Mönchengladbach Gladbachs Armut ist ein Strukturproblem

Mönchengladbach · Laut Statistik ist die Stadt die drittärmste in NRW. Die Ursachen gehen bis in die 80er Jahre zurück. Bildungsprojekte sollen helfen.

Der Regiopark ist fast voll. Große Firmen wie Zalando, Esprit und zuletzt L'Oreal haben sich in dem Gewerbegebiet in Güdderath angesiedelt und hunderte Arbeitsplätze geschaffen. Trotzdem, so zeigt die neueste Armutsstatistik des Statistischen Landesamtes, ist Mönchengladbach hinter Gelsenkirchen und Düren die drittärmste Stadt in Nordrhein-Westfalen. Rund 17,5 Prozent der Bevölkerung erhielten in Gladbach im vergangenen Jahr sogenannte soziale Mindestsicherungsleistungen vom Amt.

In Deutschland gilt jemand dann als arm, wenn er nur 60 Prozent oder weniger des Durchschnittseinkommens zur Verfügung hat. Der Hartz IV-Regelsatz und der Regelsatz für die sogenannte Grundsicherung liegt bei 399 Euro monatlich für Singles und 360 Euro pro Person für Paare. Kinder bis sechs Jahre erhalten 234 Euro. Davon müssen die Empfänger alles bezahlen, außer ihre Mietkosten. "Das heißt, Energiekosten, Kleidung und Essen", erklärt Karl Sasserath, Leiter des Arbeitslosenzentrums und Fraktionsvorsitzender der Grünen in Gladbach, Das Bruttodurchschnittseinkommen 2014 lag laut Statistischem Bundesamt bei rund 3500 Euro.

An der Statistik ist abzulesen, dass vor allem die Auszahlungen für die sogenannte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - wenn der Betroffene aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage ist, zu arbeiten - in den vergangenen Jahren gestiegen sind. Von 2013 bis 2014 stieg diese Zahl um neun Prozent. Derzeit erhalten 5437 Gladbacher diese Mittel.

Die Zahlen sind erschreckend. Wenn man sie hinterfragt, ergeben sich jedoch logische Erklärungen für die Armut vieler Gladbacher. "Die Stadt ist von einem Strukturwandel in den nächsten gefallen", sagt Sasserath. Anfang der 80er Jahre brach die Textilindustrie in der Stadt zusammen. Der Grund: die beginnende Globalisierung. Für große Unternehmen war es plötzlich günstiger, Textilien in Entwicklungs- und Schwellenländern produzieren zu lassen. "Damals gingen in Gladbach knapp 100 000 Arbeitsplätze verloren", so Sasserath. Ab den früher 90er Jahren verließen dann nach und nach die britischen Streitkräfte die Stadt. Damit fielen beispielsweise auf dem Reme-Gelände an der Lürriper Straße rund 750 Jobs in einer Reparaturwerkstatt weg. "Von diesen beiden Entwicklungen hat sich die Stadt nie erholt", so Sasserath. Diejenigen, die damals ihre Jobs verloren, bekommen heute nur sehr geringe Renten und beziehen daher die Grundsicherung im Alter. Sasserath wirft der Stadt vor, sich trotz der absehbar schwierigen Lage damals nicht genug um Fördermittel bemüht zu haben. Erst 1991 habe es erste Strukturfördermittel für den Nordpark gegeben. Auch jetzt sei der Elan der Verwaltung in dieser Hinsicht noch unterentwickelt. "Der Grund ist wohl, dass man dafür so viel Personal braucht", sagt Sasserath.

In jüngster Vergangenheit wurde aus Fördermitteln beispielsweise das Projekt "Soziale Stadt" Rheydt bezahlt, im Rahmen dessen unter anderem der Marktplatz saniert wurde. Solche "Aufhübschungen" sind nötig, um die Stadt für Investoren attraktiv zu machen, die dann wiederum Arbeitsplätze schaffen. Gladbachs Politiker denken derzeit darüber nach, auch die Gladbacher Innenstadt zur "Sozialen Stadt" zu erklären und dafür Fördermittel zu beantragen.

Sozialdezernentin Dörte Schall widerspricht Sasseraths Vorwurf. "Wir haben in der Kämmerei eine gesonderte Stelle geschaffen. Derjenige ist ausschließlich dafür da, sich um die Akquisition von Fördermitteln zu kümmern", so Schall. Ihr sei vor allem daran gelegen, durch Bildungsprojekte Kinder aus Hartz IV-Familien in ein geregeltes Arbeitsleben zu begleiten. "Wir müssen die Kinder früh erreichen", sagt sie.

(ls)
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