Meerbusch "Ich möchte keine Minute missen"

Meerbusch · Katja van Raay kümmert sich selbst um ihre Tochter. Dafür bezieht sie Betreuungsgeld

 16 Monate alt ist Ronja Kira. Katja von Raay kümmert sich um sie, pausiert solange in ihrem Bürojob.

16 Monate alt ist Ronja Kira. Katja von Raay kümmert sich um sie, pausiert solange in ihrem Bürojob.

Foto: Ulli Dackweiler

Katja van Raay genießt die Zeit mit ihrer Tochter Ronja Kira. Das Mädchen ist 16 Monate alt und krabbelt vergnügt durch die Spieleecke in seinem Zimmer. Mal drückt sie ihre Puppe an sich, dann wieder greift sie nach ihren Stofftieren. Ihre Mutter beobachte sie nicht ohne Stolz. "Ich möchte keine Minute mit ihr missen", sagt die 34-Jährige. Die Bürokauffrau aus Büderich und ihr Mann haben sich bewusst dafür entschieden, Ronja Kira vorerst nicht in einer Kita unterzubringen. Die Mutter geht derzeit nicht arbeiten. Sie kümmert sich selbst um die Kleine. Dafür bezieht sie Betreuungsgeld: eine staatliche Leistung, an der sich die Geister scheiden.

Betreuungsgeld erhalten Eltern, die ihre ein- und zweijährigen Kinder nicht in eine Kita oder zu einer Tagesmutter geben - sondern sie zu Hause selbst umhegen und umsorgen. Pro Monat gibt es 150 Euro. "Herdprämie" nennen Kritiker das Betreuungsgeld etwas abfällig und sind der Auffassung, dass Kleinkinder in einer Kita besser aufgehoben wären. Dort könnten sie im Kreise von Gleichaltrigen das Sozialverhalten einüben und ihr sprachliches Ausdrucksvermögen trainieren. Diese Argumente der Betreuungsgeld-Gegner lässt Katja van Raay so nicht gelten. "Ich besuche mit Ronja Kira Spielgruppen und gehe mit ihr auf den Spielplatz." Dort treffe sie mit anderen Kindern zusammen. Dann werde gespielt, getobt und sich ausgetauscht. "Für mich ist es unvorstellbar, Ronja Kira zum jetzigen Zeitpunkt zur Betreuung wegzugeben", erklärt die 34-Jährige. Sie will ihre Tochter aufwachsen sehen und mitbekommen, wann das ein oder andere in der Entwicklung "das erste Mal" ist. "Ich habe keine Lust, mir abends von fremden Betreuungspersonen erzählen zu lassen, dass sie jetzt das ein oder andere Wort sprechen kann. Dafür habe ich nicht das Kind in die Welt gesetzt."

Bundesweit beziehen derzeit rund 400 000 Familien Betreuungsgeld. Unter den Antragstellern sind zu 90 Prozent Frauen. Sie verzichten damit bis auf Weiteres auf eine berufliche Betätigung. Auch in Meerbusch ist die Familienleistung gefragt: Im Jahr 2013 bezogen 76 Familien aus Meerbusch Betreuungsgeld, im Jahr 2014 waren es 173 Familien. "In diesem Jahr haben bis einschließlich März 61 Meerbuscher Familien Betreuungsgeld bezogen", sagt Klaus Teichert. Er ist der Leiter der Elterngeldstelle beim Rhein-Kreis Neuss. Zahlen für April und Mai 2015 hat er noch nicht vorliegen. Im Rhein-Kreis Neuss insgesamt haben 2013 insgesamt 733 Familien Elterngeld bezogen, 2014 waren es 1975 und bis März 2015 insgesamt 701 Familien. Kritiker sagen, dass Betreuungsgeld-Bezieher auf dem Arbeitsmarkt fehlen - und das in Zeiten eines Fachkräftemangels. Doch auch das bekümmert Katja van Raay wenig. "Wir können es uns finanziell leisten, dass ich vorerst nicht arbeiten gehe", sagt die Büdericherin.

Sie hat aber Verständnis dafür, dass ein solches Leben nicht für alle machbar ist. Manchen bleibe gar keine andere Wahl, als ihr Kind in eine Kita zu geben, um mit einer beruflichen Tätigkeit genug Geld für den Lebensunterhalt zu verdienen. "Letztendlich muss jeder für sich selbst entscheiden, was richtig ist." Ob das Betreuungsgeld allerdings Zukunft hat, ist derzeit offen. Das SPD-geführte Hamburg hat Klage gegen die Familienleistung erhoben, die Sache wird derzeit vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verhandelt. Dabei geht es um die Frage, ob das Betreuungsgeld mit dem Grundgesetz vereinbar ist und ob der Bund überhaupt das entsprechende Gesetz dafür erlassen durfte. Die Sozialdemokraten gelten als die schärfsten Kritiker der Familienleistung, die 2013 unter der früheren schwarz-gelben Bundesregierung auf Drängen der CSU eingeführt worden war.

Katja van Raay würde es "schade" finden, wenn das Betreuungsgeld gekippt würde. Aber egal, ob mit oder ohne Betreuungsgeld: Sie würde sich zum jetzigen Zeitpunkt dafür entscheiden, sich voll und ganz der Erziehung von Ronja Kira zu widmen. Das heißt aber nicht, dass sie etwas gegen öffentliche Betreuungsstellen hätte. "Wenn Ronja Kira dreieinhalb Jahre ist, kommt sie in die Kita." Dann will Katja van Raay auch wieder als Bürokauffrau arbeiten. Aber nur halbtags. "Den Rest des Tages verbringe ich dann wieder mit meinem Kind."

(RP)
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