aber in der Öffentlichkeit ist nur noch über die restlichen fünf Prozent geredet worden."

Er betont, dass er niemandem einen Vorwurf mache, auch nicht der Stadt: "Alle waren wirklich bemüht, den Zug zu ermöglichen." Letztlich, sagt Mühlenberg, sei die KG Verberg vor einem gesellschaftlichen Problem, dem Komatrinken von Jugendlichen mit allen Randerscheinungen, eingeknickt. In der Politik macht sich eine gewisse Ratlosigkeit breit — CDU-Ratsfrau Oellers: "Ich weiß nicht, was die Politik noch mehr machen kann; die Politik kann nicht alles regeln. Man kann nur an die Vernunft der Beteiligten appellieren." Für die SPD äußerte Uli Hahnen "Sorge um die Kinderfreundlichkeit in Krefeld".

Nach der Diskussion um den Kindertrödelmarkt und dem Aus für das Seifenkistenrennen folge nun das Ende des beliebten Kinderkarnevals in Verberg. "Dieser Sommer wird als ein Sommer der Kinder- und Familienunfreundlichkeit in die Geschichte eingehen." Bei den Kosten für die Ordnungsauflagen sieht er die Stadt in der Pflicht: "Hier wäre die Stadt gefragt, dem Veranstalter mit Rat und Tat zur Seite zu stehen und mögliche Probleme abzufedern."

Frau Oellers kritisiert die Schärfe der Auflagen: "Die Katastrophe bei der Loveparade von Duisburg war schrecklich, aber es ist schwierig, dass man nun bei jedem Schul- oder Bürgerfest für jeden Eventualfall Auflagen zu erfüllen hat, die Tausende von Euro kosten. Wir wollten im vergangenen Jahr ein Schulfest für Ehemalige auf dem Schulhof organisieren und hätten sogar Scheinwerfer auf dem Dach installieren müssen, damit Fluchtwege in der Dunkelheit ausgeleuchtet sind. Das ist doch völlig übertrieben."

Wie es nun in Verberg mit dem Kinderkarneval weitergeht, steht noch nicht fest — fest steht nur, dass es weitergeht. Der Verein hat ein Komitee gegründet, das über neue Formen nachdenkt.

(RP)
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