Wegberg/Mönchengladbach Pier-Prozess: "Zitronensaft fast wie Salzsäure"

Wegberg/Mönchengladbach · Was ist im chirurgischen Bereich vom Einsatz von Zitronensaft zur Desinfektion zu halten? Diese Frage erörterten heute zwei Hygiene-Experten im Gerichtsprozess gegen Dr. Arnold Pier und fünf weitere Mediziner. Die Behandlungsmethode bezeichneten beide als völlig unüblich.

Prozess gegen Ex-Chefarzt Dr. Arnold Pier
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Die Anwendung von frisch gepresstem Zitronensaft zur Wundbehandlung von Patienten habe experimentellen Charakter. Das sagte Sebastian W. Lemmen, Leiter des Zentralbereichs für Krankenhaushygiene und Infektiologie des Universitätsklinikums Aachen, heute im Prozess gegen den früheren Chefarzt des Wegberger Krankenhauses, Dr. Arnold Pier, und fünf weitere Ärzte. Lemmen war als Sachverständiger von der Staatsanwaltschaft Mönchengladbach mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt worden.

Lemmen: Keine Literaturhinweise

Am neunten Prozesstag stand im Schwurgerichtssaal die Frage im Mittelpunkt, was im chirurgischen Bereich vom Einsatz von Zitronensaft zur Desinfektion zu halten ist. Die Staatsanwaltschaft Mönchengladbach klagte Pier unter anderem wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung mit Todesfolge an. Der Ex-Chefarzt soll Patienten im Wegberger Krankenhaus unnötig Organe entnommen und frisch gepressten Zitronensaft statt steriler Lösung in den Bauchraum gespritzt haben. Pier bestreitet die Vorwürfe.

Gutachter Lemmen sagte, dass der Einsatz von Zitronensaft zur Wundheilbehandlung in Krankenhäusern völlig unüblich sei. Auch fänden sich in der Fachliteratur keine Hinweise, welche die Handlungsweise rechtfertigten, wie sie im Wegberger Krankenhaus unter Leitung von Dr. Arnold Pier praktiziert worden sein soll. Nach Darstellung Lemmens kann Zitronensaft wegen seiner Säurehaltigkeit erhebliche Schädigungen und Verätzungen an Haut und Gewebe verursachen. Lemmen: "Ich will das erst gar nicht an Patienten ausprobieren. Das ist fast wie Salzsäure.”

Dass der Einsatz von Zitronensaft dafür verantwortlich sein könnte, dass sich der Gesundheitszustand der 80-jährigen Patientin Margarethe W. verschlechterte, bezeichnete der Hygieniker als naheliegend. Mit Sicherheit sagen könne er dies aber nicht. Margarethe W. war Ende März 2006 nach der Behandlung im Wegberger Krankenhaus verstorben. Der Fall wird seit Mitte September vor Gericht erörtert.

Peter Philippsen, Professor für Mikrobiologie am Biozentrum der Universität Basel, war von Dr. Arnold Pier mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt worden. "Ich kann nicht verstehen, wie jemand behaupten kann, dass es durch den Einsatz von Zitronensaft zu einer explosionsartigen Vermehrung von Mikroorganismen kommen konnte”, sagte Philippsen heute vor Gericht.

Der Chemiker beschrieb die generelle antibakterielle Wirkung von Zitronensaft. Dabei machte er deutlich, dass er dies aus Sicht eines Mikrobiologen tat, nicht aus Sicht eines Mediziners ("Das ist nicht mein Metier.”). Er zeigte sich verwundert, dass im Wegberger Krankenhaus Zitronensaft in Wunden eingebracht wurde. Automatisch kontaminiert werde eine Wunde dadurch aber nicht. Zitronensaft führe im Gegensatz zu Salzsäure auch nicht zu Verätzungen.

(RP)
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