Neuss Holocaust-Überlebende musste Erzählen lernen

Neuss · Eine Überlebende des Holocaust berichtet Schülern von ihrer Flucht aus Ungarn und der Gefangenschaft im Konzentrationslager Auschwitz

 Als zwölfjähriges Mädchen wurde Eva Szepesi ins KZ deportiert. Sie hat überlebt und ist eine der noch wenigen lebenden Zeitzeugen des Holocaust.

Als zwölfjähriges Mädchen wurde Eva Szepesi ins KZ deportiert. Sie hat überlebt und ist eine der noch wenigen lebenden Zeitzeugen des Holocaust.

Foto: Woi

50 Jahre hat die aus Ungarn stammende Jüdin Eva Szepesi über die schrecklichen Dinge, die sie als damals zwölfjähriges Mädchen erlebt hat, geschwiegen. Erst 1995 überreden ihre Töchter sie, an einem Gedenktag im Konzentrationslager Auschwitz teilzunehmen. Dort erzählt sie zum ersten Mal überhaupt von ihrer Flucht 1944 mit ihrer Tante aus Ungarn in die Slowakei, ihrer Gefangennahme und ihrer Deportation nach Auschwitz. Auch mit ihren Töchtern hatte sie zuvor nie darüber gesprochen. Erst habe sie gar nicht erzählen wollen, doch dann sei es nur so aus ihr herausgesprudelt, sagt sie. "Das war ein Gefühl der Befreiung für mich." Seitdem besucht die heute in Frankfurt am Main lebende 84-Jährige Schulen, um als eine der letzten Zeitzeuginen aus eigener Erfahrung vom Holocaust zu berichten. Auch ein Buch hat sie darüber geschrieben.

Gestern war sie am Theodor-Schwann-Kolleg in Norf zu Gast. Eine Gruppe Studierender hatte zusammen mit den Geschichtslehrerinnen Stefanie Breyther und Monika Perez den Kontakt hergestellt. Im Rahmen des Schülernetzwerkes "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage" hatten diese schon vorher mit Zeitzeugen gesprochen und verschiedene Mahn- und Gedenkstätten besucht. Die Berichte einer Zeitzeugin seien viel informativer und intensiver als Texte, sagt Fabian Helmig. Er will die Chance nutzen, eine der letzten Zeitzeuginnen zu treffen. Sandra Kothen bewundert den Mut der Überlebenden, über ihre schrecklichen Erfahrungen zu berichten. Besonders in der heutigen Zeit sei das wichtig, meint sie. Ebru Ünal wolle später noch ihren Kindern davon erzählen. Und sie findet: "Sowas wie der Holocaust darf nie wieder passieren."

Als Szepesi von Ankunft und Gefangenschaft im KZ erzählt, sind die Schüler schockiert. Was das Schlimmste für sie gewesen sei, wollen sie wissen. Szepesi muss nicht lange überlegen. Dass man ihr ihre Zöpfe abgeschnitten hat, und dass sie die blaue Jacke, die ihre Mutter für sie gestrickt hatte, abgenommen bekam. Damals habe sie noch nicht gewusst, dass ihre Mutter und ihr Bruder ebenfalls nach Auschwitz gebracht worden sind, sagt sie. Die Hoffnung, ihre Mutter wiederzusehen, habe sie in dieser Zeit am Leben gehalten, erzählt sie. Auch nach ihrer Befreiung durch russische Soldaten habe sie immer gehofft, sie irgendwann wiederzusehen.

Warum sie nicht nach ihnen gesucht habe oder jemandem von ihren Erlebnissen erzählt habe, wollen die Schüler wissen. "Ich wollte meine Töchter nicht damit belasten und mir ein neues Leben aufbauen", antwortet sie. Erst bei ihrem zweiten und letzten Besuch in Auschwitz im vergangenen Jahr habe ihre Enkelin die Namen ihrer Mutter und ihres Bruders auf einer Liste der Opfer gefunden. Erst dann habe sie trauern können.

Die Schüler sind tief bewegt. Besonders Szepesis Ängste und Gedanken während der Gefangenschaft, die Nachwirkungen dieser Zeit, aber auch ihre Einschätzung zum wachsenden Zuspruch für rechtsextreme Parteien in Deutschland interessieren sie. Ein Schüler fragt zögerlich, ob er die Nummer, die jeder Gefangene auf den Arm tätowiert bekommen hat, sehen darf. Szepesi erlaubt es, alle stehen auf, kommen nach vorne und starren schockiert auf die etwas verblassten, aber noch lesbaren Zahlen.

(NGZ)
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