Krefeld Wohnen in Haus Lange - so könnte es sein

Krefeld · Es ist eine aufsehen-erregende Aktion: Das skandinavische Künstlerduo Elmgreen & Dragset hat die Museumsvilla zu einem Wohnhaus gemacht. Alles sieht aus, als sei eine Fa-milie eingezogen. Drinnen lassen sich Abgründe erahnen. Und im Pool schwimmt eine Leiche. Morgen ist die Eröffnung.

 Naufus Ramirez-Figueroa mit seinem Lieblingswerk, der singenden Venuskammmuschel. In Haus Esters zeigt er Poetisches, aber auch sperrige Arbeiten.

Naufus Ramirez-Figueroa mit seinem Lieblingswerk, der singenden Venuskammmuschel. In Haus Esters zeigt er Poetisches, aber auch sperrige Arbeiten.

Foto: Lammertz Thomas

Über dem Maklerschild an der Wilhelmshofallee klebt das Banner "Verkauft!". Tatsächlich sieht alles so aus, als habe das von Mies van der Rohe erbaute Haus Lange neue Bewohner. In den Fenstern leuchten Tischlampen, in der Auffahrt parkt ein goldfarbener Jaguar mit englischem Kennzeichen und Dachgepäck. Eine Familie, die wegen des Brexit aus Großbritannien nach Deutschland zurückgekehrt ist, scheint sich hier einzurichten.

 Michael Elmgreen (l.) und Ingar Dragset am Kamin. Der wohnliche Eindruck täuscht: Die nobel gedeckte Tafel zerstört ein Riss.

Michael Elmgreen (l.) und Ingar Dragset am Kamin. Der wohnliche Eindruck täuscht: Die nobel gedeckte Tafel zerstört ein Riss.

Foto: Thomas Lammertz

So zumindest wollen es Michael Elmgreen und Ingar Dragset glauben machen. Das skandinavische Künstlerduo hat mit Akribie, Witz und Tiefgang die Museumsvilla zu einer begehbaren Installation umgestaltet. Schon im Vorfeld hat ein "Zu verkaufen"-Schild, wie berichtet, irritiert. "Es ist toll, dass so eine Aktion in Krefeld machbar ist und es zeigt, dass die Krefelder an der Nutzung des Hauses für die Kunst hängen", sagt Museumsleiterin Katia Baudin.

 Eine Leiche im Pool: "Tod eines Sammlers" nennen die Künstler diese Arbeit im Garten von Haus Lange. Sie zeigt die dunkle Seite des gut situierten Lebens.

Eine Leiche im Pool: "Tod eines Sammlers" nennen die Künstler diese Arbeit im Garten von Haus Lange. Sie zeigt die dunkle Seite des gut situierten Lebens.

Foto: Lammertz Thomas

Wohnen in Haus Lange - wie wär's? Zunächst erlesen und behaglich. Die Abgründe unter der hochglänzenden Oberfläche der Designermöbel fallen erst später auf. Anfangs blenden Designer-Chic und die Attribute einer modernen Besser-Verdiener-Familie. Vom berühmten Barcelona-Chair Mies van der Rohes bis zum Marmor-Ohr, das den guten Geschmack für dekorative Moderne Kunst spiegelt, ist jedes "Must have" da, das sich in "Exquisit Wohnen"-Magazinen finden würde. Nach und nach formt sich ein Bild derer, die hier wohnen könnten.

"Die Zugezogenen" nennen Elmgreen & Dragset ihre Ausstellung im Haus Lange, die am Sonntag eröffnet wird. Es ist die erste Einzelausstellung der beiden Skandinavier im Rheinland. Seit sie 2009 eine Prada-Boutique mitten in der texanischen Wüste installierten, sind sie kein Geheimtipp mehr. Auf der Grenze zwischen Kunst und Architektur, privatem und öffentlichem Raum, Kunst und Alltag siedeln sie sich mit großer Experimentierfreude an. Detailversessen haben sie die Villa eingerichtet, haben Originalstücke des Hauses, wie die Mies-Sessel und eine Holzwand mit zeitgenössischem Wohndesign und Objekten ergänzt. Wo sonst Kunst an den Wänden präsentiert wird, gibt es jetzt Wohnzimmer, Ess- und Arbeitszimmer, sogar Bade- und Kinderzimmer. Im Garten haben sie einen Swimmingpool eingebaut. Man möchte sich wohlfühlen. - Doch im Pool schwimmt eine männliche Gestalt, kopfunter. Die sorgfältig am Beckenrand platzierten Schuhe deuten auf Selbstmord hin. Die augenscheinlich heile Welt hat tiefe Risse. So wie der edle Esstisch, auf dem für ein nobles Dinner Kristall und Silber eingedeckt ist. Platte, Stuhl und sogar das kostbare Porzellan sind wie mit der Säge zerteilt.

"Wir wollen keine lineare Geschichte erzählen", sagt Michael Elmgreen. Aus Mikrokosmen könne sich jeder Besucher seine eigene Geschichte zusammenstellen. Die Mikrokosmen sind die zahlreichen Entdeckungen, die sich in dem sichtlich noch nicht fertig eingerichteten Haus und den noch nicht geleerten Kisten und Umzugskartons machen lassen. Der Junge in der Schuluniform vom Foto im Lesezimmer taucht auf einem Gemälde im Esszimmer wieder auf. Und ganz verschüchtert kauert er als lebensgroße Skulptur am Kamin. Finden, aufspüren, wiederfinden - so lässt sich das Haus erkunden.

Allerdings kaum mit einem einzigen Besuch. Die Ausstellung ist extrem komplex. Jedes Detail hat Bedeutung. Elmgreen & Dragset ziehen unaufdringlich Parallelen zwischen zwei europäischen Kulturen, die Gemeinsames, aber noch mehr Unterschiede prägen. Der 24-bändige Brockhaus und der Teller mit dem Queenporträt, die Spiegelung zweier identischer, schwarz gestrichener Kinderzimmer - unmöbliert bis auf Gitterbettchen, auf denen große weiße Geier hocken -, setzen ganze Assoziationsketten in Gang. "Zuhause ist der Ort, den du verlassen hast", steht an den Wänden. Das ist Stoff für viele Geschichten. Die wachsende Unsicherheit in Europa und das Eigenheim als vermeintliches Refugium sind auf dem Prüfstand. Seismografisch erspüren die Künstler gesellschaftliche Erschütterung. Unbedingt sehenswert.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort