Leichlingen Erinnerung ans „Tor zur Freiheit“

Leichlingen · Das Deutsche Theater Göttingen sucht Zeitzeugen für ein Theaterprojekt über das Grenzdurchgangslagers Friedland. Die Leichlingerin Charlotte Sinnreich hat sich gemeldet, denn sie war dort sechs Jahre als Sozialarbeiterin tätig.

„Für mich war es eine sehr schöne Zeit“, seufzt Charlotte Sinnreich, die sich heute in Leichlingen so wohl fühlt. In den 50er Jahren arbeitete die inzwischen 78-Jährige im Grenzdurchgangslager Friedland. Eine aufregende Zeit, in der sie nicht nur körperlich gefordert war, weil man rund um die Uhr anpacken musste, wenn neue Transporte ankamen mit Menschen, die dringend Kleidung und Essen brauchten. Dazu kam die seelische Belastung, denn sie nahm Anteil an so vielen Schicksalen, erlebte Freud und Leid.

Harte Schicksale

Auch die Enttäuschung der Frauen, die sich mit Schildern an der Straße aufgestellt hatten, wenn das Radio einen erwarteten Zug mit Kriegsheimkehrern angekündigt hatte. Viele warteten vergeblich, weil ihre Männer nicht unter den Sibirien-Rückkehrern waren. Dann suchten sie nach Mitinsassen, die ihnen wenigstens Auskunft geben konnten. Und sie erinnert sich an frei gelassene Gefangene, die Kontakt zur Familie aufnahmen, aber dort nicht mehr erwünscht waren. Ihre Frauen waren bereits wieder verheiratet. „Es ist schon so viele Jahre her und die Erinnerung verblasst ja mit der Zeit“, meint Sinnreich, aber: „Ich habe immer noch die Bilder vor Augen.“

1953 war Charlotte Sinnreich nach Friedland gekommen, um dort ihr Anerkennungsjahr als Sozialarbeiterin zu machen, aber sie blieb länger. „Damals hieß das noch Fürsorgerin“, erzählt die lebhafte und kontaktfreudige Dame. Die alte Berufsbezeichnung umschreibt ihre damalige Tätigkeit eigentlich besser. In Friedland arbeiteten Kräfte der verschiedenen Wohlfahrtsverbände neben- und miteinander. Charlotte Sinnreich war bei der Caritas und zugleich engagierte sie sich im Ort ehrenamtlich in der katholischen Jugendarbeit. Sie leitete einen Kinderchor und spielte die Orgel bei Gottesdiensten.

Neben einfachen Soldaten kam ein ganzer Transport mit Offizieren und Generälen. „Die waren alle schnieke angezogen, hatten Anzüge, Mäntel und Hüte, nicht so zerlumpt wie die einfachen Leute“, erzählt Charlotte Sinnreich. Sie erinnert sich an Transporte mit Mönchen aus Korea, Familien aus Jugoslawien, und unmittelbar nach dem Ungarnaufstand am 4. November 1956 kamen Hunderte in Friedland an. Als bereits alle verteilt waren und das Durchgangslager verließen, entdeckte die Sozialarbeiterin einen einsamen 14-Jährigen, der nur ein deutsches Wort beherrschte: „lernen“. Durch Kontakte vermittelte sie ihn an einen Goldschmied in Kevelaer. „Heute hat dieser Ferenc, also deutsch Franz, einen Juwelierladen in Meckenheim.“ Die Arbeit blieb, aber mit der Zeit veränderte sich die Klientel. Nach den Heimkehrern kamen Spätaussiedler, vornehmlich aus Schlesien und Ostpreußen in das Lager, das für viele zum „Tor zur Freiheit“ wurde.

Eigenen Flügel mitgebracht

Fotos erinnern an besondere Ereignisse wie den Besuch von Josef Kardinal Frings, der die neue Friedlandkirche einweihte oder die Visite der Pianistin Elly Ney, die ihren eigenen Flügel mitbrachte, um ein Konzert zu geben.

(RP)
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