Versteckte Schönheiten Architektonische Perlen in Rheydt

Mönchengladbach · Es gibt nur nüchterne 1950er-Jahre-Architektur in Rheydt? Nein, der Stadtteil hat architektonisch einiges zu bieten. Zwei Gebäude stellen wir vor: Das Schülerinnenwohnheim liegt versteckt, das Pahlkebad wäre beinahe abgerissen worden.

 Das Schülerinnenwohnheim der Maria-Lenssen-Schule mit dem markanten Turm und dem feingliedrigen Rahmensystem der Fensteranlage. Das Heim besteht aus fünf kubischen Baukörpern, die asymmetrisch einander zugeordnet sind. Die architektonische Perle liegt versteckt an der Mühlenstraße.

Das Schülerinnenwohnheim der Maria-Lenssen-Schule mit dem markanten Turm und dem feingliedrigen Rahmensystem der Fensteranlage. Das Heim besteht aus fünf kubischen Baukörpern, die asymmetrisch einander zugeordnet sind. Die architektonische Perle liegt versteckt an der Mühlenstraße.

Foto: Gisbert Fongern/Stadt MG

Bei dieser Vorstellung schwankt Mönchengladbachs Denkmalpfleger Karl-Heinz Schumacher zwischen klammheimlicher Freude und Hochachtung. "Da jubelten viele hundert Menschen dem aus Rheydt stammenden Nazi und Reichspropaganda-Minister Joseph Goebbels auf dem Rheydter Marktplatz zu, während ein Stück weiter das Schülerinnenwohnheim ganz im Stile der von den Nazis verdammten Bauhaus-Architektur entstand", sagt er. Hochachtung empfindet Schumacher vor der Entscheidung des Rheydter Stadtrats, das Gebäude in der modernen Architektur der ausgehenden 1920er und frühen 1930er Jahre bauen zu lassen. Freude darüber, dass dem Hitler-Vertrauten und Nazi-Schergen Goebbels dieser Baustil unter Garantie missfallen hätte. Ob er den Bau überhaupt wahrgenommen hat, ist historisch nicht belegt.

Die ehemalige Stadt Rheydt, über deren nüchterne und schmucklose 1950er-Jahre-Architektur oft die Nase gerümpft wird, kann mit einigen architektonische Kostbarkeiten aufwarten, die vielen Menschen heute kaum bewusst sind, weil sie diese vermutlich gar nicht registrieren. Das Schülerinnenwohnheim gehört dazu. Versteckt liegt es an der Mühlenstraße, und entdeckt wird der Bau auch nur von denjenigen, die sich ein paar Schritte weg von der Straße in den kleinen zum Haus gehörenden Park begeben. Das Wohnheim für 60 Schülerinnen entstand 1933-34 auf dem Gelände eines Grundstücks, den die 1870 von Maria Lenssen gegründete und nach ihr benannte Schule zuvor als Schulgarten genutzt hatte. Fünf Jahre vor Baubeginn hatte die Stadt Rheydt mit dem preußischen Staat einen Vertrag geschlossen, der den Betrieb der Schule sicherte. So quasi als Mitbringsel übertrug die Stadt Rheydt das Grundstück.

 Auch im Inneren des Schülerinnenwohnheims zeigt das Gebäude die klare Formensprache der Bauhaus-Architektur aus den 1930er Jahren.

Auch im Inneren des Schülerinnenwohnheims zeigt das Gebäude die klare Formensprache der Bauhaus-Architektur aus den 1930er Jahren.

Foto: Gisbert Fongern/Stadt MG

Das Wohnheim setzt sich aus fünf kubischen Baukörpern zusammen, die asymmetrisch einander zugeordnet sind. Auffallend sind die Fenster mit ihren filigranen Stahlrahmen. "Als Mitte der 1990er Jahre die Kreisbau die Fensteranlagen nach den historischen Vorbildern sanierte, hat ihr Architekt lange nach passenden Fensterrahmen gesucht. Mal waren sie zu breit, mal zu klobig. Erst nach langem Suchen stieß er auf das Rahmensystem", erzählt Schumacher.

Auch im Inneren behielt das Gebäude seine klare Formensprache. Die Wände sind hell und bilden einen Kontrast zu den farblich klar abgesetzten Bodenflächen und Treppen. Und wer sich beim Treppensteigen an den Handläufen hochhangelt, meint den Geist der Bauhaus-Architektur zu spüren. Vermutlich werden die wenigsten Mönchengladbacher dieses Gebäude je einmal von innen gesehen haben. Es steht unter Denkmalschutz - im Gegensatz zu Turnhalle und Kindergarten, die zwar auch in den 1930er Jahren entstanden sind, aber baulich so verändert wurden, dass ihnen ihr ursprünglicher Gestaltungscharakter genommen wurde. Leider.

Wie man ihn erhalten kann, zeigt eine andere architektonische Perle Rheydts: das Pahlkebad. Oder wie es richtig hieß: das Rheydter Stadtbad. Es hätte nicht viel gefehlt, da wäre es abgerissen worden und wäre vermutlich durch einen nüchternen Zweckbau ersetzt worden. Eine politische Mehrheit trug sich 2007/2008 mit diesem Gedanken. Als sich Proteste regten und das Stadtbad Rheydt in die Denkmalliste des Landes aufgenommen wurde, waren die Abrisspläne passé. Zum Glück, wie man heute sagen muss, wenn man den imposanten Bau sieht.

 Das Pahlkebad, gebaut nach dem Entwurf von Ernst Roddewig: Das linke Foto zeigt das Rheydter Stadtbad kurz nach der Fertigstellung in den 1970er Jahren, rechts nach der Sanierung.

Das Pahlkebad, gebaut nach dem Entwurf von Ernst Roddewig: Das linke Foto zeigt das Rheydter Stadtbad kurz nach der Fertigstellung in den 1970er Jahren, rechts nach der Sanierung.

Foto: Stadt MG

Denn unabhängig von der Frage, ob sich die Stadt dieses Bad wirtschaftlich leisten kann - die Besucherzahlen decken wie bei jedem Bad die Kosten bei weitem nicht -, ist das Pahlkebad eine architektonische Perle in der Stadt. Denkmal-Experten, die bei der Bewertung des 1969 fertiggestellten Stadtbades die Architektur in den Vordergrund stellen, ziehen sogar Parallelen zu Ludwig Mies van der Rohe, einem der bedeutendsten Architekten der Moderne und letztem Direktor des Bauhauses. In einem Gutachten des Rheinischen Amtes für Denkmalpflege wird das Pahlkebad sogar als "bedeutend für die Geschichte des Menschen und Rheydt" bezeichnet. In einem Handbuch über Bäderbauten aus dem Jahr 1970 wird die gläserne "Haut" des Stadtbades als eines von weltweit 180 Vorbildbauten ausgewählt und beschrieben.

Viel Lob für einen Architekten, den vorher niemand kannte und der eigentlich beim Architektenwettbewerb für das Stadtbad, den der Rheydter Stadtrat 1963 auslobte, "nur" Zweitplatzierter unter 35 Büros war. Ernst Roddewig (1912-84) erhielt am Ende doch den Auftrag. 1965 wurde der Bauantrag eingereicht, 1966 der Grundstein gelegt, 1969 war die Eröffnung. Die Baukosten lagen bei 9,4 Millionen D-Mark. Bei einem ersten Blick auf das Bad entsteht der Eindruck, als würde das Gebäude schwerelos schweben.

Hervorgerufen wird dies durch zwei mächtige 58 Meter lange Spannbetonbinder, die in den 1960er Jahren in der Architektur als wegweisend galten und beim Neubau die längsten ihrer Art in der Bundesrepublik waren. Bis auf schmale Stützen vor den wandhohen Fenstern bleibt das Innere der Halle stützenfrei. Und auch das war nach der Fertigstellung ein Alleinstellungsmerkmal: der Zehn-Meter-Sprungturm, die damit verbundene Wassertiefe und eine Tribüne mit 320 Sitzplätzen. Die Rheydter Springerschule, die hier trainierte und bundesweit beachtete Wettkämpfe hatte, war einst legendär.

2011 wurde die Schwimmhalle für acht Millionen Euro saniert. Der Mönchengladbacher Architekt Burkhard Schrammen orientierte sich dabei gekonnt an den Vorgaben von Roddewigs Architektur. Veränderungen gibt es allerdings: Die ehemalige Hausmeisterwohnung und das Obergeschoss sind einem Kindergarten vorbehalten, der hier eingezogen ist. Dass eine Betreuungseinrichtung für Mädchen und Jungen in einem Bad ihr Domizil hat und Kinder ihr Seepferdchen machen können, ist einmalig in Deutschland.

(biber)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort