Neuss Tanzspektakel voller Dramatik

Neuss · Das Ballet Hispánico aus New York erweist sich bei den Internationalen Tanzwochen als leidenschaftlicher Botschafter der lateinamerikanischen Kultur. Mit ihren Arbeiten entfesselte die Company einen wahren Bilderbogen.

 Zu suggestiver Musik schuf der spanische Choreograph Ramón Oller mit "Bury Me Standing" eine Huldigung an das fahrende Volk.

Zu suggestiver Musik schuf der spanische Choreograph Ramón Oller mit "Bury Me Standing" eine Huldigung an das fahrende Volk.

Foto: Paula Lobo

Die künstlerische Heimat der international gefeierten Company Ballet Hispánico ist New York. Doch ihre Wurzeln haben einen anderen Ursprung: Die Tänzer touren als leidenschaftliche Botschafter der lateinamerikanischen Kultur um die Welt. Seit 2009 führt Eduardo Vilaro, ein Amerikaner kubanischer Abstammung, das vor über 45 Jahren gegründete Ensemble. Der vielfach ausgezeichnete Choreograph meistert dabei den Spagat, die Tradition zu pflegen und sich dem Wandel der Zeiten anzupassen.

Mit zwei herausragenden Balletten, "Bury Me Standing" und "Carmen.maquia", gastierte die Company bei den Internationalen Tanzwochen Neuss. Und wie bei allen Veranstaltungen der Reihe war die Stadthalle einschließlich des letzten Platzes von einem kundigen Publikum besetzt.

Bei "Bury Me Standing" ("Begrabe mich aufrecht") entfaltet sich ein fesselnder Bilderbogen. Zu suggestiver Musik schuf der spanische Choreograph Ramón Oller eine Huldigung an das fahrende Volk, das nirgendwo eine Heimat hat. Begleitet von schwermütigen Gesängen, schreiten die Tänzer langsam über die Bühne. Sie bilden Menschenknäuel, steigen übereinander, verhaken sich. Manchmal brauchen sie auch gar keine Musik, rhythmisches Klatschen und Fingerschnippen reichen aus, um tiefe Emotionen zu transportieren. Oder man hört sie nur atmen. Paare treiben wie zufällig aufeinander zu und verlieren sich wieder. Das Stück hat viele humoristische Elemente: wenn die Tänzerinnen schnatternd herein schweben, ruckartig die Köpfe bewegen und die Szene in einem lärmenden Durcheinander gipfelt. Es rutscht auch mal die ganze Truppe auf Knien vorbei, mit einem imponierenden Gleichmaß der Bewegungen. Dann wieder befeuert fröhliche Musik tollkühne Luftsprünge, wie Kinder sie vollführen. Eine spannende Mischung aus Sinnlichkeit, Sehnsucht, Lebensfreude, Kraft und Hingabe, ausgebreitet auf einem aus überlieferten Liedern der Roma gespeisten Klangteppich. Und die puderfarbenen Kostüme - eine Augenweide. Am Ende des 35-minütigen Balletts rennen die Tänzer ins Dunkel. Lautstarker Jubel, tosender Applaus und als höchste Weihe kollektives Getrampel, dass der Saal bebt.

All das wird sich später bei "Carmen.maquia" wiederholen. Basierend auf Georges Bizets Oper inszenierte Gustavo Ramirez Sansano ein gut einstündiges Tanzspektakel voller Dramatik. Inspiriert wurde er bei seiner Choreographie durch den glühenden Stierkampf-Verehrer Pablo Picasso. Eines seiner schwarz-weißen Werke hängt an der Decke, und so minimalistisch sind auch die Kostüme von David Delfin. Sansano gibt seiner Heldin Carmen viel Raum - in sparsamen Kulissen wie plissiertes Papier. Doch eigentlich erzählt er die Tragödie des Don José, der von seiner Begierde gepeinigt und zerstört wird. Auf dessen verhaltenes Solo zu Beginn geht es mit "Cigareras" temperamentvoll weiter. Herrliche Bilder werden zu Bizets "Ohrwürmern" geboten. Herren wie Damen tragen Weiß, duftige Kleider bauschen sich wie Segel. Nur Carmen, ganz in Schwarz, sticht heraus. Eine lockende Männerfängerin, die das erotische Spiel liebt. Mit Don José erlebt sie Momente liebestrunkener Innigkeit. Und verlässt ihn doch. Kurz vor ihrem Tod, noch bevor sich ihr Mörder seinen Schmerz aus dem Leib tanzt, wird es hell im Saal, und das "Ballet Hispánico" tobt zum unverwüstlichen "Torero" in rasantem Reigen durch die Stuhlreihen. Was für ein grandioser Abend.

(NGZ)
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