Protokollfragen Wenn der Bundespräsident käme ...

Neuss · ... würde er natürlich nicht weggeschickt, sagt Schützenmeister Martin Flecken. Das Staatsoberhaupt hat die Ehre, als Erster auf den Kopf des Königsvogels anzulegen und Ritter der Schützen-Majestät zu werden. Bis jetzt hat das aber noch keiner wahrgenommen.

 Symbolisch ist auch auf der Neusser Festwiese der rote Teppich für den amtierenden Bundespräsidenten Joachim Gauck ausgelegt.

Symbolisch ist auch auf der Neusser Festwiese der rote Teppich für den amtierenden Bundespräsidenten Joachim Gauck ausgelegt.

Foto: DPA

Bislang hat sich noch jeder Bundespräsident um die Freude und die Ehre gebracht, beim Neusser Schützenfest den ersten Schuss abzugeben und sich so - ein Treffer natürlich vorausgesetzt - in die Riege der Ritter des Königs einzureihen. Trotzdem wird Komiteemitglied Martin Flecken nicht müde, am Schützenfestsonntag über die Lautsprecher auf der Festwiese die Frage zu stellen: "Ist der Herr Bundespräsident anwesend?" Bislang löste sich kein Staatsoberhaupt aus der wartenden Menge, um zum Ehrenschuss ans Gewehr zu treten. Aber was wäre eigentlich, wenn?

Wenn der Bundespräsident käme, gibt Oberschützenmeister Martin Flecken zu, müsste er diesen als Leiter aller Schießwettbewerbe qua Amt auf einen kleinen Haken an der Sache aufmerksam machen: "Der Herr Bundespräsident müsste als Ritter des Königs zum Krönungsball wieder in die Stadt kommen, um den Ritterschlag entgegenzunehmen", erklärt Flecken. Das wäre aber auch die einzige Verpflichtung, die mit der Ritterschaft einherginge - und die einzige "Ehre".

Manche Könige laden ihre vier Ritter im Laufe ihrer Amtszeit ein, aber das sei die Ausnahme, sei Flecken. Normal sei, dass die Ritter am Krönungsball erwähnt werden, aber schon nicht mehr im Programmheft. Und eine Einladung zum Krönungsmahl ist ebenso wenig mit dem Abschuss eines Pfandes verbunden wie ein Anstecker - für den die meisten Schützen ja bekanntlich einiges täten.

Geregelt wird das Schießen im Handbuch des Komitees aus den 1950er Jahren. Allerdings sind dessen Bestimmungen durchaus auch Änderungen unterworfen. "Vor Beginn des Königsschießens", so heißt es dort, "spricht der Präsident des Neusser Bürger-Schützenvereins auf den Bundespräsidenten." Im Anschluss an das "Hoch" auf das Staatsoberhaupt werde das Deutschlandlied gesungen, heißt es weiter. "Den ersten Schuss auf den Königsvogel zu Ehren (!) des Bundespräsidenten gibt der Oberbürgermeister ab."

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Das heißt: Ursprünglich sah sich der Bundespräsident gar nicht eingeladen, selbst zu schießen. Stattdessen wurde zu seinen Ehren geschossen. Wie so etwas ablief, ist in einem einzigen Fall aus dem Jahr 1951 dokumentiert.

Damals telegrafierte Fleckens Großvater Adolf Flecken im Namen des Schützenpräsidenten Albert Vellen an den Bundespräsidenten Theodor Heuss nach Bonn: "Bei dem Heimat- und Schützenfest der Stadt Neuß, das durch die Jahrhunderte seine Tradition bewahrt hat, fiel soeben in tätiger Anwesenheit des Herrn Bundesinnenministers und des Herrn Innenministers des Landes Nordrhein-Westfalen der Ehrenschuss für den Herrn Bundespräsidenten. Es feiert und ist beglückt in der Verbundenheit aller Stände und Schichten eine ganze Stadt."

Und zum Schluss reimte Flecken: "Es grüßt ehrerbietigst Heuß, das stolze, alte, treue Neuß!" Und der antwortete sogar - postwendend und ebenfalls telegrafisch: "Dem Neusser Bürgerschützenverein Dank für den Ehrenschuss, der hoffentlich richtig saß, und der Stadt Neuss für ihre Grüße."

Aus dem Ehrenschuss für den Präsidenten wurde seit damals eine - nur mündlich ausgesprochene - Einladung zum Schießen selbst. Ansonsten aber hält sich der Bürger-Schützen-Verein an das Protokoll, wie es das Komitee-Handbuch vorschreibt. Vielleicht zum Ärger des Landrates, der darin nicht vorkommt. Er spielte, als im damals noch kreisfreien Neuss die Regeln für das Vogelschießen schriftlich niedergelegt wurden, in Neuss keine Rolle.

Nach dem Bundespräsidenten ruft Flecken deshalb den (Ober)-Bürgermeister der Stadt zum Ehrenschuss auf. Weil der seit 1998 amtierende Herbert Napp aber nach Fleckens Darstellung "zwar auf der Wiese ist, aber noch nie am Schießstand war", ist der Präsident des Neusser Bürgerschützen-Vereins als Nummer drei des Protokolls meist der Erste am Gewehr, der auf den Kopf des Königsvogels anlegt. Und meistens, so stellt Flecken lakonisch fest, reicht dem amtierenden Präsidenten Thomas Nickel dieser eine Schuss, um Ritter des Kopfes zu werden.

Ginge sein Schuss fehl, wären weitere Komiteemitglieder an der Reihe, bis der Kopf fällt. Danach aber enden die Ehrenschüsse, und im ersten Wettkampf des dreitägigen Schießens sind die Uniformierten aufgerufen, auf die Pfänder des Königs zu schießen.

Dabei wird die Reihenfolge über die Nummer auf der Aktivenkarte festgelegt, die am Königsehrenabend zwei Woche vor dem Fest gezogen wird. Der späte Termin soll jeden Versuch unterbinden, sich bei der Auswahl der eigenen Aktivenkarte im Schützenbüro eine herauszupicken, deren Zahl möglichst dicht an der gezogenen Startnummer liegt, erklärt Flecken.

Käme der Bundespräsident, würde er ihn natürlich nicht wegschicken, sagt Flecken. Was aber wäre, wenn mit seinem Ehrenschuss gleich der ganze Königsvogel fiele? Auch dafür hat das Handbuch des Komitees Vorkehrungen getroffen: "Da der Fall eintreten kann, dass der Rumpf des Königsvogels vor Abschuss der Pfänder beschädigt oder abgeschossen wird, (...) ist stets für eine entsprechende Zahl von Ersatzrümpfen zu sorgen." Ein Bundespräsident auf dem Königsthron - das wird es auf Sicht also nicht geben. Nicht einmal versehentlich.

(-nau)
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